Ein Klassiker kommt wieder auf die Leinwand: Disneys "Schneewittchen" von 1937 war der erste abendfüllende Zeichentrickfilm überhaupt. Nun wagt sich Disney an ein Remake – und macht aus dem Märchenstoff ein hochpolitisches Musical. Kinostart ist am 20. März.
Bildquelle: Disney
Man sollte diesen Film unbedingt sehen, aber nicht aus Nostalgie. Hauptdarstellerin Rachel Zegler (bekannt aus "West Side Story" und "Tribute von Panem") machte schon im Vorfeld keinen Hehl daraus: So wie die Geschichte im Film von 1937 erzählt wird, mit einem Schneewittchen, das dafür gerühmt wird, wie weiß seine Haut ist, das bei den Zwergen den Haushalt macht und das im Todesschlaf geküsst wird, ohne seine Zustimmung geben zu können, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Und so ist völlig wahrheitsgemäß im Abspann zu lesen: "based on the 1937 Disney-movie …".
Der neue Film basiert also frei auf dem alten und lässt außer einigen visuellen und musikalischen Zitaten viel aus der alten Geschichte hinter sich: den Prinzen, den Glassarg, die psychoanalytische Dimension der Grimm-Erzählung. Disney konzentriert sich dafür auf ein anderes, hochaktuelles Thema: Solidarität und Umverteilung. Das ist vollkommen legitim, schließlich waren Märchen immer schon dazu da, sie nach Bedarf zu variieren.
Schneewittchens Eltern (die ihrer Tochter den Namen nicht wegen der Hautfarbe gegeben haben, sondern weil sie in einer Schneesturmnacht geboren wurde und der Name sie daran erinnern soll, dass sie eine Kämpfernatur ist) waren äußerst soziale Monarchen. Sie lebten unter dem Volk und brachten den Menschen häufig selbstgebackenen Apfelkuchen. Die Stiefmutter (großartig, auch gesanglich: Gal Gadot) hingegen steht neben dem narzisstischen Schönheitswahn für Luxus, Reichtum und Erbarmungslosigkeit den Schwächeren gegenüber. Sie interessiert sich nicht für Hunger, Not und Krankheit in der Bevölkerung.
Disney erzählt also von sozialer Ungerechtigkeit und der Arm-Reich-Schere. Schneewittchen verkörpert dabei die Utopie, die Sehnsucht nach der Erlösung: eine Prinzessin, die die Biografien der Untertanen kennt, die sich nach ihrer Vertreibung aus dem Schloss neben den Zwergen, also Bergarbeitern, und mit einer (neu dazu erfundenen) Robin-Hood-artigen Räuberbande anfreundet. Und (das erinnert an Bertolt Brecht) so wird sie zur Leitfigur einer Gesellschaft, die durch Solidarität und Empathie einer gierigen Despotin die Macht entzieht.
Optisch ist das Ganze opulent und feiert den Klassiker. Die Tiere und die Zwerge sind CGI-generiert und ihre Bewegungen und Handlungen zitieren zum Teil die aus dem Klassiker von 1937. Aber alles ist detaillierter, übertriebener, bunter. Sofort erkennt man Schneewittchens Kleid (das aber ein paar mehr Muster hat). Und natürlich dürfen die Hits aus dem Original nicht fehlen, die gelungen neu arrangiert wurden. Die Zwerge singen natürlich ihr "Heiho". Zum Jodellied feiert die Diebesbande mit den Zwergen zusammen.
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The Dwarfs - Heigh-Ho (From "Snow White"/Visualizer Video)
Besonders gelungen: Während Schneewittchen in der alten Fassung mit pfeifenden Vögelchen das Haus der Zwerge putzt, bringt sie in der neuen Fassung dem Zwerg, der nie spricht, das Pfeifen bei, damit der sich artikulieren kann. Dann delegiert sie Putzaufgaben an die Zwerge, und schließlich pfeifen und putzen Zwerge, Tiere und sie gemeinsam. Dazu tanzt sie genau wie in der Fassung von 1937.
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Whistle While You Work - Snow White and the Seven Dwarfs
Ein Wehrmutstropfen: Die alten Lieder sind musikalisch in der europäischen Tradition angesiedelt, die neuen in der amerikanischen Musicaltradition. Das verschmilzt nicht zu einem Ganzen, so gut die neuen Songs von Benj Pasek und Justin Paul ("Pasek and Paul") zum Teil auch sein mögen. Bei den Songtexten grüßen dann wieder Bertolt Brecht und Kurt Weill. Dürfen privilegierte Menschen überhaupt über unterprivilegierte moralisch urteilen? Diese Frage steht im Raum, wenn der Anführer der Diebesbande als Antwort auf Schneewittchens Anmerkung, man solle aber nicht stehlen, und ihre Klage über die schlimmen sozialen Umstände, das Lied "Princess Problems" anstimmt, das im Grunde die Botschaft beinhaltet: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
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Prinzessinnen-Probleme
Wem das alles zu viel ist, dem sei der Rückgriff auf das Original empfohlen. Aber ob man diesen Zugriff auf den Schneewittchen-Stoff nun mag oder nicht: Mutiger könnte ein Film aus den USA dieser Tage wohl kaum sein. Es bleibt zu hoffen, dass Disney den Weg seiner Protagonistin wählen und nicht vor dem zu erwartenden Druck der Mächtigen (als ein weiterer großer Medienkonzern) einknicken wird.
Sendung: "Allegro" am 20. März 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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