Das Gärtnerplatztheater eröffnet einmal mehr den populären Drag Queen-Club, der seit 50 Jahren in Schauspiel, Kino und am Broadway Furore macht. Ein ausgelassenes und viel beklatschtes Fest für die queere Community, das allerdings vergleichsweise museal und bieder wirkte. Aktuelle Anspielungen fehlten, Intendant Josef Köpplinger ging auf Nummer sicher.
Bildquelle: Markus Tordik
Als der phänomenale Schauspieler und Erfolgsautor Harvey Fierstein aus dem französischen Boulevardtheaterstück "Ein Käfig voller Narren" (Uraufführung 1973 in Paris) ein Broadway-Musical machen sollte, überlegte er kurzzeitig, die Handlung nach New Orleans zu verlegen. Doch er besann sich recht schnell: Damals, 1982, war offen gelebte Homosexualität selbst in New York nämlich noch ein politisch höchst umstrittenes Thema, deshalb blieb der Schauplatz das südfranzösische Saint-Tropez: "Das machte die Geschichte exotisch und wir gingen somit auf Nummer sicher. Wer scherte sich schon darum, wer es in Frankreich mit wem trieb, solange es Spaß machte?" schrieb Fierstein wörtlich in seinen Lebenserinnerungen.
Insofern wundert es nicht, dass der Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters, Josef Köpplinger, seine Inszenierung des Musicals ebenfalls im Frankreich der 70er-Jahre beließ und es nicht aktualisierte. Schließlich sei auch die Rechtslage eine andere, so Köpplinger gegenüber dem BR: "Wir haben überlegt, ob wir es in der heutigen Zeit spielen lassen, aber ich habe dann gesagt nein, es ist noch mal ein Unterschied, ob Homosexualität gesetzlich verboten ist wie in den 70er-Jahren. Ich wollte da die Historie nicht ankratzen, damals war es gesetzlich verboten. Es hat sich natürlich was geändert, die queere Community und die für sie eintretenden Menschen haben sehr dafür gekämpft, dass das 'nichtnormale' Leben tolerierbarer, öffentlicher geworden ist, aber trotzdem ist noch viel zu tun."
Bildquelle: Markus Tordik
Allerdings, denn Homosexualität ist heutzutage weder in Moskau, noch in Budapest politisch erwünscht und wie es Drag Queens dort ergehen würde, diesem titelgebenden "Käfig voller Narren", sei dahingestellt. Schade, dass das nicht thematisiert wurde. Stattdessen nahm Köpplinger das Publikum gleich zu Beginn mit auf einen Rücksturz in die Käse-Igel-Ära: Im Schnelldurchlauf wurden auf der Leinwand die Jahre von heute bis 1973 zurückgezählt und einige Wegmarken der queeren Emanzipationsbewegung abgeschritten. Bühnenbildner Rainer Sinell und Kostümdesigner Alfred Mayerhofer schwelgten dazu in Nostalgie, ohne es freilich mit den Schlaghosen zu übertreiben. Das machte den Abend leider deutlich musealer und biederer, als er hätte sein müssen.
Schließlich gibt es auch heute rechtskonservative Politiker, die eine vermeintlich allgemeingültige Moral vor sich hertragen. So blieb der knapp dreistündige Abend ziemlich harmlos und vorhersehbar. Gelacht wurde natürlich trotzdem, am Ende gab es stehende Ovationen, aber welche gesellschaftliche Sprengkraft dieses Boulevardstück im Jahr 1973 hatte, das war kaum noch nachzuempfinden. Armin Kahl hatte vor einiger Zeit am Gärtnerplatztheater als "Tootsie" nach dem gleichnamigen Hollywood-Film in jeder Hinsicht geglänzt, diesmal fehlten ihm der überbordende Narzissmus und das XXL-Ego für die Hauptrolle des Albin. Dafür ist er eigentlich zu bodenständig, zu nahbar, zu unkompliziert, kurz und gut: Er ist keine Diva.
Daniel Prohaska | Bildquelle: Markus Tordik
Daniel Prohaska als sein Lebensgefährte Georges war ebenfalls eine Spur zu brav für einen geschäftstüchtigen Nachtclubbesitzer an der Riviera. Ähnliches ließe sich über die meisten anderen Mitwirkenden sagen: Sie tanzten und sangen munter und temporeich, aber gänzlich ohne jede Provokation. Warum ein rechter Politiker etwas gegen sie haben sollte, erschloss sich nicht wirklich. Diese Art mehrheitsfähige Unterhaltung ist am Gärtnerplatztheater zum prägenden Stil des Hauses geworden und sorgt für eine Rekordauslastung. Josef Köpplinger will möglichst niemandem weh tun, schon gar nicht den Musical-Fans. Das verbindet ihn, wie eingangs erwähnt, mit dem Autor der Uraufführung, Harvey Fierstein. Aber das war erstens eine kommerzielle Produktion und es liegt mehr als 40 Jahre zurück. Insofern wäre mehr Mut zu wünschen gewesen, übrigens auch von Dirigent Jeff Frohner, der die bekannten Hits ausgesprochen konventionell und sinfonisch interpretierte und weder beim Tempo, noch beim Sound eigene, unerwartete (zum Beispiel rockige oder jazzige) Akzente setzte.
Mehr Informationen zu den Folgevorstellungen und der Inszenierung finden Sie hier.
Sendung: "Piazza" am 1. März 2025 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Freitag, 21.März, 17:39 Uhr
Brigitte Kettner
La Cage aux Folles
Habe das Stück immer wider mal in verschiedenen Städten gesehen, aber diese Kritik ist sehr ungerecht.
Es war eine sehr gelungene Aufführung mit genau passenden Darstellern,
muss denn immer alles verändert werden, wenn es wie es ist alles perfekt passt??
Dienstag, 04.März, 23:21 Uhr
Theresa See
La Cage aux Folles
Puh. Ich musste beim lesen dieser Kritik mehrmals den Kopf schütteln.
Ich war gestern dort und es war eine fantastische Aufführung. Die beiden Hauptdarsteller waren einfach großartig - wie verbittert muss man sein um da anderes zu behaupten.
Und zu ihrem Kommentar: „Warum ein rechter Politiker etwas gegen sie haben sollte, erschloss sich nicht wirklich.“ -> naja rechte Politiker (auch noch in heutigen Zeiten übrigens) lehnen Homosexualität ganz generell ab, da muss gar nicht viel obszönes noch passieren..
Also: ganz große Empfehlung meinerseits!
Samstag, 01.März, 21:22 Uhr
Tore
Kritik
Ich bin geschockt von dieser Kritik.
Ich werde das Stück am Montag anschauen. Ich habe die Musicalversion schon 3 mal gesehen an anderen Spielorten.
Und ich finde es sehr gut, wenn an solchen Kultmusicals nicht rumgebastelt wird. Nicht Alles aus früheren Zeiten war schlecht. Man muss nicht von Allem ein Remake machen
Samstag, 01.März, 16:55 Uhr
Erich Payer
Lá Cage aux Folles
Bin froh darüber, dass Josef Koepplinger das Gefühl und das Handwerk hat, Stücke für das Publikum und nicht für die Kritiker und Dramaturgen zu inszenieren.
Samstag, 01.März, 12:34 Uhr
Claus Obalski
LA CAGE AUX FOLLES
Sehr treffende Rezension.
Mit Wehmut denke ich an die grandiosen Aufführungen von 2007-2012 im selben Haus
mit Christoph Marti und Hardy Rudolz unter der Regie des genialen Helmut Baumann.