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Kritik - Marie Jacquot Imposantes Debüt bei Münchner Philharmonikern

Marie Jacquot, Ex-Tennisspielerin und gelernte Posaunistin, gehört zur jungen Elite aufsteigender Dirigentinnen, die gerade überall Furore macht: Derzeit Erste Gastdirigentin der Wiener Symphoniker, übernimmt Marie Jacquot im Sommer die musikalische Leitung des Königlich Dänischen Theaters in Kopenhagen, und 2026 wird sie als erste Frau Chefdirigentin in der ARD – beim WDR Sinfonieorchester. Am 15. Februar hat Marie Jacquot in der Isarphilharmonie im Gasteig HP8 ihr Debüt bei den Münchner Philharmonikern gegeben – mit einem spannenden Programm.

Marie Jacquot | Bildquelle: © Werner Kmetitsch

Bildquelle: © Werner Kmetitsch

Am Anfang ein Wispern, ein Flirren, ein Schaben, ein Schnarren, ein Hauchen und Zwitschern: In ihrem Orchesterstück "Between Trees" von 2021 hat die norwegische Komponistin Kristine Tjøgersen, Jahrgang 1982, ähnlich wie Olivier Messiaen Vogelstimmen und Tierlaute der Natur abgelauscht und instrumental imitiert. Ungewöhnliche Spielarten verlangt sie den Musikerinnen und Musikern ab, ungewöhnliche Percussion-Instrumente kommen zum Einsatz. Effektvolle Glissandi rauschen durch die Streicher, mit schwerem Blech geht es ins Unterholz, wuchernde Pilzkulturen verzweigen sich pulsierend. Tjøgersen setzt auf Geräuschhaftes, aber eben nicht so abstrakt wie Helmut Lachenmann, sondern konkret klangsinnlich. Naturhafte Klänge sind das, und dennoch nicht platt naturalistisch wie der Score zu einem Tierfilm – und nicht ohne Humor, wie mancher Lacher in der Münchner Isarphilharmonie im Gasteig HP8 verrät.

Marie Jacquot organisiert Klänge mit ruhiger Hand

Mit diesem attraktiven Opener startete die 34-jährige Marie Jacquot ihr Debüt bei den Münchner Philharmonikern. Mit ruhiger Hand organisiert sie Tjøgersens Klanguniversum, das mit Clustern von einlullenden Harmonien visionär verklingt. Und dann tritt Rudolf Buchbinder auf, mit seinen 77 Jahren pianistisches Urgestein, eine Instanz in Sachen Beethoven, unverwüstlich, ganz der alte Charmeur. Mit dem c-Moll-Konzert, dem dritten, setzt Buchbinder an diesem Abend seinen Münchner Beethoven-Zyklus fort – da präsentiert der Altmeister innerhalb weniger Wochen alle Fünfe mit vier verschiedenen Orchestern. Und manuell ist da noch alles da: markanter Anschlag, tadellose Läufe, perlende Trillerketten und kraftvolle Akkorde in den sehr idiomatischen Kadenzen. 

Marie Jacquot im Interview

Sie dirigiert von Erfolg zu Erfolg: Marie Jacquot. Diese Woche ist die junge Dirigentin in der Münchner Isarphilharmonie zu erleben. BR-KLASSIK hat mit der Dirigentin gesprochen. Zum Interview mit Marie Jacquot.

Rudolf Buchbinder gelingen magische Momente mit Beethoven

Buchbinder gelingen magische Momente, etwa am Ende der Kadenz zum Schluss des Kopfsatzes hin – da entsteht eine unheimliche Stimmung mit ferner Paukenbegleitung. Manchmal rennt er dem Orchester davon, so dass Marie Jacquot mit ihren Leuten kaum hinterherkommt, überhaupt handhabt er das Tempo recht frei. Zum lyrischen Gegenpol gerät dann der weltabgewandte langsame Satz. Bevor Buchbinder im Schluss-Rondo pointiert in die Tasten greift, manchmal barsch, auch verschmitzt – und bei heiklen Übergängen mal kurz zur Dirigentin hinüberschaut. Marie Jacquot begleitet mit schnörkellos-schlankem Orchesterklang, mit sparsamer Gestik setzt sie klare Akzente. Von historisch informierter Aufführungspraxis sind die Münchner Philharmoniker an diesem Abend denn doch noch ein Stück entfernt.   

Soloklarinettistin Alexandra Gruber: traumhafte Gestaltung

Buchbinder bietet grundehrliches Beethoven-Spiel, flüssig im Duktus, geläufig in den Fingern. Er betreibt erfreulicherweise keine Kraftmeierei, dazu passt der "französisch" leichte Orchesterklang. In der Ersten Symphonie von Jean Sibelius dreht Marie Jacquot dann die Phonstärke hoch, phrasiert mit mehr Körpereinsatz weiträumige Bögen, wie sie für die Musik des Finnen so typisch sind. Voller Energie legt sie sich in diese schwerblütige Musik, formt einen runden, warmen Orchesterklang, in dem nur die Blechbläser und der Pauker manchmal etwas zu martialisch auftrumpfen. Großes leisten die Hörner und die Holzbläser – denn mit einer einsamen Klarinettenmelodie, grundiert nur von einem dezenten Paukenwirbel, beginnt diese e-Moll-Symphonie. Traumhaft schön gestaltet Soloklarinettistin Alexandra Gruber diese für das ganze Werk formbildende Melodie. 

Marie Jacquot bei den Münchner Philharmonikern

Donnerstag, 15. Februar 2024, 19:30 Uhr
Freitag, 16. Februar 2024, 19:30 Uhr
München, Isarphilharmonie

Kristine Tjøgersen: "Between Trees"
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
Jean Sibelius: Symphonie Nr. 1 e-Moll, op. 39

Rudolf Buchbinder (Klavier)
Marie Jacquot (Leitung)

Weitere Infos zur Veranstaltung

Marie Jacquots erfolgreiches Debüt bei den Münchner Philharmonikern

Marie Jacquot | Bildquelle: © Christian Jungwirth Die Dirigentin Marie Jacquot leitete erstmals die Münchner Philharmoniker. | Bildquelle: © Christian Jungwirth Am Ende, nach einem zwischen Mendelssohn und Bruckner bizarr pendelnden Scherzo, weitet sich das Anfangsthema zu hymnischem Glanz, da entfaltet sich das ganze Drama dieser schmerzlich-schönen Musik. Und doch bleibt Marie Jacquots Interpretation bei aller Leidenschaft und Dynamik etwas vordergründig plakativ – um tiefer in die Materie einzudringen, wären wohl noch ein paar Proben mehr nötig gewesen. Denn vermutlich war Sibelius' Erste für die meisten Orchestermitglieder Neuland – zu hören bekommt man bei uns ja meist nur die Zweite oder die Fünfte. Insofern war man dankbar, mal den imposanten Erstling von Sibelius live im Konzert zu erleben. Herzlicher Beifall für ein sympathisches, spannungsvolles, letztlich auch erfolgreiches Debüt. 

Sendung: "Allegro" am 16. Februar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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