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Salzburger Festspiele 2024 Im Zeichen von Revolte und Auflehnung

Das Programm der Salzburger Festspiele 2024 steht fest: Das größte Klassikfestival der Welt wird im nächsten Jahr um das Thema "Bewegungen zwischen Himmel und Hölle" kreisen. Von 19. Juli bis 31. August werden 172 Aufführungen zu sehen und zu hören sein.

Burgansicht der Stadt Salzburg | Bildquelle: imago/imagebroker

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"Ich revoltiere, also sind wir", schrieb Albert Camus: 1951 veröffentlichte der französische Autor und Philosoph sein Buch "Der Mensch in der Revolte" – und revoltierende Hauptfiguren, so Intendant Markus Hinterhäuser, seien der gemeinsame Nenner im Programm der Salzburger Festspiele 2024. Im gemeinsamen Vorwort des Festspieldirektoriums heißt es: "Bewegungen zwischen Himmel und Hölle sind zu erleben. Sie erzählen von der elementaren Schönheit des Maßlosen ebenso wie von den darin verborgenen ‚dämonischen‘ Abgründen, von grenzenloser Einsamkeit – und der schwindelerregenden gottlosen Freiheit."

Konzertante Aufführung mit Christian Thielemann zum Auftakt

Markus Hinterhäuser, Intendant; Marina Davydova, Leitung Schauspiel, Florian Wiegand, Leitung Konzert | Bildquelle: © SF/Neumayr/Leopold Markus Hinterhäuser, Intendant; Marina Davydova, Leitung Schauspiel, Florian Wiegand, Leitung Konzert | Bildquelle: © SF/Neumayr/Leopold Wobei: Eine konzertante Aufführung als erste große Opernpremiere? Ist das indirekt als Revolte gegen manche Inszenierung zu verstehen? Wie dem auch sei: Das geht in Salzburg vielleicht nur für und mit Christian Thielemann. 2011 hat er hier Richard Strauss’ "Frau ohne Schatten" dirigiert, seither war er wenn, dann nur für Konzerte am Pult der Wiener Philharmoniker zu Gast – übrigens eine innige und auch krachfreie Beziehung zwischen dem als schwierig geltenden Dirigenten und dem (auch nicht immer einfachen) Orchester vom ersten Tag an. Mehr war in den letzten Jahren mit bedauerndem Hinweis auf Thielemanns Verpflichtungen in Bayreuth nicht machbar. Diese mögen in der Zwischenzeit zum Erliegen gekommen sein, sollen aber schon 2025 wieder aufleben. 2024 jedenfalls steht in Salzburg nun unter Thielemanns Leitung dreimal Strauss’ "Capriccio" an, dieses laut Untertitel "Konversationsstück für Musik", seine 1942 "in tempore belli" uraufgeführte letzte Oper. Elsa Dreisig ist die Gräfin, umschwärmt von Sebastian Kohlhepp als Komponist Flamand und von Konstantin Krimmel als Dichter Olivier. Eine stille Revolte des Rückzugs in die behagliche Komponierstube, während draußen Krieg und unsägliche Verbrechen wüteten? Ein lyrisches Nachdenken über die Kunstform und das Ringen von Wort und Ton um die Vorherrschaft, eine dezidierte Oper über die Oper.

Internationales Ensemble Utopia unter Leitung von Theodor Currentzis

Dirigent Teodor Currentzis | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Dirigent Teodor Currentzis | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ein revoltierender Freigeist ist natürlich Mozarts Don Giovanni. Ja, die "Oper aller Opern" kehrt zurück, wie E.T.A. Hoffmann sie den Ich-Erzähler seiner Novelle "Don Juan" preisen ließ. Und zwar als Neueinstudierung der viel diskutierten Produktion zum Festspieljubiläum 2021, mit der Romeo Castellucci und Teodor Currentzis die Geister tief geschieden haben – anhand eines säkularen Mysterienspiels der Rätsel und Assoziationen rund um eine zerstörerische, aber ewige Naturkraft, eines Pendants zum "Jedermann". Die Besetzung rund um Davide Lucianos Titelhelden ist zur Hälfte neu, etwa sind Kyle Ketelsen und Julian Prégardien als Leporello und Ottavio zu hören. Currentzis dirigiert nun Chor und Orchester von Utopia.

Neue Schauspielchefin in Salzburg

Außerdem wird Mozarts "La clemenza di Tito" aus dem Pfingstprogramm übernommen, wo Cecilia Bartoli in der Regie von Robert Carsen ihr szenisches Rollendebüt als Sesto geben wird – Daniel Behle gibt den verzeihenden Tito, Alexandra Marcellier die Vitellia. Gianluca Capuano dirigiert Les Musiciens du Prince – Monaco und Il Canto di Orfeo. Schon bekannt war außerdem, dass Robert Carsen auch den "Jedermann" neu herausbringen wird, mit Philipp Hochmair in der Titelrolle und Deleila Piasko als Buhlschaft: Der Auftakt zu einem reichhaltigen Theaterprogramm der neuen Schauspielchefin Marina Davydova.

Gesamtes Programm der Salzburger Festspiele 2024

Vom 19. Juli bis 31. August finden die Salzburger Festspiele im nächsten Jahr statt. Insgesamt werden 172 Aufführungen zu sehen und zu hören sein. Den Konzertkalender und alle Programmdetails finden Sie hier. Dort können Sie auch Karten erwerben.

Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla debütiert bei den Wiener Philharmonikern

Mirga Gražinytė-Tyla  | Bildquelle: © Frans Jansen Die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla gibt ihr Debüt bei den Wiener Philharmonikern. | Bildquelle: © Frans Jansen Auf gutmütig-wohlmeinende Art revoltiert auch der Fürst Myschkin in der zaristischen Gesellschaft, die Titelfigur von Dostojewskis dickleibigem Roman "Der Idiot": Dieser Mann meint es eigentlich herzensgut und scheitert gerade dadurch an seinen Absichten, an den Menschen und letztlich am Leben. Die Musik stammt von Mieczysław Weinberg: Der Sohn aus polnisch-jüdischer Musikerfamilie musste zweimal vor den Nazis fliehen – aus Warschau zu Fuß nach Weißrussland, aus Minsk per Bahn ins 3000 Kilometer entfernte Taschkent. Nur durch Zufall entkommen konnte er dann Stalin: 1953 wurde Weinberg, mittlerweile in Moskau ein enger Freund Dmitri Schostakowitschs, verhaftet und gefoltert. In den letzten zehn bis 15 Jahren wird Weinberg zunehmend wiederentdeckt, als eine Art musikalischer Bruder Schostakowitschs mit eigenem Profil. Mit seiner Dostojewski-Vertonung "Der Idiot" feiert Weinberg nun Salzburg-Premiere. Krzysztof Warlikowski inszeniert zum vierten Mal bei den Festspielen, Mirga Gražinytė-Tyla debütiert am Pult der Wiener Philharmoniker: Die litauische Dirigentin hat sich schon während Hinterhäusers Zeit bei den Wiener Festwochen, im Aufnahmestudio sowie natürlich auf der Bühne für Weinbergs Musik eingesetzt. Mit Bogdan Volkov ist der Myschkin überraschend jung und lyrisch besetzt, Aušrinė Stundytė, Salzburgs Elektra, gibt die Nastassja, Vladislav Sulimsky den Rogoschin.

Mehr russisches Repertoire auf dem Spielplan

Noch mehr russisches Repertoire, noch mehr Dostojewski, noch mehr Revolte: Peter Sellars inszeniert Sergej Prokofjews "Spieler", diese im flüssigen Konversationston, aber mit leitmotivisch sprechendem Orchester abgefasste Oper, in der der einfache Hauslehrer Alexej seine geliebte Polina erringen will, die Tochter des Hauses – und sie dann trotz eines am Roulettetisch erlangten Vermögens verliert. Für Asmik Grigorian ist die Polina eine vergleichsweise unglamouröse Partie, an ihrer Seite sind Sean Panikkar als Alexej sowie Violeta Urmana als Babulenka zu erleben. Timur Zangiev debütiert am Dirigentenpult.

Offenbachs "Les contes d’Hoffmann" als Publikumsmagnet

Den beiden russischen Opern stehen zwei französische gegenüber: Im Großen Festspielhaus geht Jacques Offenbachs "Les contes d’Hoffmann" über die Bühne. Vom Stück her vermutlich der zentrale Publikumsmagnet im Opernprogramm. Die französische Regisseurin Mariame Clément gibt ihr Festspieldebüt, Marc Minkowski kehrt ans Pult der Wiener Philharmoniker zurück, Benjamin Bernheim tritt als Hoffmann in die Salzburger Fußstapfen von Plácido Domingo und Neil Shicoff. Außerdem gibt Kathryn Lewek alle vier großen Frauenfiguren, Christian van Horn die Bösewichte. Die alljährliche konzertante Belcanto-Praline ist diesmal der "Hamlet" von Ambroise Thomas mit Stéphane Degout in der Titelpartie und Lisette Oropesa, die als Ophélie koloraturenreich-effektvoll den Verstand verlieren wird; Bertrand de Billy dirigiert das Mozarteumorchester.

John Eliot Gardiner kehrt zurück

Dirigent John Eliot Gardiner | Bildquelle: picture alliance / Fred Toulet/Leemage Sir John Eliot Gardiner soll wieder am Pult der Salzburger Festspiele stehen. | Bildquelle: picture alliance / Fred Toulet/Leemage Konzertante Opern spielen auch in das wie immer sehr reichhaltige und originelle Programm der Ouverture spirituelle hinüber: Diesmal wird das Motto "Et exspecto" von der Renaissance bis zur Gegenwart und mit einer illustren Schar an Interpretinnen und Interpreten durchgespielt – u.a. mit kapitalen Werken wie Bachs Matthäuspassion unter Currentzis und Händels "Israel in Egypt" unter John Eliot Gardiner (sofern der Dirigent sich von der Watschenaffäre erholt). Die genannten Musiktheaterstücke sind Luigi Dallapiccolas "Il prigioniero", ein Schlüsselwerk im Widerstand gegen den Faschismus, mit Georg Nigl in der Titelpartie des zu trügerischer Hoffnung verurteilten Gefangenen; außerdem Beat Furrers Orpheus-Oper "Begehren" sowie Georg Friedrich Haas’ "Koma" nach einem Libretto von Händl Klaus über eine Wachkomapatientin (Sarah Aristidou), ihre Familie und dunkle Geheimnisse. Außerdem tritt der BR-Chor im Rahmen der Ouverture spirituelle auf, zusammen mit der Camerata Salzburg und der Geigerin Patricia Kopatchinskaja unter Leitung von Peter Dijkstra.

Das BRSO im Konzertprogramm

Herbert Blomstedt, Riccardo Muti, Andris Nelsons, Gustavo Dudamel und Yannick Nézet-Séguin stehen am Pult der Wiener Philharmoniker. Außerdem gibt es in der Reihe "Zeit mit Schönberg", in der Arnold Schönberg mit Vorläufern, Zeitgenossen und Nachfahren konfrontiert wird, intime "Kleine Nachtmusiken" mit Georg Nigl sowie Liederabende etwa von Elīna Garanča mit Malcolm Martineau, Christian Gerhaher mit Gerold Huber, Matthias Goerne mit Markus Hinterhäuser sowie Julian Prégardien mit András Schiff. Unter den Orchestern zu Gast sind das Oslo Philharmonic unter Klaus Mäkelä, das Pittsburg Symphony unter Manfred Honeck, die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko sowie nicht zuletzt Simon Rattle und das Symphonieorchester das Bayerischen Rundfunks mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6 in a-Moll. Und natürlich noch mehr Stars, Stars, Stars der Musik: Gegen die würde in Salzburg niemand revoltieren – warum auch?

Sendung: "Leporello" am 6. Dezember ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Donnerstag, 07.Dezember, 02:55 Uhr

Robert Hutya

Festspiele

Die Revolte ist überfällig

Currentzis kann gehen
Hinterhäuser sowieso
Davydova braucht nicht anzufangen, genug Mist

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