Die Sinfonien und die Kammermusik von Schostakowitsch spiegeln seine Biografie. Die Klavierkompositionen sind weniger bekannt. Völlig zu Unrecht, sagt Jascha Nemtsov, der 2010 die 24 Präludien op. 34 eingespielt hat. Diesen 1933 vollendeten Zyklus stellt der Pianist gemeinsam mit BR-KLASSIK vor.
Bildquelle: Krzysztof Meyer: "Schostakowitsch. Sein Werk, seine Zeit", Bergisch Gladbach 1995
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Am 30. Dezember 1932, 13 Tage nach Beendigung der Oper "Lady Macbeth von Mzensk", die für Schostakowitsch den künstlerischen Durchbruch darstellte, begann der Komponist die Arbeit an den 24 Präludien. Das Werk versteht sich in jener verpflichtenden Tradition, die von Johann Sebastian Bach ausging und später durch Chopin, Rachmaninow, Skrjabin und Debussy gepflegt wurde: Klavierstücke in allen Tonarten. Die Idee und die stilistischen Mittel der Präludien unterscheiden sich dabei grundlegend von den vorherigen Werken von Dmitrij Schostakowitsch: "Zu Beginn der 30er Jahre hat sich sein Stil schon beträchtlich gewandelt", erklärt der aus Russland stammende Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov. "Speziell der Zyklus der 24 Präludien demonstriert eine andere Musiksprache. Man könnte es so interpretieren: Ja, er wollte sich fügen, aber andererseits beobachtet man diese Entwicklung ganz allgemein, auch in Westeuropa um die Zeit. Die Zeit der wilden Experimente war irgendwie vorbei. Es ist wirklich immer schwer zu sagen, was durch den gesellschaftlichen Druck verursacht, was durch die innerliche Entwicklung des Komponisten. Ich denke, wenn die Musik so genial ist, wie die von Schostakowitsch, kann man sie nicht als ein Produkt der Anpassung betrachten."
Es ist wahnsinnig schwierig, weil man nach jedem Stück völlig umschalten muss.
Jascha Nemtsov | Bildquelle: Marko Priske Als Nemtsov vor ein paar Jahren das Angebot erhielt, die 24 Präludien von Schostakowitsch aufzunehmen, sagte er sofort zu. Schließlich sei Schostakowitsch für ihn einer der größten Meister des 20. Jahrhunderts. Doch Nemtsov fand nur wenige Einspielungen dieses Zyklus. Auch auf der Konzertbühne hört man die 24 Präludien selten. Warum? Die Vielfalt der kleinen Miniaturen ist enorm, sagt Nemtsov. Und gerade diese Tatsache sei für die Interpreten eine wirkliche Herausforderung: "Es ist wahnsinnig schwierig, weil man nach jedem Stück völlig umschalten muss. Man muss wirklich eine ganz neue Spielart suchen, in neue Stimmung kommen. Das kostet einfach Zeit und es ist einfach sehr anstrengend."
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Wie Chopin, Skrjabin und Debussy bemüht sich Schostakowitsch um Kontraste und vielfältige Stimmungen bei seinen 24 Präludien. Doch zusätzlich zu Dramatik, Lyrik und epischer Breite ist in dem Zyklus des 26-jährigen Schostakowitsch eine neue Emotion wichtig. "Er hat die Ausdrucksphäre vielleicht noch etwas erweitert", sagt Nemtsov. "Er hat da besondere Stimmungen reingebracht, die vielleicht vorher in der Musik nicht so gebräuchlich waren – nämlich verschiedene Abstufungen von Humor. Es ist nie oberflächlich, nie ein Klamauk, sondern das ist immer vielschichtig. Das ist diese große russische Humortradition, die noch von Nikolaj Gogol kommt, der von Schostakowitsch so bewundert wurde und auf dessen Texte er seine Oper 'Die Nase' komponierte."
Dmitrij Schostakowitsch, Karikatur von 1933 | Bildquelle: Lothar Seehaus: "Dmitrij Schostakowitsch. Leben und Werk", Wilhelmshaven 1986 Von bitterböser Satire und beißender Ironie bis zum Schmunzeln, vom Grotesken bis zu übertriebener Trivialität der "Unterhaltungsmusik" – so groß ist die "humorige" Palette von Schostakowitsch. Gerade da sei es wichtig, als Interpret in den Grenzen des guten Geschmacks zu bleiben, meint Jascha Nemtsov: "Ich denke, dass viele Interpreten durch diesen Humor ein wenig irregeleitet werden, dass sie dann alles so gestalten, dass es irgendwie lustig sein sollte. Aber ich denke, das ist so, als wenn jemand versuchen würde, lustig zu sein, in dem er nur die Zunge rausstreckt und Grimassen verzieht, das könnte vielleicht zehn Sekunden lustig sein, aber danach ist es nur langweilig und man wendet sich ab. Auch der Humor bei Schostakowitsch ist immer vielschichtig, und es gibt in der Tat nur wenige Pianisten, die die ganze Komplexität dieser Musik authentisch wiedergeben konnten."
Wer sich Schostakowitschs 24 Präludien anhört, der muss zunächst einmal den Urheber der "Leningrader Symphonie" vergessen, um den Komponisten von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Denn in dem Werk gibt es weder Heldenvisionen noch Siegesmetaphern, sondern nur eine ganz persönliche Musik, die bisweilen schmerzerfüllt, träumerisch oder auch komisch sein kann. In seiner Musik versteckte der Komponist die Botschaften an die Zeitgenossen. Nicht umsonst wiederholte er oft: "Hören Sie doch meine Musik, da ist alles gesagt."
Jascha Nemtsov (Klavier)
Label: PROFIL edition günter hänssler
Sendung: "Das starke Stück" am 17. September 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK