An der Wiener Staatsoper feierte die Neuinszenierung von Vincenzo Bellinis "Norma" Premiere. Sopranistin Federica Lombardi blieb in der Titelpartie blass, Tenor Juan Diego Flórez als Pollione ebenfalls. Die Inszenierung von Cyril Teste enttäuschte. Eine Kritik von Walter Weidringer.
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Am Ende des ersten Aktes bricht der Konflikt voll aus. Norma muss erfahren, dass Pollione, mit dem sie im Geheimen zwei Kinder hat, sich von ihr abwenden will. Polliones neue Liebe Adalgisa aber hatte keine Ahnung von dessen langjährigen Beziehung zu ihrer Mentorin und Freundin Norma und ist wie vor den Kopf gestoßen. Die Gefühle liegen allerseits blank. Was passiert an dieser Stelle auf der Bühne der Wiener Staatsoper?
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Da werden zuerst brav die Hände gerungen und Gesangsphrasen abgeliefert, in einem recht gediegen-bürgerlichen Ambiente. Erst im Orchesternachspiel bricht sich plötzlich Normas Temperament Bahn: Mit ein paar wohlgesetzten Bewegungen fegt sie Tischdecke und Geschirr zu Boden. Und weil Cyril Teste in seiner Inszenierung mit Live-Kameras operiert, ist das grimmige Gesicht von Federica Lombardi noch in Großaufnahme zu sehen, wenn der Vorhang fällt. Die Expression dieses Gesichtes, vor Schmerz und Hass verzerrt: Man hätte sie nur zu gerne zuvor irgendwann auch im Gesang gehört. Nein, keineswegs als veristische Fratze, sondern sublimiert, überhöht, in Noblesse verwandelt. Fehlanzeige.
Eine knappe Woche nach der "Norma" mit Asmik Grigorian und Aigul Akhmetshina am Theater an der Wien brachte nun das Haus am Ring seine eigene Neuinszenierung von Bellinis anspruchsvollstem Werk heraus – fast 35 Jahre nach den letzten von nur 20 Vorstellungen jener glücklosen Produktion von 1977, bei der Riccardo Muti mit einem unwilligen Orchester zu tun hatte, Montserrat Caballé in der Titelpartie unter den Erwartungen geblieben war und vor allem die Ausstattung unfreiwillig komisch gewirkt hatte. Danach war das Stück hier nur noch fallweise konzertant angesetzt worden, etwa 2005 und 2007 für Edita Gruberova. Das war immerhin ein Grund.
Und nun also zwei szenische Neuproduktionen innerhalb weniger Tage in Wien. Eine Art Lokalderby, wenn man so will, das durchaus vermeidbar gewesen wäre – aber lieben Opernfans nicht ohnehin nichts mehr als den Vergleich? Seit langem schon waren alle Vorstellungen ausverkauft, hüben wie drüben. Dass freilich der musikalische Sieg für das Theater an der Wien ausgehen würde, war zumindest in dieser Deutlichkeit keineswegs klar. Und auch ein bisschen traurig.
Denn vom Konzept her gibt es sogar schlagende Ähnlichkeiten. Nach Vasily Barkhatov, der als Schauplatz eine Skulpturenfabrik in einem Land nach einem diktatorischen Putsch gewählt hat, wähnt man sich bei Teste und seiner Bühnenbildnerin Valérie Grall vielleicht irgendwo in der Ukraine, in einem zum Flüchtlingslager umfunktionierten Sakral- oder Industriebau. Die Frauen tragen große Schulter- oder Kopftücher mit langen roten Fransen, die sie bei ihren traditionellen Kulthandlungen verwenden (Choreographie: Magdalena Chowaniec), andere Frauen wie Männer sind im Räuberzivil von Partisanen (Kostüme: Marie La Rocca).
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Das will also im Vergleich zum eher harten Realismus im Theater an der Wien auf ästhetisch-poetische Qualitäten setzen – und gelingt insofern auch dadurch, dass Julien Boizard in diesen Räumen schöne Lichtstimmungen erzielt und auf transparenten Zwischenvorhängen immer wieder auch die Natur mit einbezogen wird. Und ja, wie bei Testes Wiener "Salome"-Inszenierung gibt es auch hier wieder einen dazugehörigen Duft, den der französische Parfümeur Francis Kurkdjian kreiert hat. Diesmal kommt er nicht über die Lüftungsanlage, sondern ist von einer extra verpackten Einlagekarte im Programmbuch zu erschnüffeln: Waldboden, holzig und erdig.
Von diesem Abend hat man freilich auch so rasch die Nase voll. Denn Testes vom puren Realismus sich abkehrende Deutung in Ehren, aber: Der Funke springt nicht über. Normas und Polliones Kinder mögen in Live-Riesenprojektionen ja wunderbar telegen wirken. Aber die Protagonisten sind so sehr sich selbst und den Standardgesten des Opernalltags überlassen, dass man sich in der Repertoirevorstellung einer altgedienten Inszenierung wähnt, bei der der ursprünglichen Absichten sich längst verflüchtigt haben.
Vor allem aber gibt es musikalische Mankos. Nein, natürlich war nicht alles schlecht. Wenn Juan Diego Flórez als Pollione unmittelbar vor seiner Cavatina im ersten Akt gesteht, dass ihn noch die Erinnerung an den ersten Anblick Adalgisas erzittern lasse, dann erfüllt er diese Phrase ("In rammentarlo io tremo") nicht mit klanglichem Schaudern, sondern mit Liebessüße. Und wenn er ihr später eine gemeinsame Zukunft in Rom ausmalt, dann tut er das so innig, dass man ihm glaubt, dass er es selbst glaubt. Und wenn Federica Lombardi sich bei der arglosen Erzählung Adalgisas an ihre eigene Begegnung mit Pollione erinnert, dann gelingt ihr eine ausdrucksvoll-erfüllte Phrase ("Oh! Cari accenti …").
So etwas bleibt aber die Ausnahme – und kann in Summe nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese beiden Partien unterbesetzt sind. Gewiss ist Flórez keineswegs nur ein sicherer Lieferant etwa der hohen Cs des Tonio in der "Regimentstochter", sondern ein meisterlicher Stimmbeherrscher und begnadeter Stilist. Ein Pollione hingegen ist er nicht. Zu dieser Diagnose ist gar nicht erst der Vergleich mit Freddie De Tommaso nötig, der am Naschmarkt oft etwas ungeschlacht-vehemente Stentortöne hatte hören lassen. Aber zu leise und zu leichtgewichtig war er nicht. Flórez fehlt es an Kraft und Volumen, er verausgabt sich jenseits seiner Grenzen. Dafür musste er hinterher sogar ein paar Buhs einstecken.
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Weitaus höflicher und nachsichtiger ging das Premierenpublikum mit Federica Lombardi um. Dabei wäre auch hier nicht die frische Erinnerung an Asmik Grigorian unerlässlich, um erkennen zu lassen, was ihr alles für die Norma fehlt. War bei der Litauerin das musikalisch Aufregende, wie sie ihre dramatische Stimme sozusagen immer wieder durch Bellinis Nadelöhr zwingen würde, und wie sie das mit ihrem darstellerischen Feuer zu verbinden wusste, ist die Italienerin nun gleichfalls keine versierte Stilistin, sondern kommt klar von der lyrischen Seite. Das bedeutet leider, dass sie sowohl in den verzierten Abschnitten Schwächen zeigt als auch beim sonoren Stimmfundament, bei den mehr Kraft erfordernden Spitzentönen und erst recht den dramatischen Steigerungen. Zusammen mit blasser Bühnenpersönlichkeit und einer wenig packenden Darstellung reicht das nicht annähernd aus, um eine echte Alternative zu Grigorian zu bieten.
Dabei hätte Michele Mariotti am Pult diesen leichten, zu leichten Stimmen durchaus geholfen. Mit großer Liebe zum Detail hat er mit dem wendigen, willigen Orchester an Farben, Artikulation und Dynamik gearbeitet. Aber er kann nicht wettmachen, dass von der Bühne her zu wenig musikdramatische Souveränität und Intensität kommt, sondern eher ein bemühtes Konzert stattfindet. Und noch merkwürdiger, wie sehr er etwa gleich beim Auftritt der Adalgisa zu einer Breite tendiert, die den Abend noch durchhängen lässt: Adagio statt Andante. Dabei ist Vasilisa Berzhanskaya eindeutig auf der Habenseite zu verbuchen – und verfügt auch über deutlich mehr dramatische Reserven und Agilität als Lombardi. Nominell ist sie ein Mezzosopran, dabei aber sehr hell timbriert und deshalb in der Stimmfarbe weitaus näher an Lombardis Norma, als das bei der Paarung von Grigorian mit Aigul Akhmetshina der Fall gewesen ist. Hier lautet der Schlüssel für den Wohllaut des Zusammenklangs also Ähnlichkeit, nicht passender Kontrast.
Immerhin übertrifft Ildebrando D’Arcangelo als klangsatter Oroveso seinen im anderen Haus tätigen Kollegen Tareq Nazmi, auch wenn der bei Barkhatov als Vorarbeiter in der Fabrik weitaus klarer definiert war als hier. Tadellos jedenfalls auch der Staatsopernchor und Anna Bondarenko sowie Hiroshi Amako als Clotilde und Flavio.
Am Ende erstaunlich viel Jubel, vereinzelte Buhs für Flórez und doch etlichen Widerspruch gegen das Regieteam. Ein Erfolg klingt jedenfalls anders.
Mehr Informationen zu den Folgevorstellungen und der Inszenierung finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 24. Februar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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