Paris, 18. Oktober 1923. Igor Strawinskys Bläser-Oktett wird uraufgeführt. Das Konzert markiert nichts anderes als den Beginn einer neuen Stilrichtung: den Neoklassizismus.
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Am Dirigentenpult steht der Komponist. Zum ersten Mal überhaupt hat er bei einer Uraufführung die musikalische Gestaltung als Dirigent selbst in der Hand. Er ist also live dabei, als die Pariser Avantgarde erwartungsvoll im Publikum sitzt, bereit für den nächsten musikalischen Schlag, den Strawinsky ihnen verpasst – nach der ungestümen Uraufführung von "Le Sacre du Printemps" zehn Jahre zuvor. Doch schon beim Anblick der Besetzung müsste das Publikum skeptisch werden. Statt eines auftrumpfenden Orchesters sitzen da, recht bescheiden, acht Blasmusiker: Flöte, Klarinette und je zwei Fagotte, Trompeten und Posaunen. Und was erklingt ist ein "Skandal der Stille".
So beschreibt das Stück zumindest der Dichter Jean Cocteau. Wobei er damit maßlos übertreibt. Klar, Strawinsky will mit diesem Oktett die Klangmassen, die große Besetzung und eigentlich das ganze 19. Jahrhundert hinter sich lassen. Stattdessen reist er aber noch weiter in die Vergangenheit der Musikgeschichte. Als würde er wie durch ein Kaleidoskop zurückschauen und die verschiedenen bunten und schillernden Partikel einmal durchschütteln und wieder neu zusammensetzen. Er bedient sich der klaren Strukturen, der Gestik, der Formen der klassischen Musik des 18. Jahrhunderts und würzt sie mit seiner eigenen unverkennbaren Harmonik. In der wiederum blitzt seine eigene Herkunft hervor: die russische Volksmusiktradition.
Strawinsky selbst beschreibt das Oktett als trocken, kühl, klar und spritzig wie einen Sekt. Andere sehen in ihm den Beginn einer neuen Epoche: Der Neoklassizismus ist angebrochen.
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Wind Octet - Igor Stravinsky
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Sendung: "Allegro" am 18. Oktober 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK