Berlin, 2. September 1909. Der renommierte Richard Strauss zeigt, wo er kann, seinen guten Willen gegenüber dem jungen Feuerkopf Arnold Schönberg. Dessen Opus 16 – die Fünf Orchestertücke – sind ihm aber zu gewagt.
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Strauss tut also, was er kann, um Schönberg zu fördern: Er engagiert sich, wenn es um Aufführungen von Werken geht, vermittelt dem Kompositionstalent aus Wien kleine Jobs und empfiehlt ihn für Stipendien. Eine echte Männerfreundschaft entwickelt sich zwischen den beiden zwar nicht. Aber sie sind sich wohlgesonnen.
Und Schönberg fühlt sich von diesem wahren Musiker, wie er Strauss nennt, geachtet und anerkannt. Also schickt er ihm freimütig und natürlich auch hoffnungsvoll seinen neuesten Streich, das sind fünf kleine Orchesterstücke, nicht mal 20 Minuten dauern sie. "Ich verspreche mir kolossal viel davon, insbesondere von Klang und Stimmung. Nur um das handelt es sich – absolut nicht symphonisch, direkt das Gegenteil davon, keine Architektur, kein Aufbau. Bloß ein bunter ununterbrochener Wechsel von Farben, Rhythmen und Stimmungen." So charakterisiert Schönberg sein Opus.
Richard Strauss studiert neugierig das Notenmaterial. Er versucht, die Melodie zu pfeifen. Oder sagen wir mal, zu suchen. Allerdings findet er nichts, was kein Wunder ist, denn es handelt sich bei diesen fünf Stücken um das erste und einzige Orchesterwerk Schönbergs in freier Atonalität! Da findet man nicht mal mit allergrößtem Willen ein musikalisches Thema.
Es ist mir sehr schmerzlich, Ihnen Ihre Partituren ohne eine Zusage der Aufführung zurückschicken zu müssen.
Richard Strauss wollte Schönbergs Fünf Orchesterstücke dem Publikum nicht zumuten. | Bildquelle: picture-alliance/akg-images Strauss klappt die Mappe mit den Noten zu und schreibt an jenem 2. September einen höflichen Brief an Arnold Schönberg: Es ist mir sehr schmerzlich, Ihnen Ihre Partituren ohne eine Zusage der Aufführung zurückschicken zu müssen. Sie wissen, ich helfe gern und habe auch Muth. Aber Ihre Stücke sind inhaltlich und klanglich so gewagte Experimente, daß ich vorläufig es nicht wagen kann, sie einem mehr als conservativen Berliner Publikum vorzuführen."
Schönberg ist schwer enttäuscht von Strauss. Dass der Kollege die schöpferische Kraft dieser musikalischen Prosa nicht erkennt. Erst im Jahr 1912 wird dieses einmalige Werk Schönbergs dann in London im Rahmen der Proms unter der Leitung von Henry Wood uraufgeführt. Schönberg berichtet: "Es geschieht nicht oft, dass ein englisches Publikum die Musik auszischt, die es nicht schätzt, so wie es ein Drittel Leute tat. Ein weiteres Drittel des Publikums zischte nicht, weil es lachte, und das restliche Drittel schien zu verwirrt, um zu lachen oder zu zischen."
Unsere heutigen Ohren empfinden die Orchesterstücke op. 16 von Arnold Schönberg zwar nicht unbedingt als Wohlklang, aber für Verwirrung sorgen die experimentierfreudigen atonalen Häppchen sicher nicht mehr.
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Arnold Schoenberg - 5 Orchestral Pieces Op. 16 (1909)
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Sendung: "Allegro" am 02. September 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK