Seit dieser Saison ist der Mailänder Daniele Gatti als Thielemann-Nachfolger neuer Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle. Erste Station seiner Europatournee mit Frank Peter Zimmermann und einem Schumann-Programm war München.
Bildquelle: Pablo Faccinetto
Während draußen die ersten zarten Schneeflocken zögernd aus dem Nachthimmel fallen, liefert die Dresdner Staatskapelle unter ihrem neuen Chefdirigenten Daniele Gatti in der Münchner Isarphilharmonie den passenden Soundtrack dazu.
"Ciel d’hiver", also "Winterhimmel", heißt das magische Tonbild der 2023 verstorbenen Finnin Kaija Saariaho, mit der das sächsische Traditionsorchester die Konzerte auf seiner Europatournee eröffnet. Es ist das ausgekoppelte Mittelstück aus Saariahos "Orion"-Trilogie von 2002 über das gleichnamige Sternbild, den mythologischen Himmelsjäger. Und kosmisch kommt Saariahos Musik allemal daher mit ihren sirrenden, flirrenden, brodelnden und sphärischen Klängen, die einen sofort in ihren Bann ziehen. Ein attraktiver Opener, allerdings Galaxien entfernt von Robert Schumanns Welt, die im Fokus der Dresdner Tournee-Programme steht.
Stargast der Tour ist der bald 60-jährige, immer noch jungenhaft wirkende Meistergeiger Frank Peter Zimmermann, der sich schon immer neben dem Standardrepertoire für Raritäten begeistert und vehement eingesetzt hat. Das Violinkonzert aus dem Nachlass von Robert Schumann ist so ein Stiefkind des Geigenrepertoires, mit dem sich Zimmermann seit Jahrzehnten beschäftigt.
Als "Capell-Virtuos", wie der "Artist in Residence" bei den Dresdnern heißt, hat er sich jetzt erneut Schumanns Solitär vorgenommen, der wegen der tiefen Lage und der grifftechnisch hakeligen Ausgestaltung des Soloparts als undankbar und zu wenig virtuos gilt. Die dubiose Rezeptionsgeschichte des Werks, das von Clara Schumann, dem jungen Brahms und dem Auftraggeber Joseph Joachim als vermeintliches Produkt eines Geistesverwirrten lange unter Verschluss gehalten wurde, tat ein Übriges, um Schumanns Violinkonzert abzukanzeln.
Frank Peter Zimmermann spielt Schumanns Violinkonzert gemeinsam mit der Staatskapelle Dresden. | Bildquelle: © Irène Zandel Dass das keineswegs so sein muss, zeigt Zimmermann an diesem Abend mit seiner nach wie vor brillanten Technik, seiner makellosen Intonation und seiner enormen Gestaltungskraft. Nach dem grandios anrollenden Orchestertutti spürt er den verzweigten Figurationen Schumanns mit vielen kleinen Verzögerungen empfindsam nach – wie ein großer Erzähler führt Zimmermann durch diesen rhapsodischen Kopfsatz. Einmal mehr kann er im Mittelsatz, einer poetischen Gesangsszene, auf seiner Stradivari mit seinem edlen, goldenen Ton betören – nicht umsonst bezeichnet Zimmermann David Oistrach bis heute als sein großes Vorbild. Allerdings reißt Schumann hier am Ende kühne harmonische Klangräume auf, die in die finale Polonaise münden.
Dieser Satz ist der Knackpunkt in Schumanns Violinkonzert. Die Gretchenfrage lautet: Wie hältst Du’s mit dem Tempo? "Lebhaft, doch nicht zu schnell" hat Schumann den Satz überschrieben und mit eindeutiger Metronomangabe ein gemächlich schreitendes Polonaisen-Tempo vorgegeben. Zimmermann spielt den Satz zwar etwas langsamer als in seiner CD-Aufnahme von 1992 – aber zusammen mit Gatti wählt er einen gefälligen, fürs Publikum leichter konsumierbaren Mittelweg. Da sollte man schon den Mut aufbringen, den Satz so enervierend langsam zu spielen, wie es Isabelle Faust in ihrer fabelhaften Einspielung mit dem Freiburger Barockorchester unter Pablo Heras-Casado getan hat. Erst dann entfaltet er seine eigentümliche Magie.
Frank Peter Zimmermann im Interview: "Das Wissen über die Klassik ist zurückgegangen"
Die historisch informierte Aufführungspraxis war an diesem Abend ohnehin kein Thema. Die Dresdner Staatskapelle punktet in München mit einem famosen Hörner-Quartett und ihrem charakteristischen Holzbläser-Klang. Ansonsten aber bleibt der Gesamteindruck eines geschmeidigen, weichen, runden Streicherklangs, wenig markant schon bei der Begleitung Frank Peter Zimmermanns im Violinkonzert. Das liegt vor allem am Dirigenten: Daniele Gatti hat kein Gespür, kein Verständnis für die Rhetorik dieser Musik, wie dann vor allem Schumanns Dritte Symphonie zeigt, seine "Rheinische".
Obwohl Gatti auswendig dirigiert, kommt das nicht etwa einer stärkeren Profilierung der kompositorischen Ecken und Kanten von Schumanns Musik zugute. Ohne große dynamische Kontraste, ohne prägnante Artikulation und ohne den für Schumanns Musik so charakteristischen Swing, den seine widerständigen Rhythmen einfordern, plätschert ein Werk wie die "Rheinische" vergleichsweise belanglos dahin. Selbst die archaischen Posaunenklänge im "Feierlich" überschriebenen langsamen Satz, der eine sakrale Aura beschwört, verpuffen im pauschalen Einheitsklang.
Ein derart altbackenes Schumann-Bild, das nicht an die Untiefen seiner Musik rührt und im gepflegten philharmonischen Wohlfühl-Sound verharrt, wird diesem frei- und eigensinnigen Komponisten nicht gerecht. Das dünn gesäte Publikum in der Isarphilharmonie nahm's gleichwohl gelassen und zeigte sich begeistert.
Live aus der Dresdner Semperoper: Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielt Werke von Robert Schumann und Kaija Saariaho. Solist ist Frank Peter Zimmermann, es dirigiert Daniele Gatti. Mitschnitt vom 11. November 2024
Sendung: "Allegro" am 14. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Freitag, 15.November, 23:21 Uhr
Münchnerin
Bin völlig anderer Meinung als die des Rezenszenten.
Es war ein grandioser Schumann, endlich eine Interpretation wo die melodische Linie mehr als ein Akzent hier ein Akzent da gilt.
Übrigens ist die Liason zwischen Orchester und Gatti äußerst bemerkenswert: er lässt den Spielern Freiheit, aber der dramaturgische Bogen ist klar und überzeugend.
Bravo Maestro Gatti!
Donnerstag, 14.November, 22:13 Uhr
Gewandhausbesucher
Schumann mit Gatti
Ich habe die Kapelle mit fast demselben Programm am 11.11. in Dresden erlebt. Es war einfach fantastisch, wie die Musiker mit Daniele Gatti aufblühen und einen tiefgründigen Schumann spielen. Gewiss nicht wie bei Gardiner, aber das ist auch nicht Sinn und Zweck. Ich kann die Meinung, dass hier Schumanns Werke behäbig und belanglos gespielt werden nicht teilen. Vor allem freue ich mich, dass sich Daniele Gatti und Giuseppe Sinopoli in ihren Vorstellungen über diese Werke ähnlich sind.