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Kritik – "Die Zauberflöte" in Wien Wenn der Wind durchs Spukhaus pfeift

Regisseurin Barbora Horáková siedelt Mozarts letzte Oper jenseits von Freimaurersymbolik in einem Spukhaus an. Das hat seinen Reiz, doch bleiben allzu viele Fragen offen. Unter Leitung des Einspringers Bertrand de Billy ist der Eindruck am Premierenabend auch auf musikalischer Seite durchwachsen. Dennoch gibt es Glanz im Ensemble der Wiener Staatsoper. Eine Kritik von Walter Weidringer.

Mozarts "Zauberflöte" an der Wiener Staatsoper, inszeniert von Barbora Horákova. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova

Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova

Unheimlich, die verlassene Villa inmitten des heruntergekommenen Gartens. Aber drei unerschrockene Buben auf ihren Fahrrädern lassen sich nicht so leicht Angst einjagen. Sie dringen zu einem Erkundungsgang ins alte Gemäuer ein – und haben ausgiebig Spaß beim Herumspielen mit manch gruseligen Relikten wie hängenden Käfigen. Doch auch wenn sie vorerst schnell wieder türmen mögen, weil ihnen doch die Angst in die Glieder fährt: Bald werden sie an diesem rätselhaften Ort hineingezogen in ein Geschehen, das offenbar in einer merkwürdigen Parallelwelt spielt …

Gothic Horror in Wien

Vom ikonischen Haus in Hitchcocks "Psycho", über düstere Graphic Novels in Schwarzweiß und Tim Burtons "Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche", bis hin zur Netflix-Serie "Stranger Things": Gleich mehrere Generationen werden mit Anspielungen auf die reiche Tradition des Gothic Horror bedient in Barbora Horákovas Neuinszenierung der "Zauberflöte", die am 27. Januar 2025 an der Wiener Staatsoper Premiere hatte – an Mozarts 269. Geburtstag.

Puppenhaus, Projektionen, Perspektiven

Mozarts "Zauberflöte" an der Wiener Staatsoper, inszeniert von Barbora Horákova. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Serena Sáenz als Königin der Nacht | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Falko Herold lässt dabei Videos und Bühnentechnik gekonnt ineinander spielen: Schwarze Projektionswände verengen entweder den Blick auf Fenster und Türen, einzelne Räume und Treppen, die wie in einem riesigen Puppenhaus separat als Spielorte gezeigt werden. Sie geben den Blick auf die große Halle oder später auch den verschneiten Garten hinter dem Haus frei – oder sie drängen einzelne Figuren ganz an die Rampe, damit dahinter in Ruhe umgebaut werden kann. Das verbreitet durchaus Stimmung, bedient Schauwerte abseits ausgetretener Pfade und bietet ironische Überraschungen: etwa, wenn der Sprecher als Barkeeper Gläser poliert oder Sarasto bei seinem ersten Auftritt, Kusshände werfend, im Kleid der Königin der Nacht auf einer Mondsichel von der Decke herabschwebt.

Die brühmtesten Opernfiguren

Königin der Nacht – die Zerissene

Lebensreise in den Tod mit offenen Fragen

Aber so ganz schlüssig wird Horákovas neue Erzählung der Handlung nicht. Es scheint sogar, als hätte sie Angst vor der eigenen Courage bekommen. Wenn Tamino und Pamina im Laufe des Abends ergrauen, denkt man schon beeindruckt, der viel beschworene Weisheitstempel von Isis und Osiris sei ein Symbol für das Jenseits – und die beiden müssten sozusagen Sterben lernen auf ihrer Lebensreise der Prüfungen. Eine bewegende Idee.

Die Bilder aber, die Horákova dafür findet, bleiben letztlich zu unbestimmt und scheuen vor eindeutigen Konsequenzen und Aussagen zurück, ohne dass diese Unbestimmtheit eine eigene Poesie entwickeln könnte. Und die Idee mit dem Spukhaus verwässert leider im Laufe des Abends auch immer mehr. Was ist das eigentlich für eine frauenfeindliche Männergesellschaft, die da bei der Vorstandssitzung im Salon Karotten knabbert? Was führt dieser Sarastro im Schilde? Regiert er in einer alternativen Realität – oder in der Vergangenheit? Das bleibt alles offen.

Knirschen im Inszenierungsgebälk

Mozarts "Zauberflöte" an der Wiener Staatsoper, inszeniert von Barbora Horákova. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Bei Feuer- und Wasserprobe wird das hohe Paar zum Quartett. Tamino und Pamina haben ein betagtes Alter Ego in Puppengestalt auf den Rücken geschnallt und bedienen die Puppenarme mit Stangen. Stellen die singenden Menschen die Seelen der beiden dar? Sterben die alten Körper, wenn die Puppen danach in die Höhe gezogen werden? Aber: Müssten Leichen nicht gerade unten zurückbleiben? An Stellen wie diesen knirscht es im Inszenierungsgebälk und pfeift der Wind durch dramaturgische Löcher des Spukhauses.

Glockenspiele für alle

Im Finale jedenfalls kommt es zur großen Versöhnung, alle Charaktere sind verwandelt, haben ihre Kostüme abgelegt und treten nun in allgemein menschlicher Freizeitkleidung auf. Auch die Königin der Nacht wird nicht etwa verdammt oder vertrieben, sondern segnet den Bund zwischen Tochter und Schwiegersohn freundlich. Sogar mit Sarastro hat sie Frieden geschlossen: ganz nach Art geschiedener Eltern bei der Hochzeit ihres Kindes. Und alle haben plötzlich eine eigene Ausgabe von Papagenos Glockenspiel: Reicht das für die "beste Harmonie"?

Einspringer am Pult: Bertrand de Billy

Auch musikalisch bleiben Wünsche offen. Das beginnt bei Bertrand de Billy, der für Franz Welser-Möst eingesprungen ist, mit dem und für den diese Premiere eigentlich geplant war. Bis weit in den ersten Akt hinein besteht de Billy auf einer rigiden Hurtigkeit, die jede melodische oder gar rhetorische Entfaltung von Phrasen sowie das Entstehen einer musikalischen Wechselrede so gut wie unterbindet. Bei dieser Überdosis Hektik aus dem Graben kommt denn auch der Chor schon mal merklich ins Schleppen. Wie die Mozarttradition der Wiener Philharmoniker im 21. Jahrhundert fortzusetzen und mit Elementen der historischen Aufführungspraxis zu verbinden wäre, ist eine nach wie vor ungelöste Frage.

Eng klingender Tamino, betrunkener Papageno

Mozarts "Zauberflöte" an der Wiener Staatsoper, inszeniert von Barbora Horákova. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Eine gewisse Anlaufzeit, vielleicht zur Überwindung der schlimmsten Premierennervosität, brauchten auch einige im Ensemble. Julian Prégardien ist bekanntlich ein kultivierter Sänger, aber warum klang sein Tamino vor allem zu Beginn des Abends schon bei geringer Höhe so eng und flach? Das sollte doch technisch in den Griff zu bekommen sein. Auch Ludwig Mittelhammer musste sich als sprachlich zwischen Bairischen und Wiener Anklängen vermittelnder Papageno erst akklimatisieren: Zunächst klang sein Bariton recht leichtgewichtig, mit mehr Lockerheit kam auch Klang hinzu. Seine beste Szene liefert er, wenn er in der letzten Strophe von "Ein Mädchen oder Weibchen" sich der Volltrunkenheit nähert: der Vogelfänger als Ahnherr des Frosch in der "Fledermaus".

Strahlende Herzenstöne der Pamina

Georg Zeppenfeld mag mittlerweile schon etwas schmaler klingen als noch vor wenigen Jahren. Trotzdem weiß er den Sarastro auch dann mit sonorer, äußerlich vielleicht bewusst etwas steifer Würde auszustatten, wenn so wie hier gar nicht recht klar wird, was er eigentlich im Sinn hat, dieser ausgefuchste Politiker mit all seinen misogynen Behauptungen und anfechtbaren Strategien. Die Königin der Nacht scheint daneben mit offenen Karten zu spielen: Serena Sáenz gelingt nicht jeder Ton lupenrein, sie macht aber den nötigen dramatischen Effekt. Die Krone des Abends gebührt jedenfalls Slávka Zámečníková für eine Pamina der Herzenstöne: Ihr Sopran klingt füllig und edel, sie phrasiert schön und mit unverstelltem Ausdruck.

Durchwachsener Gesamteindruck

Mozarts "Zauberflöte" an der Wiener Staatsoper, inszeniert von Barbora Horákova. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Bildquelle: Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiova Licht und Schatten auch im übrigen Ensemble: Matthäus Schmidlechner singt einen charaktervollen Monostatos, der hier, mit entsprechenden kleinen Textänderungen (Isabella Gregor), vom "Mohren" zum Kohlenschaufler geworden ist. Weisheits-Bartkeeper Jochen Schmeckenbecher mag ein gestandener Alberich sein, wirkt aber in der Partie des Sprechers keineswegs so markant und eindringlich wie erhofft. Die drei Knaben, die sich im Geisterhaus in Koboldfiguren verwandeln, sind vor allem typmäßig und darstellerisch erfreulich. Und weder die drei Damen (Jenni Hietala, Alma Neuhaus, Stephanie Maitland) noch die Geharnischten (Devin Eatmon, Evgeny Solodovnikov) machen durch besonders feinfühlig aufeinander abgestimmte Vokalfarben auf sich aufmerksam. In Summe hätte man sich also stärkere vokale Glanzlichter gewünscht in der Düsternis dieser Spukhaus-"Zauberflöte", deren Spuk mehr Logik und Konsequenz vertragen hätte.

"Die Zauberflöte" an der Wiener Staatsoper

Mehr Informationen zu den Folgevorstellungen und der Inszenierung finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 28. Januar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 28.Januar, 18:17 Uhr

4. Dame

Zauberflöte Kritik

Danke für die Qualität dieser Kritik!

Ich hoffe, es gibt noch jemanden in der Redaktion, der den Unterschied zu den meisten anderen Kritiken an dieser Stelle erkennt und daraus erkennbare Schlüsse zieht.

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