Mariinski-Theater, Sankt Petersburg. 16. Januar 1916. Sergej Prokofjew dirigiert ein Konzert, das die Zeitung "Muzyka" am nächsten Tag mit einem "Skandal in einer piekfeinen Familie" vergleichen wird. Über die Hälfte der Zuhörer flüchtet während der "Skythischen Suite" aus dem Theatersaal, unter ihnen der stets geduldige, unerschütterliche Alexander Glasunow. Selbst die Musiker auf der Bühne sind ungehalten. Ein Sturm der Entrüstung folgt.
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Zu laut, zu motorisch, zu nervig sind vielen die Klänge des riesig dimensionierten Orchesters, in dem alles mitspielt, was auf einer Konzertbühne Platz hat: 4 Trompeten, 5 Extratrompeten, 8 Hörner, 4 Posaunen, 1 Tuba – schon allein die Blechbläserfraktion lässt die Petersburger mit den Ohren wackeln.
Genau diese Art akustischer Provokation hatte anderthalb Jahre zuvor der berühmte Impresario Sergei Djagilew im Sinn, als er beim gerade frisch diplomierten Nachwuchsstar Sergej Prokofjew eine Musik für seine "Ballets Russes" bestellte. Prokofjew hatte seinen Ruf als "enfant terrible" bereits weg. Der perfekte Komponist also für ein avantgardistisches Ballett aus der skythischen Mythologie. In Sachen Avantgarde und Mythologie hatte bereits Strawinsky mit seinem "Sacre" für die Ballets Russes für einen Skandal gesorgt. Doch Djagilew hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Das Szenario des russischen Schriftstellers Sergej Gorodetskij war ihm viel zu konstruiert, Prokofjews Musik deswegen zu ausgeklügelt. Das Engagement wurde auf halber Strecke storniert.
Prokofjew wäre nicht Prokofjew, wenn ihn dieser künstlerische Korb in die Knie gezwungen hätte. Sein Stück, befand er selbstbewusst, sei viel zu gut, um es in Vergessenheit geraten zu lassen. Sprach' s und exzerpierte aus dem Ballett-Material die "Skythische Suite", vier Sätze, gut 20 Minuten Musik. Den meisten im Mariinski-Theater war allerdings auch das schon deutlich zu viel.
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Scythian Suite / S. Prokofiev
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Sendung: "Allegro" am 16. Januar 2025 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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