Asmik Grigorian bei ihrem Debüt in der Titelpartie von Bellinis "Norma" am MusikTheater an der Wien: Jubel für die Sopranistin, das ganze Ensemble und, fast unwidersprochen, auch für den Regisseur Vasily Barkhatov, der die Geschichte in einer Diktatur der Gegenwart ansiedelt.
Bildquelle: © Monika Rittershaus
Alle sind fort: Das Verhör findet unter vier Augen statt. Norma kann Polliones Kopf aus der Schlinge lösen, lässt aber seine Hände gefesselt. Ruhig setzen sich die beiden nebeneinander auf eine Bank. Sie zündet sich eine Zigarette an, macht ein paar Züge, teilt sie dann mit ihm. Hin und her geht die Zigarette während Normas anfangs noch erstaunlich ruhiger Aussprache mit Pollione, dem Vater ihrer Kinder, der nun eine andere liebt: „In mia man alfin tu sei – Endlich bist du in meiner Hand“, singt sie, ohne Aggressivität. Sie will ihn umstimmen. Vergeblich. Am Ende will sie deshalb sogar sterben. Auch das vergeblich.
Eine überaus heutige, in den emotionalen Mechanismen glaubwürdig gezeigte Trennungsgeschichte steht im Mittelpunkt von Vasily Barkhatovs Inszenierung von Vincenzo Bellinis "Norma" am MusikTheater an der Wien. Bei ihm spielt die Geschichte nicht im von den Römern besetzten Gallien, sondern in einem Land des 20. Jahrhunderts, das in eine Diktatur kippt. Hauptschauplatz ist eine Fabrik, in der Norma im schwarzen Overall als Vorarbeiterin fungiert. Hier wurden früher christlich-religiöse Statuen hergestellt, jetzt nur noch Büsten des Diktators. Bruchstücke von damals sind Reliquien für Norma und die unterdrückte Belegschaft, die vom Gegenschlag träumt: Kunstreligion als Ersatz für die verlorene Freiheit und Erinnerung an sie.
Etwas weniger glaubwürdig ist, dass die Beziehung zwischen Norma und Pollione samt zweier Kinder unter den gezeigten Umständen tatsächlich hätte geheim bleiben können. Innen und Außen von Normas Wohnung bleiben auf Zinovy Margolins Bühne architektonisch vermutlich bewusst unklar. Aber auf Details wie diese verschwendet man letztlich nicht zu viele Gedanken, dazu wirkt das Gesamtereignis Asmik Grigorian bei ihrer ersten Norma einfach zu echt und intensiv.
Ja, Asmik Grigorian: Mit Belcanto-Repertoire im engeren Sinne hat man die Singschauspielerin bislang kaum in Verbindung gebracht. Ihre größten Erfolge hat die Sängerin mit dem eigentümlichen, gleißenden Sopran bislang dort errungen, wo ihre Stimme immer wieder vom Orchester getragen und eingehüllt wird – bei Strauss oder auch Puccini, zuletzt an der Wiener Staatsoper sogar in der Titelpartie der Turandot".
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Aber Grigorian ist immer für Überraschungen gut. So auch in dieser berühmt-berüchtigten Partie, die der Sängerin weiträumige, ausdrucksvolle Kantilenen abverlangt, Volumen, Kraft und die Farbe für dramatischen Furor sowie Leichtigkeit und Beweglichkeit für funkelnde Koloraturen und saubere Spitzentöne. Fähigkeiten, die in dieser Kombination nie häufig waren – und bei denen sich alle, die sich seit der Callas an die Norma gewagt haben, auch individuell nach der Decke strecken mussten. Grigorian wollte die Partie als Hommage an ihre Mutter singen, die Sopranistin Irena Milkevičiūtė: Sie selbst stand einst mit der Mama als eines von Normas Kindern auf der Bühne. Ursprünglich schon für 2020 geplant und aus Pandemiegründen verschoben, wurde die Produktion nun nachgeholt – und fast widerspruchsfrei bejubelt.
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Das Dramatische liegt der Grigorian jeden Fall, dem Lyrischen mögen Wärme, Rundung und Glanz fehlen, und das Verzierte tönt immer wieder etwas ungelenk. Es ist ein Kampf, aber der Kampf hat etwas faszinierend Expressives. Und in Summe triumphiert sie, weil sie den Großteil der rein stimmlichen Mängel wettmacht: Als furios zürnende, still leidende, sarkastisch räsonierende, todeswütige Norma. Als Mutter, die gar nicht anders kann als ihre Kinder auch zu instrumentalisieren in diesen Trennungswehen. Schlicht: als Bühnenpersönlichkeit. Vorausgesetzt, man lässt sich auf eine Lesart ein, die Bellini nicht von der historisch informierten Seite zum Klingen bringt, sondern in einer Art Rückschau, die zumindest teilweise durch die Brille des Verismo erfolgt.
Von der Magie und der Melancholie der Bellini’schen Kantilenen, von der klassischen Hoheit seiner Musik, von der edlen Schönheit, die das Wahre, vielleicht notgedrungen Hässliche überhöht: Davon vernimmt man an diesem Abend weniger. Viel aber von jener packenden Wahrheit, in der das Schöne noch fühlbar ist, auch wenn es nicht mehr die Hauptsache sein kann. Geht eine Liebe zu Ende, mündet das oft in Brutalität.
Das trifft sich auf eigentümlich überzeugende Weise mit den Absichten des Dirigenten Francesco Lanzillotta. Mit den tadellosen Wiener Symphonikern und dem famosen Arnold Schoenberg Chor präsentiert er Bellini nicht als Vorbild etwa für Chopin und dessen belkantesk federnde, ins Pianistische übersetzte Koloraturgirlanden, sondern er leitet ihn vielmehr von der Dramatik Beethovens und Cherubinis her.
Insofern müsste Freddie De Tommaso für den Pollione nicht gleich Otello-Geschütze à la Mario del Monaco auffahren: Anfangs schien er mit seinem markerschütternden Gesang das bis vergangenen Herbst gerade noch generalsanierte Theater an der Wien einer Statikprüfung unterziehen zu wollen. Spätestens nach der Pause aber wurde sein Vortrag kultivierter. Von Anfang an aber wohltönend: die Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina, die als Adalgisa bis auf wenige nicht ideal saubere Töne in allen Lagen Beweglichkeit beweist und wunderbar ausgeglichen klingt. Tareq Nazmi bleibt als braver Oroveso auch von der Regie her etwas blass, wunderbar mitleidend die treu sorgende Clotilde von Victoria Leshkevich, einwandfrei Gustavo Quaresma (Flavio).
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Der Fabriksbrennofen für die Statuen, der bei offenem Vorhang schon vor dem allerersten Takt in Betrieb gezeigt ist: Da glaubte das versierte Opernpublikum schon die Nachtigall trapsen zu hören – soll heißen: Es rechnete mit dem Feuertod von Norma und Pollione in dessen Flammen. Doch Barkhatov, übrigens der Ex-Partner von Asmik Grigorian, versagt den Figuren diese über- oder unmenschliche Flucht aus dem Leben. Norma will sterben, aber Pollione reißt sie im letzten Moment weg, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, gerettet zu werden. Es gibt also ein Leben nach dem Tod – zumindest nach dem Tod einer Beziehung.
Sendung: "Allegro" am 17. Februar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 18.Februar, 13:09 Uhr
Karl Bauer
Norma Theater an der Wien
Warum wird heute nicht mehr das Werk gezeigt und schon gar nicht musikalisch interpretiert???? So schlecht ist doch Bellini gar nicht????