Carl Nielsen war der wohl wichtigste dänische Komponist des 20. Jahrhunderts. Herbert Blomstedt, amerikanischer Dirigent schwedischer Herkunft, setzt sich seit Jahrzehnten stark für Nielsens Musik ein. Im "Starken Stück" spricht er mit BR-KLASSIK über Nielsens Dritte Symphonie mit dem Untertitel "Sinfonia espansiva".
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Das Starke Stück
Carl Nielsen – Symphonie Nr. 3
Der Name "Sinfonia espansiva" geht auf den ersten Satz zurück. Carl Nielsen überschrieb ihn mit "Allegro espansivo". Es hatte Jahre gedauert, bis ihm die Idee zu diesem ausgedehnten, offenen Hauptthema kam. Nielsen war im Frühjahr 1910 gerade mit der Straßenbahn unterwegs, als ihm das Thema einfiel. Und weil er gerade kein Papier dabei hatte, notierte er das Thema kurzerhand auf seinem Hemdsärmel. Der Anfang der Dritten Symphonie ist ein vorwärtsdrängender. Herbert Blomstedt sagt dazu: "Da ist ein enormer Wille in der Musik. Das gibt der Musik einen stark ethischen Charakter. Man hat schon von Anfang an ein Ziel."
Da ist ein enormer Wille in der Musik.
Der Dirigent Herbert Blomstedt | Bildquelle: Martin U.K. Lengemann Nielsen verwendet in seiner Musik bevorzugt klare, diatonische Intervalle. Damit wandte er sich bewusst ab von den spätromantischen Harmonien mit ihren chromatischen Fortschreitungen, wie sie bei Komponisten wie Richard Wagner oder Max Reger zu finden sind. Nielsens Musik basiert auf der klassischen Tradition. Der erste Satz seiner Dritten Symphonie strahlt vor lebensbejahender Energie. Der zweite Satz hingegen ist anders: sehr ruhig und geradezu idyllisch. Herbert Blomstedt: "Man wird in eine Trancestimmung versetzt und bekommt drei Gefühlserlebnisse: Da ist zuerst die Naturmusik – keine Chromatik, reine diatonische Musik, sehr leise. Und dann kommen die Vögel oder andere Wesen mit den Bläsern – lebendige Tierwelt. Dann kommen die Menschen mit den Streichern: sehr viel Passion, sehr viel Angst, Treiben, Vorwärtstreiben. Am Ende kommen sogar menschliche Stimmen. Die singen nur Vokalisen und der Hörer denkt: Was ist da los? Singt da jemand? Ja, eigentlich singt die ganze Welt." Die menschlichen Stimmen fügte Nielsen dem Werk erst in einem späteren Schaffensabschnitt hinzu. Sie geben der Musik eine besondere Stimmung und erinnern ein wenig an das erste Menschenpaar: Adam und Eva im Paradies.
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Im Sommer 1910 musste Nielsen seine Arbeit an der Dritten Symphonie unterbrechen. Depressionen plagten ihn. Der 45-Jährige befand sich in einer Art Midlife-Crisis. Erst im Herbst machte er sich wieder an die Arbeit und konnte die letzten beiden Sätze im Winter fertigstellen. Nach dem ruhigen "Andante pastorale", das ganz still verklingt, beginnt der dritte Satz mit einem musikalischen Kontrast: ein synkopenartiger Rhythmus, in den sich dann die Melodie einer Oboe hineinschmiegt. Nielsen war trotz persönlicher Rückschläge zeitlebens ein humorvoller Mensch. Das spiegelt sich auch in seiner Musik wieder. Sie ist voll von witzigen und humoristischen Einfällen. Dafür finden sich auch im vierten Satz mehrere Beispiele.
Der letzte Satz ist fast ein Hymnus. Aber am Ende des Satzes kommt plötzlich etwas, das wie Boogie-Woogie klingt. Zehn Jahre bevor Boogie-Woogie erfunden wurde.
Die Uraufführung der Dritten Symphonie am 28. Februar 1912 in Kopenhagen wurde ein Riesenerfolg. Sie ist auch das erste Werk, mit dem Nielsen im Ausland wirklich bekannt wurde: vor allem in Schweden, Finnland, Holland und Deutschland. Nielsen verfolgte beim Komponieren eine bestimmte Absicht, die noch viel weiter reicht: Seine Musik enthält eine Botschaft an alle Menschen. Herbert Blomstedt fasst es auf foelgende Weise zusammen: "Er glaubte fest an die ethische Wirkung der Musik. Das ist nicht Musik, die nur zum Vergnügen geschrieben wurde. Er wollte die Menschen verändern. Seine symphonischen Werke haben diese Intention: etwas geben, zeigen, dass das Leben mehrere Inhalte hat. Die Grundidee ist immer wie bei Beethoven: durch Nacht zum Licht."
Carl Nielsen:
Symphonie Nr. 3 ("Sinfonia espansiva")
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Herbert Blomstedt
Sendung: "Das starke Stück" am 12. November 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK