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"Der Spieler" in Salzburg Asmik Grigorian singt Prokofjew

Sergej Prokofjews Opernerstling ist ein Schmerzenskind des Komponisten. Bei den Salzburger Festspielen feiert "Der Spieler" am 12. August Premiere: In einer Inszenierung von Peter Sellars. Asmik Grigorian singt die Partie der Polina.

Asmik Grigorian (Polina, Stieftochter des Generals), Sean Panikkar (Alexej Iwanowitsch, Hauslehrer der Kinder des Generals) | Bildquelle: © SF/Ruth Walz

Bildquelle: © SF/Ruth Walz

Schauplatz: Roulettenburg, irgendwo in Deutschland, 1865. Hierher strömen Gäste aus aller Herren und Damen Länder – offiziell zur Kur, in Wahrheit jedoch, um am Spieltisch den ultimativen Kick zu erleben. Deshalb kreuzen sich in Roulettenburg auch die Wege eines hoch verschuldeten russischen Generals, seiner bald mittellosen Erbtante, seiner hochnäsigen verlassenen Stieftochter Polina und des Hauslehrers Alexej Iwanowitsch. Als Polina ihm ihre Zuneigung gesteht, gewinnt Alexej mit seinem letzten Heller eine enorme Summe. Doch die Spielsucht erweist sich als größer als die Liebe.

Szenenbild "Der Spieler", Salzburger Festspiele 2024 | Bildquelle: © SF/Ruth Walz Bildquelle: © SF/Ruth Walz Schauplatz: Salzburger Festspiele, 2024. Markus Hinterhäuser hat den Regisseur Peter Sellars engagiert, um Prokofjews Oper "Der Spieler", die auf Fjodor Dostojewskis gleichnamigem Roman basiert, als Neuproduktion auf die Riesenbühne der Felsenreitschule zu bringen. Die Titelfigur des Alexej Iwanowitsch reiße, so Hinterhäuser, "alles um ihn herum in einen Strudel des Verderbens und der Auslöschung", dieser Typus sei deshalb "Sinnbild unserer heutigen Welt" und erzähle "vom Spiel um alles, von einem Leben in der Maßlosigkeit und von der Hybris des Menschen." Peter Sellars sekundiert: "Das Spiel setzt voraus, dass man am Ende verliert. Wer als Spieler durchs Leben geht, wird das unweigerlich erfahren. Aber wir leben in einer Welt extrem verblendeter Verhaltensweisen."

Dostojewski und sein Selbstporträt als Spieler

Dostojewski | Bildquelle: picture-alliance/dpa Porträt des Schriftstellers und Spielers Dostojewski von Wassili Perow, 1872 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Rückblende I. War es der finanzielle Engpass, mitbedingt durch das Verbot und Straucheln seiner Zeitschriften, der Dostojewski auf seiner zweiten Europareise 1863 in Wiesbaden ins Kasino trieb? Jedenfalls kam dort seine Spielsucht zum Ausbruch, die ihn jahrelang in den Fängen halten sollte. Als er 1865 wiederkam, verlor er im Handumdrehen den Rest jener 3.000 Rubel, für die er bei seinem Verleger die Rechte an seinem bisherigen Gesamtwerk verpfändet hatte. Auslösen konnte er sich nur durch einen neuen Roman, der binnen weniger Wochen zu entstehen hatte. Hals über Kopf begann er eine Art Selbstporträt zu diktieren, betitelt "Der Spieler“ – und die angeheuerte Stenotypistin, Anna Grigorjewna, ohne die er niemals rechtzeitig fertig geworden wäre, sollte schließlich seine zweite Ehefrau werden.

Prokofjew wählt den falschen Stoff zur falschen Zeit

Rückblende II. Die Bank gewinnt immer, der einzelne Mensch verliert: Das geht auch als Metapher für ein Leben im Stalinismus durch. Als Sergej Prokofjew schon zu Studienzeiten den Plan fasste, Dostojewskis "Spieler" zu vertonen, saß freilich noch Zar Nikolaus II. auf dem Thron. Als das Werk aufführungsreif war, verhinderte die Februarrevolution 1917 die Premiere. Prokofjew ging in den Westen, ohne dort im erhofften Ausmaß glücklich und erfolgreich zu werden. 1929 überarbeitete er den "Spieler" für Brüssel, wo die Uraufführung über die Bühne gehen konnte. In der Sowjetunion wurde die Oper zuerst nicht gespielt, weil Prokofjew aufgrund seiner Emigration als Systemgegner galt. Nach seiner durch Enttäuschung und Heimweh bedingten Rückkehr passte sie nicht zur Ideologie des "SozRel", des Sozialistischen Realismus.

Prokofjews "Spieler" ist nichts für den kulinarischen Operngeschmack

Die fatale Allmacht des Geldes, der seelische Ausverkauf, das Endzeitgefühl – das durfte keinen Platz haben im angeblich besten aller möglichen Staatssysteme. Musikalisch fasst Prokofjew die Handlung in einen strengen Deklamationsstil: Die von Beginn an dramatisch-hitzige Stimmung, die unzähligen, bei aller klanglichen Direktheit doch fein abgestuften rhythmischen Muster verleihen dem Stück eine große Dringlichkeit. Fein ziselierte, lyrische Momente und Motive sind hierbei stets mit einkomponiert und gehen im Parlando auf. Die ungemein schnell abspulende Musik verlangt den Sängerinnen und Sängern ebenso wie dem Publikum enorme Konzentration ab. "Der Spieler" ist nichts für den rein kulinarischen Operngeschmack. Aber das gilt auch für Weinbergs "Idiot", auch diese eine Oper auf Basis eines Dostojewski-Romans – und gerade ein enormer Erfolg in Salzburg. Die Festspiele verstehen sich in der Ära Hinterhäuser schon traditionell darauf, aus Raritäten Renner zu machen.

Erste Zusammenarbeit von Asmik Grigorian und Peter Sellars

Szenenbild "Der Spieler", Salzburger Festspiele 2024 | Bildquelle: © SF/Ruth Walz Bildquelle: © SF/Ruth Walz Starkes Team. Für die Polina im "Spieler" ist Asmik Grigorian aufgeboten – eine Sopranistin, die längst im Range eines Publikumslieblings rangiert und bei der auch die internationale Kritik gebannt die Ohren spitzt und die Augen aufsperrt. Nach dem Debüt mit der Marie in Bergs "Wozzeck", nach dem Sensationserfolg als Strauss’ Salome 2018 und dann der Chrysothemis in dessen "Elektra", den drei Sopranpartien in Puccinis "Trittico" und zuletzt Verdis Lady Macbeth hatte sie nun gedacht, die Polina, die sie schon gesungen hat, werde sozusagen ein "leichter Dienst". Weit gefehlt, wie sie nun lachend eingesteht. "Asmik ist als Polina den ganzen Abend auf der Bühne", verrät Peter Sellars, "obwohl sie rein musikalisch nur selten gefordert ist. Aber es wird über sie gesprochen – und sie reagiert darauf. Wenn sie dann wieder singt, erleben wir das auf einer ganz anderen Basis."

Es ist der erste Auftritt Asmik Grigorians in einer Sellars-Inszenierung. Für seine völlig andere Sicht und nicht zuletzt für seine Arbeitsweise streut sie dem Regisseur Rosen: "Ich bin sehr glücklich über diese Begegnung. Er sagt niemals: 'Ich denke‘ oder 'Ich glaube‘, sondern immer 'Ich fühle‘, 'ich möchte fühlen‘. Das ist für mich die höchste Stufe der Kunst." Weil sie selbst sehr lange auf der Suche nach sich selbst gewesen sei oder sich eigentlich noch immer auf dieser Reise befinde, spüre sie auch eine besondere Beziehung zur Figur der Polina, der es ihrer Ansicht nach ganz ähnlich ginge.

Szenenbild "Der Spieler", Salzburger Festspiele 2024 | Bildquelle: © SF/Ruth Walz Asmik Grigorian und Sean Panikkar als Polina und Alexej Iwanowitsch | Bildquelle: © SF/Ruth Walz Auch vokal praktisch im Dauereinsatz ist dagegen Alexej Iwanowitsch, der Spieler. In dieser Partie kehrt der aus Sri Lanka stammende US-Tenor Sean Pannikar zu den Festspielen zurück, der hier bereits als Dionysus in Henzes "The Bassarids" sowie als Un emigrante in Luigi Nonos "Intolleranza 1960" zu erleben war. Mit Sellars hat er schon mehrfach gearbeitet und war sofort Feuer und Flamme für ein neues Projekt – obwohl das Erlernen der Partie, noch dazu auf Russisch, hart gewesen sei. Aber wie so oft bei Musik des 20. oder 21. Jahrhunderts sei auch hier der befreiende Moment gekommen, an dem man das Werk endlich lieben gelernt habe.

Und vor dem jungen Dirigenten Timur Zangiev, der sowohl am Pult der Wiener Philharmoniker als auch bei den Festspielen sein Debüt gibt, ziehen alle - Sellars, Grigorian und Panikkar - gleichermaßen den Hut: Der kenne jeden Ton der Partitur, wisse genau, was er wolle – und sei zugleich ungemein kooperativ und hilfreich.

Wunden mit Kunst heilen

"Etwa 70 Jahre lang", sagt Peter Sellars, "lag der 'Spieler' brach. Zu Zeiten der Sowjetunion fiel all das, was das Stück an Kreativität, Erotik und wirtschaftlicher Kritik enthält, der Zensur anheim. All diese Aspekte können wir jetzt wieder frei atmen lassen." Dem Werk sei auch ein Generationenkonflikt eingeschrieben, den die verhältnismäßig junge Salzburger Besetzung überzeugend vermitteln könne. Die Gewalt innerhalb der Oper sei auch heute präsent. "Wir wollen damit aber keine Wunden aufreißen, sondern sie mit Kunst heilen." Für den Regisseur besteht kein Zweifel: "Prokofjews 'Spieler' ist keine interessante russische Rarität. Es ist ein Stück über uns, hier und jetzt."

Sendung: "Allegro" am 12. August 2024 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Mittwoch, 14.August, 16:12 Uhr

Klaus Thiel

"Der Spieler"

Die Oper lag keine 60 Jahre brach, wie Peter Sellars meint ! 1972 inszenierte sie Boris Pokrowski, der langjährige Chefregisseur des Moskauer Bolschoi und Gründer der längst legendären Moskauer Kammeroper, in Leipzig, als "Test für eine mögliche Bolschoi-Aufführung, die dann tatsächlich schon 1974 erfolgte.
Bereits 1963 konnte man allerdings den "Spieler" bereits konzertant in Moskau erleben - unter Gennadij Roshdestwenski

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