Seit 2012 leitet Cecilia Bartoli die Salzburger Pfingstfestspiele. Traditionell wird ihre Opernproduktion vom Mai in die Sommer-Festspiele übernommen. Diesmal: Mozart als Polit-Thriller. Star des Abends ist Daniel Behle.
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Eine "echte Oper" habe Caterino Mazzolà aus dem altbackenen Metastasio-Libretto gemacht, lobte Mozart seinen Textdichter 1791. Eine "echte Oper" ist "La clemenza di Tito" aber vor allem durch die zutiefst menschliche Musik Mozarts geworden, der das starre Korsett der "Opera seria" aus Rezitativ und Arie durch seine Ensemblekunst aufgebrochen hat. In ihren Gewissenskonflikten zwischen Amt und Milde, Gesetz und Gnade, Machtgier und Verzeihung, Freundschaft und Verrat leiden die Protagonisten Seelenqualen. Um das alles hörbar zu machen, braucht es allerdings ein festspielwürdiges Mozart-Ensemble, wie es bei der Wiederaufnahme der Produktion in Salzburg versammelt war.
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Daniel Behle als Tito Vespasiano in "La clemenza di Tito" bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli Publikumsliebling Cecilia Bartoli bietet für die beiden großen Sesto-Arien immer noch den ganzen vokalen Reichtum ihres dunkel glühenden Mezzos auf – gaumig-cremig in der Tiefe, mit hingehauchten Spitzentönen und koloraturensicher wie eh und je. Das kann man von Alexandra Marcellier nicht behaupten – die bei den Pfingstfestspielen von der Kritik arg gezauste Sopranistin füllt die Rolle der Intrigantin Vitellia dennoch vital und glaubhaft aus. Zu Herzen gehend das junge Liebespaar Servilia und Annio: Hell leuchtet der Sopran von Mélissa Petit und harmoniert prächtig mit dem gehaltvoll-kernigen Timbre von Anna Tetruashvili – eine Entdeckung. Ildebrando D’Arcangelo gibt den Publio als kraftstrotzenden Staatsdiener. Star des Abends aber ist Daniel Behle als Titelheld: Mit seiner in allen Registern ausgeglichenen, klug geführten Tenorstimme bewältigt er die beiden großen Tito-Arien mühelos, stimmgewaltig im Affekt und betörend im Lyrischen – der seltene Fall einer Idealbesetzung dieser horrend schwierigen Partie.
In seiner handwerklich soliden Inszenierung ist Regisseur Robert Carsen in die Realismus-Falle getappt, indem er die Humanismus-Parabel in den heutigen Polit-Alltag verpflanzt hat. Wobei die Darstellerinnen der Hosenrollen Sesto und Annio dank Carsen keine Männer mimen müssen, sondern Frauen sein dürfen, was zu interessanten genderfluiden Paarungen führt. Ausstatter Gideon Davey zeigt mal das römische Parlament samt italienischer Trikolore und Europa-Flagge, mal Titos Amtszimmer – alles grau in grau, kalt ausgeleuchtet. Man sieht Anzugträger im Business-Look und Politikerinnen im Hosenanzug mit Laptops und Handys hantieren. Das kann das Kino besser. Carsen nimmt zudem logische Brüche in Kauf, wenn er beim Sturm aufs römische Kapitol die aktuellen Bilder aus Washington einblendet. Mozarts Hohelied der herrscherlichen Milde mag er im 21. Jahrhundert erst recht nicht mehr glauben: Zum Schluss wird Tito von den Handlangern der triumphierenden Vitellia gemeuchelt. Ein paar Buhs musste Carsen dafür am Ende einstecken.
Schlussapplaus für den musikalischen Leiter Gianluca Capuano und sein Ensemble | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli Frenetischer Beifall dagegen für das exzellente Solisten-Sextett und den klangschönen Chor Il Canto di Orfeo. Eine Gründung des Musikforschers und Dirigenten Gianluca Capuano, Sparringspartner von Cecilia Bartoli, der ihr monegassisches Originalklang-Ensemble Les Musiciens du Prince zu immer neuen Höhen führt. Unglaublich knackig und rhetorisch ausartikuliert klingt das, was da aus dem Graben tönt. Con brio fegt der Mozart-Sound durch das Haus für Mozart, manchmal arg kompakt, nicht immer sängerfreundlich. Dass im Continuo mal das Cembalo, mal das Hammerklavier begleitet, gibt den Rezitativen Farbe. Beim Brand des Kapitols stellt Capuano Mozarts harmonische Kühnheiten grell aus, bedrohlich lässt er die Streicher eng am Steg kratzen. In "La clemenza di Tito" stürmt und drängt Mozart kurz vor seinem Tod in Richtung Frühromantik – das zu zeigen, ist Capuano mit seinem Furor gelungen.
Sendung: "Allegro" am 2. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 07.August, 09:20 Uhr
Andreas
Ich würde mir manchmal etwas weniger „Jetzt“ wünschen und etwas mehr Kreativität und Phantasie in der Inszenierung . Die Probleme des Alltags werden uns Tag ein Tag aus in den Medien präsentiert. Es wäre schön wenn die Oper trotz treffender Aktualität einem Ablenkung vom medialen Alltag geben könnte.
Farbenfrohe Kostüme als grau in grau mit bunter Fahne oder die ewigen schwarz weiß Filme die im Hintergrund ablaufen. Mir soll alles recht sein nur bitte bitte keine Zeitung mehr.
Sonntag, 04.August, 12:56 Uhr
Ute
Sf
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