Umjubeltes Debüt mit "Tannhäuser": 2023 dirigierte Nathalie Stutzmann erstmals bei den Bayreuther Festspielen. Auch dieses Jahr ist die Französin wieder auf dem Grünen Hügel mit dabei - und schwärmt von der Atmosphäre vor Ort.
Bildquelle: Simon Fowler
BR-KLASSIK: Ihr sehr erfolgreiches Debüt in Bayreuth mit "Tannhäuser" liegt jetzt ein Jahr zurück. Man spricht ja von der "Werkstatt Bayreuth" und meint damit, dass die Teams an den Produktionen weiterarbeiten und sie verbessern. Aber gibt es bei Ihnen nach so einem großen Erfolg überhaupt etwas zu verbessern?
Nathalie Stutzmann: Natürlich bin ich extrem glücklich über das, was im letzten Jahr geschehen ist. Aber es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich mich total zufrieden fühle, es gibt immer etwas zu verbessern. Vielleicht ist es in diesem Jahr sogar noch herausfordernder, weil es im letzten Jahr so gut aufgenommen wurde, womit die Erwartungen hochschraubt wurden. Es ist die Aufgabe als Musiker, jeden Tag zu versuchen, das Beste zu geben.
BR-KLASSIK: Was fasziniert Sie an Wagners Musik?
Nathalie Stutzmann: Alles! Wenn man wie ich seine Dirigentenkarriere vor allem mit symphonischem Repertoire begonnen hat, hat man Übung darin, an den Details der Orchesterpartitur zu arbeiten. Zur Oper kam ich erst ein bisschen später. Und es war immer mein Traum, zu Wagner zu kommen. Das hatte Priorität. Natürlich ist es diese Verbindung aus Text, Musik, Charakteren und Philosophie. Aber alles in seiner Musik basiert und kommt vom Orchester. Es ist oft wundervoll, wie er Passagen orchestriert, die Art, wie jedes gesungene Wort im Orchester reflektiert wird. Wenn zum Beispiel von Schmerzen die Rede ist, gibt es einen Akzent in der Musik, der repräsentiert, was das Wort aussagt.
Diese Akustik in Bayreuth macht fast alles schön, was wir produzieren.
BR-KLASSIK: Würden Sie sagen, der Orchestergraben, den Wagner für Bayreuth konzipiert hat, ist tatsächlich optimal für seine Musik?
Das Bayreuther Festspielhaus von innen. Die besondere Akustik hilft den Sängerinnen und Sängern. | Bildquelle: Bayreuther Festspiele GmbH / Foto: Jörg Schulze Nathalie Stutzmann: Er ist sicherlich optimal in dem Sinne, dass man eine große Bandbreite an Dynamik bringen kann, ohne für die Sänger zu laut zu sein. Hier in Bayreuth kann man ein großes Spektrum an Dynamik und Farben haben, weil die Akustik so gut ist für die Sänger. Sie können sogar flüstern. Diese Akustik macht fast alles schön, was wir produzieren. Es klingt allerdings absolut verschieden zwischen Orchestergraben und Saal. Die Schwierigkeit, würde ich sagen, ist zu verstehen, wie du zu spielen hast und wie du im Orchestergraben zu hören hast, damit es im Saal gut klingt. Wir wissen, dass es einige Opern gibt, die speziell für das Festspielhaus geschrieben wurden und andere, bei denen das nicht der Fall ist. Zumindest für die, die für das Festspielhaus geschrieben wurden, ist es natürlich der beste Ort in der Welt, um sie aufzuführen. Und ich denke, für die Art der Arbeit, die wir hier tun und was das Level und die Qualität der Arbeit betrifft, ist es sicher der beste Ort, Wagners Musik zu dienen.
BR-KLASSIK: Ist der "Tannhäuser" noch so romantisch, wie immer gesagt wird? Oder ist hier auch schon der spätere Wagner zu hören?
Nathalie Stutzmann: Er ist offensichtlich natürlich romantisch. Es gibt auch eine gewisse Italianità in dem Werk. Aber es gibt auch viele Passagen und Momente, die uns von etwas anderem erzählen und Türen öffnen. Türen in die Zukunft der Musik. Das ist etwas, was immer sehr faszinierend ist bei den großen Komponisten. Wir, die wir später in der Geschichte leben und wissen, was später gekommen ist, können verstehen, wie revolutionär diese Künstler waren. Und Wagner hat die Zukunft der Oper erfunden.
Am 25. Juli beginnen die Bayreuther Festspiele – mit mehr Dirigentinnenpower als je zuvor. BR-KLASSIK überträgt sieben Opernproduktionen: im Radio und im Video-Livestream. Alle Termine auf einen Blick.
BR-KLASSIK: Was ist das Besondere daran, in Bayreuth zu arbeiten?
Nathalie Stutzmann: Es ist ein wirklich einzigartiger Ort auf der Welt. Wir reisen heute alle zu viel und müssen viel unterwegs sein.Es ist außergewöhnlich, dass man hier so konzentriert und fokussiert nicht nur an einem Ort, sondern auch für einen Komponisten arbeitet. Man hat Zeit, wirklich ganz tief in die Musik einzutauchen. Was auch einzigartig ist: Alle Leute, ob sie im Orchester sind oder Sänger oder im Chor, alle sind aus dem gleichen Grund hier. Die Leute gehen nicht in den Urlaub. Sie wollen hier sein, um einer Musik zu dienen, die sie verehren. Das ergibt eine sehr besondere Atmosphäre von Hingabe und Liebe für diese Musik. Dirigentin oder Dirigent zu sein, ist ein sehr einsames Leben. Du bist immer allein und musst damit umgehen. Und es ist eine wunderbare Sache, hier zu sein, zu den Kollegen in die Probe zu gehen und zu sehen, dass sie die gleiche Freude und die gleichen Schwierigkeiten haben. Du kannst in die Kantine gehen, kannst deine Kollegen dort treffen, deine Sänger. Wir tauschen uns auch sehr viel über unsere Erfahrungen mit der Akustik aus. Es ist wie ein Campus an einer Universität, wie eine Stadt in der Stadt. Ich glaube, es arbeiten ungefähr 900 Leute hier, wenn du alle mitzählst.
BR-KLASSIK: Sie haben Ihre Karriere als Dirigentin nach einer sehr erfolgreichen Laufbahn als Sängerin gestartet – nun aber mit enormem Erfolg. Bedauern Sie es, dass Sie nicht früher mit dem Dirigieren begonnen haben?
Nach einer erfolgreichen Laufbahn als Sängerin startete Nathalie Stutzmann ihre Karriere als Dirigentin. | Bildquelle: Sabine Burger Nathalie Stutzmann: Ja, manchmal wünsche ich mir, ich hätte früher damit begonnen. Es war immer mein Traum, das zu tun. Ich liebe das Musik machen mehr als alles andere. Aber ich versuche, nicht zurückzuschauen. Ich blicke in die Zukunft und bin sehr dankbar für das, was ich erreicht habe. Natürlich hatte ich in zehn Jahren das zu tun, was Dirigenten normalerweise in 30 Jahren tun, aber ich arbeite sehr hart. Letztlich war es schlicht unmöglich, früher mit dem Dirigieren zu beginnen, denn die Gesellschaft war anders. Ich hätte nicht auf dem Level dirigieren können, auf dem ich heute bin. Und ich hätte nicht diese Chancen bekommen wie in Bayreuth durch Katharina Wagner, zu zeigen, was ich kann. Die Zeiten haben sich in dieser Hinsicht geändert und das ist sehr schön. Und ich bin auch davon überzeugt, dass diese außerordentlich reiche Zeit als Sängerin und Pianistin und Fagottistin, die ich in den letzten Jahren hatte, aus mir die Dirigentin gemacht hat, die ich heute bin.
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte früher mit dem Dirigieren begonnen.
BR-KLASSIK: Momentan leiten Sie das Atlanta Symphony Orchestra als Chefdirigentin. Könnten Sie sich auch vorstellen, fest an einem Opernhaus als Dirigentin zu arbeiten?
Nathalie Stutzmann: Ich genieße es sehr, die Musikdirektorin des Atlanta Symphony Orchestras zu sein. Ich liebe die Arbeit in einer langen Beziehung, wenn man seine Leute wirklich kennt. Das ist der beste Weg. Du weißt, was gearbeitet werden muss, um besser zu werden. Aber mir würde es definitiv auch gefallen, bald eine Position in Europa zu haben. Ich denke, es hängt davon ab, wie man sich an einem Ort fühlt, wie man sich mit dem Orchester fühlt. Ich möchte an einem Ort arbeiten, an dem das Orchester, der Dirigent und die Musik genauso wichtig sind wie die Regie und die Sänger. Wenn ich einen solchen Platz finde, kann ich mir absolut vorstellen, fest an einem Opernhaus zu sein, mit großem Vergnügen. Was ich nicht möchte, ist musikalische Routine. Routine ist für mich und für viele andere Musiker der schlimmste Feind.
BR-KLASSIK überträgt "Tannhäuser" am 26. Juli zeitversetzt ab 18:05 Uhr im Radio, auch für das ARD Radiofestival.
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