New York, 23. Januar 1943. Duke Ellingtons Suite "Black, Brown and Beige” wird in der Carnegie Hall uraufgeführt. Es war der erste Auftritt des großen Jazz-Orchesterchefs Duke Ellington in der prestigeträchtigen New Yorker Halle. Das Konzert begann mit "The Star-Spangled Banner", der US-Nationalhymne. Aber im Zentrum des Abends stand die Orchester-Suite "Black, Brown and Beige” – vom Publikum bejubelt, von der Kritik eher verschmäht.
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Eines der berühmtesten Stücke des Jazz-Orchesterchefs Duke Ellington (1899–1974) ist der wunderschöne lyrische Song "Come Sunday", ein Lied über den Trost, den Afroamerikaner:innen schon früh in der Religion fanden. Die Gospel-Königin Mahalia Jackson singt das Lied in einer sehr bekannten Aufnahme 1958 zur Begleitung des Komponisten selbst. Ursprünglich hatte das Stück gar keinen Text, sondern war eine lange, bewegende Saxophon-Kantilene des Altsaxophon-Stars Johnny Hodges aus dem ersten Teil der Orchestersuite "Black, Brown and Beige". In den 45 Minuten, die diese Suite - in drei Sätzen mit den Namen "Black", "Brown" und "Beige" - bei der Uraufführung dauert, übersetzt Ellington die Geschichte der Afroamerikaner:innen in Kunstmusik. Dramatisch, mit heftig geschlagenen Kesselpauken hebt das Werk bei seiner Uraufführung 1943 an.
Der erste Teil, "Black", reicht in dunkle Zeiten zurück: die Zeiten der Verschleppung und Sklaverei. Im zweiten Teil, "Brown", geht es um afroamerikanisches Leben in den Städten. Und im dritten Teil, "Beige", unter anderem um die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ellington selbst umschreibt den Inhalt seiner Suite damals so: "Ich bin in die Geschichte zurückgegangen und habe versucht, sie in Musik auszudrücken. In Afrika hatten wir ein bestimmtes Etwas, das wir verloren haben. Eines Tages werden wir es wiederbekommen. Ich fange in Klängen die alten Zeiten im Dschungel ein, die grausame Fahrt über das Meer und die Verzweiflung bei der Ankunft, und dann die Tage der Sklaverei. Ich zeichne das Erwachen einer neuen spirituellen Qualität nach und dann die Tage in Harlem und den anderen Städten der USA. Dann versuche ich, tausend Jahre in die Zukunft zu gehen." Und mit der Zukunft meint Ellington: eine Zeit, in der Afroamerikaner:innen freie Menschen sind, "emanzipiert und gewandelt".
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Duke Ellington - Black, Brown And Beige (1958) (Full Album)
Er saß bei der Uraufführung von "Black, Brown and Beige" im Publikum: Frank Sinatra | Bildquelle: dpa/picture-alliance Die Uraufführung am 23. Januar 1943 in der 2.800 Zuhörende fassenden Carnegie Hall ist Teil von Ellingtons überhaupt erstem Konzert in der prestigeträchtigen Halle. Ellington ist damals 42 Jahre alt und längst ein Jazz-Star; schon 15 Jahre zuvor hatte er sein Engagement im berühmten "Cotton Club" angetreten und war in den frühen 1930er Jahren auch für Auftritte nach Frankreich und Großbritannien gereist. Sein Konzert in der Carnegie Hall ist aber nicht das erste Jazzkonzert an dem bedeutenden New Yorker Ort – Benny Goodman war Ellington fünf Jahre zuvorgekommen mit seinem Konzert vom 16. Januar 1938. Doch auch Ellington kann ein Publikum mit sehr prominenten Besucherinnen und Besuchern begrüßen. First Lady Eleanor Roosevelt ist da, der damalige Jungstar Frank Sinatra, Dirigent Leopold Stokowski, nicht zuletzt auch der Pianist und Big-Band-Leader Count Basie.
Das lange Konzert mit 25 Programmpunkten und der Suite als Herzstück erhält viel Applaus. Aber Kritiker wollen nicht viel Gutes an der Suite erkennen. "Formlos und bedeutungslos!", befindet etwa die New York Herald Tribune. Deren Kritiker, der Schriftsteller und Komponist Paul Bowles, merkt zudem an: "Man sollte es einfach lassen, Jazz und Kunstmusik miteinander zu vermischen." Doch selbst Kritiker, die nicht von der klassischen Musik herkommen, sondern vom Jazz, wie der Produzent und Publizist John Hammond, können sich nicht mit der Suite anfreunden. "Unglücklich, dass der Duke an der Blues-Form herumpfuschte", schreibt er und stellte allgemein über Ellington fest: "Je komplizierter seine Musik wurde, um so weniger 'Feeling' konnten seine Solisten in ihrem Spiel entwickeln."
Wynton Marsalis findet die Suite "einzigartig". | Bildquelle: Frank Stewart Ellington findet zwar, dass die Kritiker sein Werk "einfach nicht begriffen" hätten, aber er führt das vollständige Stück dann nur noch zweimal auf. Auf Platte erscheinen zunächst nur gekürzte Versionen. Und erst 34 Jahre nach der Uraufführung wird der Mitschnitt des Konzerts in voller Länge auf Schallplatte veröffentlicht. Er dokumentiert ein Werk mit Weitblick. Dieses Stück ist ein Wagnis, das Respekt verdient - und diesen Respekt drückt auch der 1961 geborene Trompetenstar Wynton Marsalis aus, der das Werk 1981 mit seinem "Jazz at Lincoln Center Orchestra" vollständig neu aufnimmt: "Es ist einzigartig in der Geschichte des Jazz." Marsalis: "Es deckt ein Mosaik an amerikanischer Musik ab – nicht allein nur afroamerikanischer Musik."
Das Werk ist auch ein politisches Statement, allerdings ein subtiles, was dem feinsinnigen Charakter des Komponisten und Orchesterchefs Ellington entspricht. Schon 1931 hatte er über die Tradition der afroamerikanischen Musik geschrieben: "Was wir nicht offen sagen konnten, drückten wir in Musik aus." Einer Musik, die "in der weißglühenden Hitze unserer Sorgen geschmiedet" worden sei. Auch in "Black, Brown and Beige" drückt Ellington Leid, Dramatik, Sorgen in Tönen aus und nicht in programmatischen Worten. Allerdings erläutert er bei der Uraufführung vor jedem der drei Sätze, worum es darin jeweils geht. Vor dem dritten Teilstück sagt Ellington zum Publikum über die Realität der Afroamerikaner:innen: "Many don't have enough to eat and a place to sleep, but work hard and see that their children go to school." Zu wenig zu essen, oft kein Platz zum Schlafen, aber arbeitsam und bemüht, die Kinder zur Schule zu schicken. Lediglich "reich an Bildung" seien Afroamerikaner:innen, setzt er noch hinzu, ganz im Denken der "Harlem Renaissance", der ersten Blüte der afroamerikanischen Kunst in den 1920er Jahren.
Die Carnegie Hall in New York | Bildquelle: picture alliance / Evan Agostini/Invision/AP | Evan Agostini Die Suite "Black, Brown and Beige" wird auch als "Duke Ellingtons erste Symphonie" bezeichnet. Er selbst nennt sie einst eine klingende "Parallele zur Geschichte des 'American Negro'"– er verwendet damals durchgehend, wie zu jener Zeit üblich, das Wort "Negro" für Afroamerikanerinnen und -amerikaner. Das Werk ist ein früher, musikalisch subtiler Impuls für die spätere, sehr energische afroamerikanische Protestmusik. Immerhin steht die Veranstaltung damals auch für die Hoffnung, Gräben zu überwinden: die zwischen den Musiksparten "Klassik" und "Jazz", und auch die zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Auch das Publikum sei laut Presseberichten am 23. Januar 1943 nicht ausschließlich weiß gewesen, sondern durchaus auch "black, brown and beige" und damit "wohl kaum die übliche Carnegie-Crowd", wie eine ausführliche Story im "New Yorker" im Jahr 2010 unterstreicht. Die Gräben gibt es auch heute noch, aber Ellington tut als Musiker und populäre Gestalt zeitlebens viel, sie immer wieder zu überbrücken. Er tritt nach seinem Debüt übrigens noch 26 Mal in der Carnegie Hall auf, gleich 1943 im Dezember noch einmal, dann oft mehrmals jährlich; sein letztes Konzert in dem Saal findet 1972 statt. Kein schlechtes Vermächtnis von einem, der darin noch dazu eine so schöne Melodie wie die von "Come Sunday" integrierte. Musik zum Neu- und Wieder-Hören.
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The Legacy of Duke Ellington's "Black, Brown, and Beige"
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Sendung: "Allegro" am 23. Januar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK