"Wer Schätze hat, sollte sie teilen" – unter diesem Motto präsentiert das Label BR-KLASSIK nun schon seit 15 Jahren herausragende Konzertmitschnitte und Studioproduktionen der drei Klangkörper des Bayerischen Rundfunks. Gleich sechs Neuveröffentlichungen steuert das Label zum 75. Geburtstag des Symphonieorchesters bei – das Spektrum reicht von der historischen Opern-Rarität mit legendären Gesangsstars bis zu den aktuellsten Klängen des Neutöners Helmut Lachenmann bei der musica viva. Die Jubiläums-CDs im Überblick.
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Bildquelle: BR Diese CD mit Highlights aus dem ersten und zweiten Aufzug der Komödie "Die schweigsame Frau" von Richard Strauss ist ein Unikum. Produziert wurden die Szenen 1960 in der damaligen Bayernhalle auf dem Münchner Ausstellungspark an der Theresienhöhe hinter der Bavaria; anschließend wurden sie auch fürs Fernsehen aufgezeichnet. Zum Politikum wurde die 1935 uraufgeführte Oper wegen des jüdischen Librettisten Stefan Zweig. Bei der Studioproduktion damals stand Heinz Wallberg am Pult des BRSO, später bekannt geworden als Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters. Dieser Archivschatz von 1960 mag rudimentär sein – bewundern kann man da nicht nur den pointierten Altersstil von Strauss mit seinen barocken Einsprengseln. Sondern auch das legendäre Star-Aufgebot in den Arien und Ensembles: Bassist Hans Hotter als lärmgestörter alter Seebär, Tenor Fritz Wunderlich als dessen enterbter Neffe, Bariton Hermann Prey als intriganter Barbier und die Koloratursopranistin Ingeborg Hallstein als gar nicht schweigsame Frau.
Bildquelle: BR Die Musik des französischen Klangrevolutionärs Hector Berlioz wurde für den dritten Chefdirigenten des BRSO, Sir Colin Davis, zum Erweckungserlebnis. Und das kam so: Als Student erlebt Davis in London eine Aufführung von dessen Oratorium "L'enfance du Christ" – und ist so hingerissen, dass er beschließt, die Klarinette gegen den Taktstock zu vertauschen. Seither hat ihn die flammende Musik von Berlioz nicht mehr losgelassen. Kein Wunder, dass Davis dann auch in seiner Ära beim BRSO fast alles von Berlioz dirigiert hat, die bahnbrechende Symphonie fantastique sogar mehrfach. Diese klingende "Episode aus dem Leben eines Künstlers" ist eigentlich ein überbordender Roman, gestrickt um eine musikalische "idée fixe", die sich obsessiv durch die ganze Symphonie zieht. Im Konzertmitschnitt mit Colin Davis von 1987 spürt man noch etwas von der Schockwirkung, die dieses frühe Stück Programmmusik zwischen Fieberfantasie, Liebeswahn, Drogenrausch, Albtraum, Mordvision und Hexensabbat bei den Zeitgenossen ausgelöst haben muss.
Bildquelle: BR "Wir sind schon eine komische Brut, wie mein alter Lehrer immer gesagt hat: Luft sortieren ist doch ein komischer Beruf!" Von Bernard Haitink stammt dieses vielzitierte Bonmot über das Dirigier-Metier. Wer ihn im hohen Alter noch am Pult erlebt hat, weiß, dass Haitink dieses "Luftzerteilen" nicht pathetisch ausagiert hat – ganz im Gegenteil: Mit minimalster Zeichengebung erzielte Haitink ein Maximum an Wirkung. Mit Kleinigkeiten hat sich der 2021 verstorbene Haitink indes nie abgegeben – stattdessen hat er sich immer wieder neu an den Giganten Beethoven, Brahms, Bruckner und Mahler abgearbeitet. Beim BRSO war Haitink seit seinem Debüt 1958 über 60 Jahre lang ein hochgeschätzter Gast – mit Beethovens Neunter hat er kurz vor seinem 90. Geburtstag seinen Abschied beim BRSO gegeben. Ein packendes Dokument seiner Schostakowitsch-Kompetenz ist der 2006 entstandene Mitschnitt der Achten Symphonie, die der Komponist als sein Requiem bezeichnet hat – und das hört man auch, so qualvoll ist der Schmerz, so niederschmetternd die Trauer.
Alle Infos zum Jubiläum sowie Sendetermine im Radio und Fernsehen dazu finden Sie hier.
Bildquelle: BR Dass Mariss Jansons, fünfter Chefdirigent beim BRSO, eine Schostakowitsch-Instanz war, ist bekannt. Ähnlich wie Haitink hat sich Jansons aber auch als überragender Bruckner- und Mahler-Dirigent einen Namen gemacht. Mit seinem leidenschaftlichen Zugriff sind Jansons Mahler-Sternstunden gelungen. Neu zum Orchester-Jubiläum ist jetzt seine Interpretation der Dritten Symphonie von Gustav Mahler, 2010 aufgezeichnet, auf CD erschienen. Mit ihren sechs Sätzen übersteigt Mahlers Dritte, die auch die menschliche Stimme miteinbezieht, nicht nur die bis dato gewohnten zeitlichen Dimensionen. In einem dramaturgischen Riesenbogen vom Erwachen der Natur bis zum finalen Hymnus auf die kosmische Liebe zeichnet der Komponist darin quasi die Schöpfung des Universums nach. Oder wie es Mahlers Freund, der Dirigent Bruno Walter, ausgedrückt hat: "Sein ganzes Wesen schien mir eine geheimnisvolle Naturverbundenheit zu atmen; wie tief, wie elementar sie war, hatte ich immer nur ahnen können und erfuhr es nun unmittelbar aus der Tonsprache seines Weltentraums."
Bildquelle: BR Zum Jubiläum steuert auch die musica viva, Alleinstellungsmerkmal und Aushängeschild des BRSO gleichermaßen, beim BR-KLASSIK-Label eine Ersteinspielung eines Ausnahmewerks bei: Im Sommer 2023 hob Matthias Hermann, Schüler von Helmut Lachenmann, die letztgültige Version von Lachenmanns riesigem Orchesterwerk "My Melodies" aus der Taufe. Hermann war damals für den erkrankten Peter Eötvös am Pult des BRSO eingesprungen, der kürzlich gestorben ist. In diesem Spätwerk hat Lachenmann, der nächstes Jahr 90 wird, seine Faszination für die mikrotonalen Spaltklänge eines achtköpfigen Hornisten-Ensembles ausgelebt. Neben den für Lachenmann typischen Atem-, Hauch- und Zischgeräuschen gibt es in "My Melodies" aber auch hochenergetische Passagen. Mit Frank Sinatra vermittelt das Stück laut Lachenmann "my way of melodies", also seinen Umgang mit Melodien, nicht diese selbst. Geht man zu weit, wenn man darin pulsierende Melodiefetzen jazziger Provenienz heraushört, gar Anklänge an satten Brassband-Sound?
Bildquelle: BR Nicht nur, dass der aktuelle Chefdirigent Sir Simon Rattle gleich bei seinem Amtsantritt im September 2023 mit Haydns "Schöpfung" auch den BR-Chor, dessen Chef er ebenfalls ist, ins Boot geholt hat. Mit der Sechsten Symphonie von Gustav Mahler hat er zudem die von Rafael Kubelík begründete Mahler-Tradition beim BRSO weitergeführt. Nach dem "Lied von der Erde" und der abgeklärten Neunten Symphonie ist nun auch die "Tragische" Sechste mit Rattle beim Eigenlabel auf CD dokumentiert. Mit ihren brutalen Märschen, den Herdenglocken und den berüchtigten Hammerschlägen verbreitet das monumentale Werk trügerische Idyllen und – bis zum schockierenden Schlussakkord in a-Moll – apokalyptische Visionen. Unter glücklichen Umständen komponiert und 1906 uraufgeführt, deutete Alma Mahler das Weltuntergangsfinale nachträglich als böses Omen für die privaten Schicksalsschläge des Folgejahres. Dieses Narrativ gehört ebenso ins Reich der Spekulation wie die These, Mahler habe in seiner Sechsten den Ersten Weltkrieg vorausgeahnt.
Sendung: "Leporello" am 28. März ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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