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Christian Thielemanns Antrittskonzert in Berlin In Höchstform und mit einer Portion Kitsch

Christian Thielemann ist zurück in Berlin und gab am Montagabend seinen gelungenen Einstand als Generalmusikdirektor an der Staatsoper Unter den Linden. Solist war Igor Levit. Und gefeiert wurde auch Thielemanns Vorgänger Daniel Barenboim.

Antrittskonzert von Christian Thielemann mit Igor Levit in Berlin

Christian Thielemann bei seinem Antrittskonzert bei der Staatskapelle Berlin als neuer GMD. Er tritt damit die Nachfolge von Daniel Barenboim an, der ebenfalls beim Konzert war. | Bildquelle: Matthias Creutziger Christian Thielemann und sein Vorgänger Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin. | Bildquelle: Matthias Creutziger Gefeiert wurde an diesem Abend nicht nur Christian Thielemann, sondern vor allem auch sein Vorgänger: Daniel Barenboim. Nach dem Ende des Konzerts trat Berlins Kultursenator Joe Chialo auf die Bühne, und dann gab es gleich zwei Auszeichnungen für Daniel Barenboim, der über dreißig Jahre lang Generalmusikdirektor der Staatsoper war. Von der Staatsoper wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Die Staatskapelle Berlin ernannte Daniel Barenboim zu ihrem Ehrenchefdirigenten. Daniel Barenboim, sichtlich gesundheitlich nach wie vor schwer angeschlagen, zeigte sich extrem gerührt und fasste das in dem Satz zusammen: "Heute werde ich sehr gut schlafen."

Christian Thielemann: GMD in Rekordzeit

Die Berufung von Christian Thielemann als Generalmusikdirektor der Staatsoper hat eine eigene Geschichte. Zum einen ist es gewissermaßen eine Rückkehr nach Berlin. Thielemann, in dieser Stadt geboren, war einige Jahre GMD an der Deutschen Oper Berlin. Dass er diese Position dann sehr viel später an der Staatsoper übernehmen würde, war so zunächst nicht abzusehen.

Alles begann mit seinem kurzfristigen Einspringen für den verunfallten Herbert Blomstedt, dann hatte er für den erkrankten Daniel Barenboim die neue "Ring"-Produktion übernommen. Alles das ist gerade einmal zwei Jahre her. Und nach einer, ebenfalls von Barenboim übernommenen Tournee war längst klar: Die Staatskapelle und der Dirigent passen hervorragend zusammen. Und dann ging alles ganz schnell.

Einstand mit Kitsch

Was Christian Thielemann geritten hat, ausgerechnet Samy Moussas "Elysium" an den Beginn seines Einstandskonzertes zu setzen, kann man nur kopfschüttelnd fragen. Sicher, das hat er vor drei Jahren mit den Wiener Philharmonikern uraufgeführt, aber dieses klangsatte Überwältigungs-Panorama mit sich ineinander schraubenden Dur- und Molldreiklängen klingt wie durcheinandergequirlter Bruckner plus John Williams.

Das könnte als Untermalungsmusik für Unterwasser-Meeres-Dokus oder intergalaktische Phantasy-Filme gerade noch so hingehen, aber nach diesem triefenden Kitsch hat man nur einen Wunsch: Christian Thielemann möge uns zukünftig derartig peinliche Banalitäten ersparen.

Igor Levit enttäuscht – und berührt

Igor Levit spielt beim Antrittskonzert von Christian Thielemann als neuer GMD bei der Staatskapelle Berlin | Bildquelle: Matthias Creutziger Igor Levit war der Solist des Abends. | Bildquelle: Matthias Creutziger Als Solist hat sich Christian Thielemann den Pianisten Igor Levit eingeladen. Beide sind seit einigen Jahren gut befreundet, und in Felix Mendelssohn Bartholdys zweiten Klavierkonzert konnte man ansatzweise im langsamen Satz erahnen, wie ähnlich beide musikalisch denken. Das war streckenweise eine fein abgelauschte Oase des Friedens. Die Ecksätze jedoch rauschten durch, die Tempi teilweise extrem überzogen, es schien zu wenig geprobt zu sein. Klavier und Orchester waren oft ziemlich auseinander.

Erst in der Zugabe fand Igor Levit ganz zu seinen Qualitäten. Es war der 7. Oktober, und der Pianist sagte, an diesem finsteren Tag solle die Musik für sich sprechen. Und das tat sie auch. Maurice Ravels "Kaddisch" hatte er ausgewählt, im Original ein Lied, hier ganz vom Klavier übernommen. Und alles war da, was man vorher vermisst hatte – musikalische Intensität und ein traumhafter Anschlag, das war sehr bewegend.

Thielemann in Hochform

Nach der Pause hat sich Christian Thielemann dann Arnold Schönbergs Sinfonische Dichtung "Pelléas und Mélisande" vorgenommen. Klar, es ist der 150. Geburtstag des Komponisten in diesem Jahr, aber Thielemann kennt das Stück schon lange in- und auswendig – eine Partitur benötigt er nicht. Und so mussten es denn gar nicht Thielemanns Hausgötter Wagner, Strauss oder Bruckner sein. Der frühe Schönberg, noch ganz der Spätromantik verhaftet, hat das alles verinhaliert, nur noch deutlich extremer. Es klingt wie "Tristan", mit sich selbst multipliziert.

Wer da großes Überwältigungstheater erwartete, wurde positiv überrascht – zwar eine volle Bühne mit u. a. acht Hörnern und vier Harfen, aber Christian Thielemann brachte Struktur und Dramaturgie in diese Musik – eine Klarheit, wie wohl nur er sie in diesem Werk derzeit erreichen kann. Er führt wie ein Audioguide durch das Labyrinth. Und vor allem: Die Staatskapelle, jetzt ja seine Staatskapelle, frisst ihm aus der Hand. Selten hat man ein Orchester so glücklich erlebt – und selten so gut. Gerne mehr davon. Das war der offizielle Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Sendung: "Allegro" am 8. Oktober 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (8)

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Sonntag, 13.Oktober, 17:44 Uhr

Dr.M.Adelhelm

Konzert mit Thielemann und Lev it

...warum wurde uns Zuschauern die Zugabe von Igor Levit vorenthalten???
Sehr schade!!!!

Donnerstag, 10.Oktober, 18:57 Uhr

Trappe

Mendelssohn

Ich habe mir das Werk angesehen, abgesehen von unsauberen zu vielen Orchestereinsätzen (es klappert die Mühle am rauschenden Bach) hat Levit da eine hochromantische Nummer daraus gemacht. Viel schlimmer war sein affektiertes Verhalten, zB den Finger auf den Mund zu legen etc Es war insgesamt sauber gespielt, aber dies war es für mich; die musikalische Aussage fehlte mir hinten und vorne, das hat Ragnar Schirmer viel überzeugender zB gespielt. Das Orchester muss nach Jahren des Barenboimschen Tiefschlafs - er hat schon lange die Zügel schleifen lassen - erst einmal wieder in Form kommen.

Mittwoch, 09.Oktober, 10:15 Uhr

Dominik Merk

Elysium als Peinlichkeit?

Was hat den Kommentar-Schreiber da nur geritten... Die einzige Peinlichkeit ist diese Spitze gegen ein herausragendes Werk. Diese fein verwobenen Klangfarben, die Vielschichtigkeit der Motivik, die Tempi- und Dynamik-Variationen - all das ist doch genau das, was Musik ausmacht. Die Musik ist nicht "durchgequirlter Brucker" x "John Williams", sondern der Kommentar dazu ist Bildzeitungsniveau x durchqequirlter Richard David Precht!

Dienstag, 08.Oktober, 17:58 Uhr

TFF

Fehlte da nicht etwas?

Was ist denn das für ein Antrittskonzert als GMD ohne Staatsopernchor und Ensemblemitglieder?!
Stattdessen ein Sinfoniekonzert und das Opernhaus als Konzertsaal umfunktioniert, frage mich bei aller künstlerischen Brillanz, fällt das niemandem auf? Markenkern muss doch wieder die Oper und alles was da dazugehört sein oder wozu braucht es sonst einen GMD an einer Staatsoper?

Dienstag, 08.Oktober, 15:53 Uhr

Margret Molter

Antrittskonzert: Thielemann/Levit vom 7. 10. 24

Ein solches Gedenken an die Opfer mit d i e s e r Musik konnte nicht bewegender sein und war höchstes Niveau. Musik i s t mehr als Worte.
D a s allein war den Abend wert.
Ein Dank an Levit.

Dienstag, 08.Oktober, 14:51 Uhr

Ursula Hein

Thielemanm

Toll, dass wir Dank Radio auch mit dabei sein konnten,transparent und lyrisch der frühe Schönberg.Ein Hochgenuss!

Dienstag, 08.Oktober, 14:02 Uhr

Tobias M.

Immer noch besser...

... man spielt ein Werk wie Moussas "Elysium" als die atonalen Peinlichkeiten von Schönberg und seinen Nachfolgern.

Epigonal ist es vielleicht, dass Thielemann hier in den Spuren Manfred Honecks wandelt, der sich für dieses Stück einsetzt und es bei verschiedenen Gastdirigaten aufführte (bei YouTube gibt es mindestens zwei Aufführungen).

Und es ist ein Totschlagargument, wenn man sagt, diese Musik könne auch als Filmmusik dienen. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Pauschal gesagt: Filmmusik ist nicht so völlig korrupt wie die sogenannte "Neue Musik" und kann deshalb teilweise auch ohne Film genossen werden (natürlich ein weites Feld, und man muss von Werk zu Werk unterscheiden), während die "Neue Musik" für mich eigentlich fast ausnahmslos ungenießbar ist und mir nicht mehr gibt als das Einstimmen der Musiker zu Beginn.

Natürlich kann ich auch ohne "Elysium" leben, aber eine Aufführung solcher Stücke statt "Neuer Musik" ist eine "Zeitenwende", die ich ausnahmsweuse begrüße.

Dienstag, 08.Oktober, 12:38 Uhr

Editha Majer

Thielemann Konzert von gestern

Habe mit großem Interesse gelesen. Vor allem, dass er sein Repertoire so erweitert. Vielleicht erleben wir auch noch, dass er sich Mozart und Schubert zuwendet. Mein Wunsch: Schuberts sind. Nr. 8. Thielemann tritt für mich die Kleiber Nachfolge an.

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