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Summer School in Theresienstadt Auf den Spuren der Komponistin Rachel Danziger

Künstlerinnen und Künstler, die zur Nazizeit verfolgt wurden – an sie erinnert das Projekt "Musica non grata". Zentraler Baustein ist die Terezín Summer School. Das Abschlusskonzert stand im Zeichen einer vergessenen jüdischen Komponistin.

Zwei Sänger stehen in einem festlichen Saal neben einem Flügel und performen vor Publikum.  | Bildquelle: © Adam Mráček

Bildquelle: © Adam Mráček

Gerade finden die ersten Proben für die Operette "Die Dorfkomtesse" der Komponistin Rachel Danziger van Embden statt. Die Sängerin Nefeli Spyropoulou von der Hochschule für Musik und Tanz Köln hat gerade erst ihren Gesangspartner kennengelernt. Doch schon jetzt ist das Duett ihre Lieblingsstelle in dem Stück. Ein reiner Ausdruck von Liebe und Hoffnung sei dieses Duett, erzählt Nefeli Spyropoulou, sie könne bekannte Elemente finden und hören, aber auch etwas ganz Einzigartiges.

"Die Dorfkomtesse" von Rachel Danziger van Embden

Die Handlung der Operette "Die Dorfkomtesse" ist Unterhaltung pur. Ein Erbprinz muss eine Prinzessin finden, aber die will ihn erst testen und verkleidet sich als Dorfkomtesse. Das Stück wurde weltweit ein Hit, über die deutsche Uraufführung 1910 im Berliner Thalia Theater schrieb selbst die New York Times und feierte dessen Schöpferin, die Jüdin Rachel Danziger. 

Der Mantel der Geschichte ist manchmal gnadenlos, gerade was komponierende Frauen angeht.
Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller

Der Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller leitet die internationale Summer School in Prag und Terezín (deutsch: Theresienstadt). Bei Recherchen speziell zu Künstlerinnen im damaligen Konzentrationslager in Theresienstadt ist er in einem Lexikon aus der Nazi-Zeit auf den Namen der gebürtigen Niederländerin gestoßen, die lange in Berlin lebte. Der Mantel der Geschichte sei gnadenlos, erzählt er, gerade was komponierende Frauen anginge. "Wir kennen heute zwar Opernkomponistinnen der Zeit – Ethel Smyth zum Beispiel. Dass aber Frauen auch Operetten schrieben, ist weitgehend unbekannt. Rachel Danziger ist sicherlich eine der bekanntesten gewesen, aber mitnichten die einzige."

Terezín Summer School widmet sich Komponistinnen

Junge Menschen lassen sich in einer tschechischen Stadt von einem Mann etwas erklären | Bildquelle: © Adam Mráček Die Terezín Summer School auf Stadtrundgang | Bildquelle: © Adam Mráček Rachel Danzigs Kinder wurden nach Theresienstadt deportiert. Ihr selbst sei kurz vorher die Flucht nach Großbritannien gelungen, das hätten sie jetzt nachweisen können, erzählt Kai Hinrich Müller. Dort starb die Komponistin mehrerer Operetten und Filmmusiken vermutlich ein Jahr nach Kriegsende. Die Noten der "Dorfkomtesse" hat Müller in einem Archiv in Baden-Württemberg entdeckt und eine Best-of-Version für fünf Stimmen und Klavier arrangiert. Studierende von vier Hochschulen aus drei Ländern treffen sich während der Terezín Summer School auch mit Doktorand:innen aus Tschechien, mit Vertretern der jüdischen Gemeinde und sie besichtigen die Gedenkstätte in Theresienstadt. Für die Sängerin Nefeli Spyropoulou ist das eine eindrückliche Erfahrung: "Man muss das erleben, weil das so etwas Wichtiges in unserer Geschichte ist. Kunst und Musik können immer Kraft geben. Aber egal, was wir lesen, egal, was wir lernen – wir können uns nicht vorstellen, wie es damals war."   

Wir können uns nicht vorstellen, wie es damals war.
Sängerin Nefeli Spyropoulou

Von den Nazis verbannte Musik zurück auf die Bühne

Das Ghetto Theresienstadt war ein Ort des Schreckens und für Tausende Jüdinnen und Juden ein Zwischenstopp auf dem Weg in die Gaskammern. Doch Hitler verkaufte das Lager der internationalen Öffentlichkeit als "Muster-KZ". Die Häftlinge organisierten dort Schulunterricht, Theater- und Opernaufführungen. Die Nazis erzwangen Kulturaufführungen, zum Beispiel von der Kinderoper "Brundibár". Daraus schöpften die Häftlinge jedoch auch Kraft. Die Oper von Hans Krása überlebte den Holocaust – sie wird noch heute aufgeführt – und das erhofft sich der Musikwissenschaftler Müller auch von den wiederentdeckten Werken der bisher drei Jahrgänge der Terezín Summer School. Sie ist Teil des großangelegten deutsch-tschechischen Projekts "Musica non grata" – und holt Musik, die den Nazis als "unerwünscht" galt, zurück auf die Bühnen der Prager Oper und des Nationaltheaters.

Die Kurzfassung der "Dorfkomtesse" – zu hören beim Abschlusskonzert in der Deutschen Botschaft in Prag – steht kommendes Jahr schon in Wien und Dresden auf dem Spielplan.  

Sendung: "Leporello" am 22. August 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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