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Rheingold-Premiere in München Auf der Suche nach dem Menschlichen

Märchen, Krimi, Komödie und gleichzeitg episches Theater: Vladimir Jurowski sieht all das in Wagners "Rheingold". Kommende Woche feiert das Stück an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Im Mittelpunkt steht für den Generalmusikdirektor das Zeitlose des Werks.

Vladimir Jurowski 2024 in München | Bildquelle: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Bildquelle: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

BR-KLASSIK: Vladimir Jurowski, in einer Oper geht es normalerweise um Liebe, Eifersucht und so weiter. Doch beim "Rheingold", um was geht's da eigentlich? Ist es eine soziologische Studie? Ist es ein Märchen? Ist es was Metaphorisches? Was richten Sie sich da im Kopf zurecht?

Vladimir Jurowski: Wahrscheinlich all das und dazu noch eine Gesellschaftssatire, ein Faunspiel, eine Komödie, eine zynische Komödie, ein Thriller, könnte man heute sagen, ein Krimi und auch ein Stück episches Theater. Sowohl in dem Sinne, wie wir das von den Griechen kennen, als auch in dem Sinne, wie uns das von späteren Theatermachern des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Also quasi ein Vorgriff auf Brechts Theater. Das Rheingold ist wahrscheinlich das einzige Stück im ganzen "Ring", welches diese Qualitäten aufweist. Und es ist die einzige von den vier "Ring"-Opern, die Wagners eigener musiktheatralischen Theorie am meisten entspricht. Ein Stück Anti-Oper. Es ist das, was man heute im Film "Prequel" nennt – eine Vorgeschichte..

BR-KLASSIK: Wie beim "Herrn der Ringe", da gab es ja auch gerade wieder eine Vorgeschichte…

Vladimir Jurowski: Ja, aber der "Hobbit" an sich ist die eigentliche Vorgeschichte. Tolkien war ja auch ein richtiger Wagner-Kenner. Und ich finde übrigens bei Tolkien auch genau diese Mischung aus Märchen, Epos und auch Elementen der Komödie wie bei Wagner. Nur bei Wagner ist das noch mehr mit der früh marxistischen Gesellschaftskritik gepaart. In diesem Stück stecken Ideen von Fichte, Schelling, teilweise auch von Feuerbach.

Radikal: das Vorspiel

BR-KLASSIK: Auch musikalisch ist es ja auch unglaublich radikal und voller Kontraste. Dass eine Oper so tief und leise beginnt, dass es kaum im Bereich des Hörbaren liegt. Wie baut sich denn von dieser Pianissimo-Stelle dieses ganze Drama für Sie auf?

Das Rheingold - “3.Verwandlung / Walhall. Szenischer Bühnenbildentwurf von Josef Hoffmann für die Erstaufführung des gesamten Zyklus “Ring des Nibelungen”, Bayreuth, 1876 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Historisches Bühnenbild zur Walhall. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vladimir Jurowski: Die ersten Akkorde sind hier nicht bloß das Vorspiel zum "Rheingold", das ist das Vorspiel zu der gesamten Geschichte. Hier in München werde ich dann 2027 zum ersten Mal in meinem Leben den ganzen "Ring" komplett dirigieren. Aber auch jetzt schon: Wenn ich den Beginn des "Rheingold" spiele, höre ich darin schon den Beginn des letzten Stücks der "Götterdämmerung", das in der Gegentonart, in es-Moll beginnt. Und wenn ich den Einzug der Götter in die Walhalla spiele, im Des-Dur, dann höre ich bereits das Ende mit der brennenden Walhalla in Des-Dur. Ich denke, ich glaube, der tonale Plan, den Wagner da aufgestellt hat, ist mehr als logisch. Außer der Kontrast in der Musik Alberichs. Denn seine Musik hat mit dem Vorspiel gar nichts mehr zu tun. Auch harmonisch nicht.

Alberich: eine antisemitische Karikatur

BR-KLASSIK: Wie zeigt sich Alberich das erste Mal?

Vladimir Jurowski: Die erste richtige Dissonanz entsteht erst mit dem Erscheinen des Alberich. Und Alberich erscheint erst in der Musik, später dann auch physisch. Und mit ihm kommt das andere Element ins Spiel. Genauso wie die Natur gehört zum Ring auch das Element des Menschlichen und des Allzumenschlichen. Das Element des Bösen.

Als Musiker stimme ich mit Wagner voll überein. Als Mensch protestiere ich vehement.
Vladimir Jurowski

BR-KLASSIK: Für Sie ist Alberich das Böse? In der Musik ist Alberich das Böse?

Richard Wagner "Rheingold" - Historische Bühnenbilder und Szenen | Bildquelle: picture-alliance/dpa Richard Wagner komponiert das "Rheingold". | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vladimir Jurowski: Das ist für mich die größte Frage: Inwieweit hat Wagner das Recht, eine Person oder eine ganze Rasse von Menschen für böse zu erklären? Als Musiker stimme ich mit ihm natürlich voll überein. Als Mensch protestiere ich vehement, denn es gibt keine Zwerge. Es gibt keine Riesen in dieser Welt. Es gibt nur Menschen. Und Menschen sind sehr unterschiedlich. Menschen beinhalten natürlich das Gute und das Böse in sich, beides im gleichen Maße. Und deswegen finde ich die karikaturhafte Art und Weise, wie die Zwerge musikalisch dargestellt werden, in der heutigen Welt nicht tragbar. Wenn man ein Märchen erzählt, darf man natürlich das Böse als das absolut Böse bezeichnen. Aber schauen Sie, sogar die heutigen Fantasy-Filme und -Bücher versuchen sich mit dem Bösen menschlich auseinanderzusetzen und sehen, wo es im Bösen auch Elemente des Guten gibt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Wagner nicht nur ein großartiger Künstler, sondern leider auch mit allen Vorurteilen, auch rassistischen Vorurteilen in seiner Zeit behaftet war. Unter anderem, wenn auch nicht ausschließlich, mit Antisemitismus. Und sein Antisemitismus spiegelt sich, in dem er offensichtlich diese Unterrasse der Menschen, die er hier Zwerge nennt, mit maximal hässlichen Mitteln ausmalt.

BR-KLASSIK: Wie kann man das heute spielen? Wie geht man mit diesem in die Musik eingeschriebenen Rassismus um?

Vladimir Jurowski: Wenn wir das heute inszenieren und im Sinne des heutigen Weltverständnisses auch diesen Menschen eine Daseinsberechtigung erteilen, dann müssen wir schauen, dass sie nicht bloß ekelhaft und hässlich, sondern auch mit Elementen des Menschlichen ausgestattet werden. Und das spricht bei mir dafür, dass der Alberich zum Beispiel nicht immer mit einer hässlichen, karikaturhaften Zwergstimme gesungen werden soll, genauso wie Mime. Und dass man auch in deren musikalischen Querständen und unaufgelösten Vorhalten nach Schönheit suchen kann, dass man nicht unbedingt alle Tempoanweisungen Wagners befolgt.

Neuinterpretation von Alberich

BR-KLASSIK: Welchen Effekt hat das Tempo auf die Charakterisierung der Figur des Alberich?

Vladimir Jurowski: Laut Wagner müssen fast alle Stellen mit Alberich und Mime in einem extrem schnellen Tempo gesungen werden, weil sie in seiner Vorstellung mit (Anmerk. d. Red.: Jurowski spricht jetzt schnell, gepresst, abgehackt und kratzend hoch) unnatürlichen Stimmen sprechen soll. So, wie man ein Rumpelstilzchen im Märchen karikiert. Der Unterschied ist bloß: "Das Rheingold" ist kein Märchen. "Siegfried" ist kein Märchen. Da sind Elemente des Märchens dabei. Aber es ist ein Epos und ein Mythos der menschlichen Gesellschaft und der ganzen Welt, die auch das menschliche Miteinander, auch heute noch, darstellen soll. Und wir müssen da bestimmte interpretatorische Abstriche machen, um Wagner, ohne in den musikalischen Text einzugreifen, uns Heutigen näher und verständlicher machen.

Wir hören Dinge mit unseren Ohren von 2024 und nicht mehr mit den Ohren von 1876.
Vladimir Jurowski

BR-KLASSIK: Bekommen Sie da Feedback vom Orchester? Wie stehen die Musikerinnen und Musiker zu diesen Stellen?

Vladimir Jurowski: Eine Musikerin im Orchester hat mir neulich gesagt, man dürfte eigentlich dieses Stück heute überhaupt nicht mehr spielen, das ist doch furchtbar, das ist so antisemitisch. Das Frauenbild ist schrecklich, und diese Texte… Ich habe ihr widersprochen, weil ich glaube, das Stück erzählt uns von uns Heutigen genauso viel, wie es damals den Menschen erzählte, vielleicht sogar mehr. Nur müssen wir, wie gesagt, bestimmte Dinge anpassen und nicht unbedingt darauf beharren, wie Wagner es bei den Proben 1876 tat, das alles so wahnsinnig schnell gespielt werden soll. Da gibt es doch diesen berühmten, polemischen Satz von ihm: 'Wenn ihr alle nicht so langweilige Kerle wärt, dann wäre das 'Rheingold' in zwei Stunden vorbei.'

BR-KLASSIK: Wie arbeiten Sie da mit Markus Brück, der den Alberich singen wird?

Vladimir Jurowski dirigiert das Bayerische Staatsorchester. | Bildquelle: © Bayerische Staatsoper Vladimir Jurowski dirigiert das Bayerische Staatsorchester. | Bildquelle: © Bayerische Staatsoper Vladimir Jurowski: Markus Brück ist ein sehr feiner Künstler, ein sehr komplexer Mensch. Und ich möchte diesen feinen Künstler, diesen komplexen Menschen in all seiner Komplexität und all seinen Farben auf der Bühne erleben, nicht bloß als eine hässliche antisemitische Karikatur. Aber für Wagner war Alberich nur das. Zumindest für Wagner als Interpreten seiner eigenen Musik. Ich glaube, Wagner als schaffender Künstler war eigentlich tiefer und gerechter, denn er hat uns eine Vorlage geschaffen, mit der wir vieles bewerkstelligen können. Es gibt aber eine ganze Riege von Künstlern, die versuchen heute noch jeden Satz von Wagner für bare Münze zu nehmen und ihm wörtlich zu folgen im Sinne der Tempoangaben, im Sinne der Lautstärke, aber auch im Sinne der der interpretatorischen Farben. Aber Wagner war ein Kind seiner Zeit. Der Text, den uns Wagner hinterließ, auch der der Text des Librettos, ist in gewisser Hinsicht zeitlos. Aber die Art und Weise, wie Sie diesen Text lesen und interpretieren, die verändert sich beständig. Wir hören Dinge mit unseren Ohren von 2024 und nicht mehr mit den Ohren von 1876.

Wagners "Rheingold": Ein Stück über Menschen

BR-KLASSIK: Welchen Anteil hat bei so einer Neuinterpretation die Regie?

Vladimir Jurowski: Es macht meiner Meinung nach gar keinen Sinn zu versuchen, wirklich detailgetreu die Aufführungskonditionen von damals herzustellen, denn man müsste auch die Ohren von damals und vor allem die Köpfe und die Herzen von damals wiederherstellen. Und die Welt trennte sich damals tatsächlich sehr einfach in das Gute und das Böse. Aber in der heutigen Welt funktioniert so etwas nicht mehr. Wagners "Ring" ist ein Stück über die menschliche Welt und über die menschliche Gesellschaft, über die Menschen schlechthin. Deswegen bin ich da sehr mit Tobias Kratzer, der zwar Götter als Götter darstellt, aber ansonsten den Rest, die Zwerge, Riesen, auch die Rheintöchter, das sind alles Menschen.

Sendung: Live-Übertragung aus dem Münchner Nationaltheater, am 27. Oktober 2024, ab 19:30 Uhr auf BR-KLASSIK

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