Sie ist Pink-Floyd-Fan und hat kein Problem mit Zuschauern, die zwischen den Sätzen klatschen. Pianistin Alice Sara Ott spielt am 15. und 16. Januar mit den Münchner Philharmonikern die deutsche Erstaufführung des Klavierkonzerts von Bryce Dessner. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht sie über Nostalgie und die Vielfältigkeit der Nocturnes von John Field – und verrät, wie sie sich dem ersten für sie geschriebenen Klavierkonzert genähert hat.
Bildquelle: Pascal Albandopulos
BR-KLASSIK: Alice Sara Ott, Anfang Februar kommt ihr neues Album mit den 18 Nocturnes von John Field heraus. In den Musikvideos dazu spielt Pink Floyd eine kleine Rolle. Wie ist die Band da reingerutscht?
Alice Sara Ott: Ich bin schon immer ein riesen Pink-Floyd-Fan. Gerade in meiner Teenagerzeit war die Band wichtig für mich. In einem meiner Musikvideos gibt es ganz viele bunte Ballons, inspiriert von dem Video zum Song "High Hopes" von Pink Floyd. Ich finde es total schön und nostalgisch, wie eine Runde Erwachsener da zusammensitzt, die Kindheit Revue passieren lässt und dazu diese Riesenballons aufsteigen.
BR-KLASSIK: Haben Sie einen Lieblingssong von Pink Floyd?
Alice Sara Ott: Tatsächlich "High Hopes", der davon handelt, wie viel grüner, heller und schöner die Welt früher war. Es ist ein bisschen ein nostalgischer Rückblick und handelt zugleich von der Naivität, die man damals hatte. Als Teenager habe ich das rauf und runter gehört.
BR-KLASSIK: Wenn Sie jetzt zurückblicken, haben Sie manchmal den Eindruck, es war vor 15 Jahren alles grüner und schöner? Ein nostalgisches Feeling?
Alice Sara Ott: Manchmal, wenn ich alte Fotos anschaue oder über die Zeiten nachdenke. Aber ich würde nicht sagen, dass es damals besser gewesen ist. Ich bin happy damit, wie ich gerade im Leben angekommen bin.
BR-KLASSIK: Ein bisschen nostalgisch, auf jeden Fall romantisch klingen die "Nocturnes" von John Field. Man kennt John Field nicht so. Wie kamen Sie auf ihn?
Alice Sara Ott: Der Name fiel zum ersten Mal in meinem Studium, aber nur am Rand. Irgendjemand hat wahrscheinlich erzählt, dass der Erfinder des Genres Nocturne gar nicht Frédéric Chopin ist, sondern ein irischer Komponist namens John Field. Das war es dann auch. Keiner in meinem Umfeld spielte seine Musik. Im zweiten Lockdown der Corona-Pandemie war ich ein bisschen melancholisch drauf und wollte mir eine Playlist mit Nocturnes zusammenstellen. Bei der Suche stieß ich auf John Field.
BR-KLASSIK: Was schätzen Sie an seiner Musik?
Alice Sara Ott: Ich kannte zuerst keine seiner Nocturnes, empfand sie aber gleich als nostalgisch, als würde ich sie seit meiner Kindheit kennen. Sie liefen dann bei mir in Dauerschleife. Ich fing an, mich mit Fields Biografie auseinanderzusetzen und stellte fest, dass man über ihn gar nicht so viel weiß wie zum Beispiel über seinen Zeitgenossen Ludwig van Beethoven. Interessant fand ich, dass ich Field von seiner Musik her nicht zuordnen konnte, weil sie sehr vielseitig ist. Manchmal erinnert er an Mozart, dann an einen jungen Beethoven und dann hört man den späteren Chopin raus. Das hat mich fasziniert.
BR-KLASSIK: Das Album ist mit Videos kombiniert. Ist diese Musik für Sie bildhaft?
Alice Sara Ott:. Die Musik kann auch einfach für sich selbst stehen. Aber ich habe schon sehr starke Assoziationen zu Musik. Oft sind es Gerüche, die wiederum an Szenen oder Erinnerungen aus der Vergangenheit gekoppelt sind.
BR-KLASSIK: Das Cover wirkt ein bisschen geheimnisvoll. Wie kam es dazu?
Alice Sara Ott: Was mich an John Fields Musik fasziniert, sind die vielen Facetten. Man streift sie aber immer nur ganz kurz. Ich stelle mir vor, dass man an einem Fenster vorbeiläuft und dahinter etwas sieht. Man sieht aber nicht den ganzen Raum, kann nicht die Tiefe rauslesen. Aber man sieht etwas, eine Emotion, vielleicht eine Tragik, irgendetwas. Nur für den Bruchteil einer Sekunde und dann geht man wieder vorbei und es entschwindet.
BR-KLASSIK: Jetzt spielen Sie mit den Münchner Philharmonikern die deutsche Erstaufführung eines Klavierkonzerts von Bryce Dessner. Er ist Amerikaner, spielt in einer Rockband. Wie kamen Sie dazu?
Alice Sara Ott: Ich kannte seine Band und seine Musik schon länger. Irgendwann habe ich mich getraut zu fragen, ob er eventuell ein neues Klavierkonzert für mich schreiben würde. Das hat er dann gemacht. Es war total spannend, das erste Mal, dass jemand ein ganzes Klavierkonzert für mich schreibt! Es gibt ja dann keine Referenz. Er hat mir Midi-Dateien gegeben, aber die klingen nicht schön. Am Anfang fühlte es sich an, als würde ich allein ins Wasser geworfen und müsste schwimmen lernen. Aber Bryce ist ein sehr zugänglicher Mensch und war offen für jede Frage. Die Zusammenarbeit war sehr erfrischend. Vor der Uraufführung war ich echt nervös, hatte aber auch extrem viel Spaß und bin daran gewachsen. Jetzt freue ich mich, das Konzert in meine Heimatstadt zu bringen.
BR-KLASSIK: Die Klassik wirkt manchmal etwas festgefroren. Wie machen Sie sich frei davon?
Alice Sara Ott: Das war für mich ein langer Prozess. Gerade die Auseinandersetzung mit der Gegenwart hat in meiner Ausbildung etwas gefehlt. In meinen Zwanzigern musste ich erst einmal eine künstlerische Identität entwickeln. In der Zeit habe ich viele Regeln hinterfragt. Mir geht es darum, mit dem Publikum zu kommunizieren und die Musik so rüberzubringen, dass so viele Menschen wie möglich sie auch so verstehen und empfinden können wie ich. Ohne dass die Musik dabei ihre Ernsthaftigkeit verliert. Deshalb halte ich nichts davon, wenn man Regeln in den Konzertsaal einführt. Allein, dass man vom Publikum erwartet, dass es Vorarbeit leisten muss, dass es weiß, aus wie vielen Sätzen eine Symphonie oder eine Sonate besteht, wann man zu klatschen hat, wann man still zu sein hat. All das spricht für mich gegen das Konzept der Musik. Ich finde, Musik muss man erst mal auf sich wirken lassen. Auch wir auf der Bühne können dem Publikum Informationen geben und es so durchnavigieren, dass es Teil davon sein kann. Damit sage ich nicht, dass traditionelle Konzepte nicht gut sind. Aber wir sollten Vielfalt zulassen und nicht Grenzen setzen.
Programm
John Adams: "Christian Zeal and Activity" für Kammerensemble
Bryce Dessner: Konzert für Klavier und Orchester – Deutsche Erstaufführung
Philip Glass: "Itaipú", symphonisches Porträt für Chor und Orchester
15. und 16. Januar in der Isarphilharmonie
Sendung: "Leporello" am 10. Januar 2025 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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