Bologna, 19. November 1871. Giuseppe Verdi besucht eine Vorstellung des "Lohengrin", der ersten Wagner-Oper jenseits der Alpen. Begeistert ist er nicht von der Musik. Noch weniger von der Tatsache, dass man ihm später vorwirft, Wagner imitiert zu haben. Jahre später jedoch findet er eine passende Antwort.
Bildquelle: CD-Cover "Das Wahre erfinden" - eine Hörbiografie in acht Folgen
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"Gesamteindruck mittelmäßig. Musik schön, wo sie klar ist und Gedanken vermittelt. Handlung zieht sich hin, genau wie der Text. Folglich: Langeweile. Schöne Instrumentaleffekte. Zu viele lange Noten, schleppende Wirkung. Durchschnittliche Vorstellung. Viel Schwung, aber ohne Poesie und Feinheit." Insgesamt 114 kritische Bemerkungen kritzelte Verdi während des Theaterbesuchs in seinen Klavierauszug.
Musik schön, wo sie klar ist und Gedanken vermittelt.
Verdis Konkurrent Richard Wagner | Bildquelle: Archiv des Bayerischen Rundfunks Der Dirigent der vielbeachteten Produktion war Angelo Mariani, der bedeutendste italienische Dirigent der Zeit und zuvor treuer Mitstreiter Verdis. Als jedoch Marianis Verlobte, die Sopranistin Teresa Stolz, eine "Ménage à trois" mit dem 20 Jahre älteren Komponisten und seiner Gattin Giuseppina zu führen begann, kündigte der verletzte Pultstar dem Komponisten die Gefolgschaft auf: Statt in Kairo die "Aida" aus der Taufe zu heben, widmete er sich in Bologna Verdis Erzrivalen Wagner – und spaltete damit Italiens Kulturwelt in zwei feindliche Lager.
Die einen sahen im "Lohengrin" den Erlöser aus der verzopften Tradition des einheimischen "Melodramma"; die anderen hielten die germanisch wabernden Gralsklänge für eine ernste Gefährdung der klaren mediterranen Gesangstradition. Verdi "schwante" buchstäblich, dass dieser Streit nicht zuletzt auf seinem Rücken ausgefochten würde. Verstimmt schrieb er seinem Verleger Ricordi, er wolle die "Aida" verbrennen, sollte sie ihn in den Verdacht bringen, "lohengrinisiert" worden zu sein.
Tatsächlich musste sich Verdi fortan den Vorwurf der Wagner-Imitation anhören, wann immer er sich vom konventionellen Cabaletten-Schema entfernte. Vielleicht war es die Verbitterung hierüber, die ihn für die nächsten 15 Jahre verstummen ließ. Doch dann war seine Antwort auf Wagner gereift: Seine späten Meisterwerke "Otello" und "Falstaff" gaben alle Plagiatsvorwürfe der Lächerlichkeit preis. Und: Wer zuletzt lacht, lacht am besten!
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Richard Wagner: Prelude to «Lohengrin», Simon Rattle
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Sendung: "Allegro" am 19. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 19.November, 12:18 Uhr
Stephan Erath
Erzrivale
Wagner hat sich selbst nie als Rivale von Verdi betrachtet, er hat ihn ja kaum beachtet, weil seine künstlerische Ausrichtung so anders war. Im Endeffekt sollte man beide Künstler wertschätzen und sich von den je nach Lager so üblichen Verkleinerungen des jeweiligen Komponisten distanzieren. So habe ich schon ich in einem Programmheft der Wiener Volksoper gelesen, in Rigelottos "Povero Rigoletto" sei künstlerisches Können als im ganzen Ring zu finden. Solche Seitenhiebe findet man eigentlich sonst in Programmen nie, für die Narrative der beiden als Rivalen scheint es aber wichtig zu sein.