Paris, 07. Juni 1933. Das Ballett "Die Sieben Todsünden" wird uraufgeführt. Mit der Musik von Kurt Weill, mit Texten von Berthold Brecht und in der Choreographie von George Balanchine. Es ist ein Auftragswerk des Kunstmäzens Edward James, der auch die Rahmenhandlung entwirft.
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"Die Sieben Todsünden" ist allerdings gar kein astreines Ballett, das Werk wirkt seltsam amorph, das Team tut sich schwer beim Einfinden in die Rollen. Kurz vor der Uraufführung schreibt Weill an Brecht: "Es ist ein Durcheinander. Natürlich hat sich unter den Ballettanhängern eine Partei gebildet, die das Ballett zu wenig Ballett findet. Dadurch hat es in den letzten Tagen große Kräche gegeben."
Es ist ein Durcheinander.
Gveorge Balanchine | Bildquelle: picture alliance / Everett Collection | CSU Archives/Everett Collection Der clevere Brecht ist fein raus aus dem Chaos. Er war ja sowieso nur zweite Wahl, weil Jean Cocteau als Textdichter abgelehnt hatte. Zwei Wochen hat Brecht mit Weill an den Texten geschliffen und basta. Balanchine hingegen, der ist eine Diva. Mit ihm hat Weill seine liebe Not: "Das übrige hängt davon ab, ob Balanchine seine angeborene Faulheit überwindet und seine Tänze präzise ausarbeitet oder nicht. Dabei kann man ihm weder helfen noch dreinreden."
Kurt Weill ist, wie immer, ein Arbeitstier. Er schuftet Tag und Nacht und versucht, den Laden zusammen zu halten. Und das, obwohl ihm gleichzeitig auch noch die "Universal Edition" im Nacken sitzt und lamentiert, man könne ihm nichts mehr bezahlen, weil seine Werke nicht mehr gespielt würden. Kein Wunder, Weills und Brechts Werke stehen in Deutschland auf der Liste der "Kampfwoche gegen Schmutz und Schund". Dabei müsste den säuberungswütigen Nazis gerade das Ballett "Die Sieben Todsünden" gut reinlaufen. Immerhin geht‘s um Moral. Sogar um Doppelmoral! Im Mittelpunkt der sieben satirischen Episoden steht Anna. Die zwei Seiten ihrer Persönlichkeit werden konsequenterweise auch von zwei Frauen gespielt.
Bei der Premiere spaltet sich das Publikum in Buh-Brüller und Bravo-Gröler. "Der Aufbau ist fester, abwechslungsreicher und durchgängiger. Ein Fortschritt! Die Musik beschreibt eine Art neurasthenischer Müdigkeit, eine gewisse Grandeur." So steht es in "The Times". Im "New Yorker" ist davon die Rede, dass der intellektuelle Kommunist Weill weniger ein Ballett als ein Unsittengemälde abgeliefert habe. Und in "Paris-Soir" glaubt man, "es sei mehr Kantate als Ballett. Und es klingt bewundernswert, doch sind die Klänge uns schon vertraut".
Jean Cocteau jedoch ist komplett von den Socken und schreibt Kurt Weill eine seiner speziellen und persönlich gestalteten Postkarten: "Es war irgendwie großartig, wie das Stück den Konflikt zwischen Egoismus und Behaglichkeit einerseits und Altruismus und Unbehagen andererseits darstellte. Ich lebe seit zwei Tagen im Tempo ihrer Arbeit. Zart und grausam. Seien Sie umarmt."
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"Seven deadly sins" by Kurt Weill, Opera de Paris, cond. A.Polianichko
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Sendung: "Allegro" am 07. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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