Toronto, 03. Juli 1973. Der tschechische Dirigent Karel Ančerl stirbt. Als einer der wenigen hatte er während des Zweiten Weltkriegs die Haft in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz überlebt. 1950 war er er zum Chefdirigenten der Tschechischen Philharmonie ernannt worden. Doch auch aus seiner Heimat Tschechien ist er emigriert ...
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Den Tod hat er schon 30 Jahre früher vor Augen: Seine Karriere als Dirigent beim Tschechoslowakischen Rundfunk endet 1939 mit der deutschen Besetzung. Im sogenannten "Protektorat Böhmen und Mähren" gelten nun die nationalsozialistischen Rassengesetze, Ančerl wird aufgrund seiner jüdischen Herkunft ins Ghetto Theresienstadt verschleppt. Dort trifft er auf viele Prager Komponisten wie Gideon Klein, Hans Krasa, Viktor Ullmann und Pavel Haas, die dem Elend zum Trotz ein reges Konzertleben organisieren. Die Lagerleitung duldet das, denn so lässt sich Theresienstadt zum Vorzeige-Ghetto stilisieren, das von den Vernichtungslagern ablenken soll.
"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" ist der Titel des zynischen Propaganda-Films, der diesen Ort am Rand des Lebens als sonniges Idyll inszeniert. Auch Karel Ančerl ist zu sehen, wie er mit dem von ihm gegründeten Häftlingsorchester eine Streicherstudie von Pavel Haas dirigiert. Wenig später, im Oktober 1944, werden er, seine Frau, sein kleiner Sohn und seine Eltern sowie fast alle Musiker und Komponisten nach Auschwitz deportiert. Karel Ančerl ist der einzige, der überlebt.
1950 wird er zum Chefdirigenten der Tschechischen Philharmonie ernannt, die sich unter seiner Leitung einen Spitzenplatz unter den Orchestern des Ostblocks erspielt und als Botschafterin der tschechischen Musik in die ganze Welt eingeladen wird. Die 42 Alben der "Karel Ančerl Gold Edition" bei Supraphon dokumentieren diese große Ära, die mit der Niederschlagung des "Prager Frühlings" zu Ende geht. Als Ančerl 1968 zum zweiten Mal die Besetzung seiner Heimat erlebt, emigriert er nach Kanada und wirkt bis zu seinem Tod als Chefdirigent des Toronto Symphony Orchestra.
Über seine Zeit in den Lagern sprach Ančerl kaum; doch nach Theresienstadt kehrte er noch einmal zurück, um die Stimmen von Pavel Haas' "Studie für Streichorchester" für die Nachwelt zu retten. Sie selbst aufzuführen, hat er nie über sich gebracht…
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Bedřich Smetana, Karel Ančerl, Česká filharmonie - Má vlast: Vltava / My Country: Vltava
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Sendung: "Allegro" am 03. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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