Der Gegensatz von Lust und Enthaltsamkeit, von Exzess und Mäßigung, von sinnlicher und geistiger Liebe durchzieht Richard Wagners Schaffen wie ein roter Faden. Mehr und mehr verschieben sich dabei jedoch die Akzente vom Eros hin zur Askese, sowohl im Leben als auch im Werk des Komponisten.
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(Bild: "Tannhäuser im Venusberg". Holzstich, undatiert, um 1895, nach Gemälde von Friedrich Stahl)
Die Inszenierung entgrenzter Lust schwebte Wagner für die erste Szene des "Tannhäuser" vor. Der Venusberg sollte als sinnlich-erotisches Chaos dargestellt werden: "Was ich im Sinne habe, ist ein Zusammenfassen alles dessen, was irgend Tanz- und Pantomimenkunst zu leisten vermag: ein verführerisch wildes und hinreißendes Chaos von Gruppierungen und Bewegungen, vom weichsten Behagen, Schmachten und Sehnen, bis zum trunkensten Ungestüm jauchzender Ausgelassenheit." So schrieb Wagner. Bald schon wird der rast- und ruhlose Minnesänger jedoch des Rausches und der Liebesfreuden überdrüssig. Von der Welt der Venus – der Welt des Eros – zieht es ihn zurück in seine alte Welt, eine lustfeindliche Welt, eine Welt, in der Liebe nur als fernes, unnahbares Ideal existiert, eine Welt der Askese.
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In "Tannhäuser" stehen Erotik und Entsagung noch mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander, über weite Strecken wird hier der verführerischen Venus sogar ganz klar der Vorzug gegeben gegenüber der reinen Elisabeth. Sogar Wolfram, der vehemente Verteidiger hoher, huldvoller Minne, besingt am Ende doch den Abendstern: Venus, die Liebesgöttin. Die Oper entstand während Wagners Revoluzzerjahren, Jahren des Sturm und Drang eines hochtrabenden Künstlers. Der Dresdener Maiaufstand 1849, an dem sich Wagner aktiv beteiligen sollte, stand noch bevor. Während dieser Zeit war es vor allem die Philosophie Ludwig Feuerbachs, von der er sich beeinflussen ließ – in politischer, aber auch in lebens- und liebesphilosophischer Hinsicht.
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Das Venusberg-Bacchanal zu Beginn des "Tannhäuser" ist unmissverständliche künstlerische Manifestation der von Feuerbach postulierten "Wahrheit des Sinnlichen". Die "böse Lust", wie sie dort exzessiv ausgelebt wird, steht der "guten Liebe", die die verknöcherte Wartburggesellschaft besingt, gegenüber, und Tannhäusers innere Zerrissenheit zwischen Eros und Askese wird ihn schließlich das Leben kosten. Der fast vierzig Jahre später geschriebene "Parsifal" hingegen ist Wagners Hohelied auf die Askese. Ein Männerzirkel verbannt alles Weibliche und zelebriert die Keuschheit als einzigen Weg des Heils.
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Richard Wagner: "Tannhäuser - Venusberg Musik"
In der Antike hatte der Gott Eros noch eine ganz andere Funktion, als die des Feindbildes einer reinen, christlichen Lehre. Der Sohn der Aphrodite, die ja gleichbedeutend ist mit Venus, galt ursprünglich sogar als Muster der Menschlichkeit und der Tugend.
Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken, er starb zwar nicht daran, aber er entartete zum Laster.
Friedrich Nietzsche | Bildquelle: picture-alliance/dpa Friedrich Nietzsche, der Wagner-Verehrer, der später zum Wagner-Kritiker wurde, unterscheidet zwischen der Kunst des Rausches und der Kunst des Maßes, dem Dionysischen und dem Apollinischen. Vehement stellt er sich gegen die unkritische Verteufelung des Eros und die Glorifizierung der Askese: "Es versteht sich nur zu gut, dass, wenn einmal die verunglückten Schweine dazu gebracht werden, die Keuschheit anzubeten – und es gibt solche Schweine! – sie in ihr nur ihren Gegensatz, den Gegensatz zum verunglückten Schweine sehn und anbeten werden – o mit was für einem tragischen Gegrunz und Eifer!"
Bei Richard Wagner ist Liebe oftmals der Weg zur Erlösung. Tannhäuser erlangt sein Seelenheil durch den Opfertod der ihn liebenden Elisabeth, der Holländer wird durch Sentas Liebe von seinem Fluch erlöst. Mehr und mehr wich diese optimistische, hoffnungsvolle Sichtweise Wagners jedoch einem pessimistischen Weltbild. Er wandte sich den Schriften Arthur Schopenhauers zu, der Erlösung durch Entsagung propagiert. Er wandte sich dem Buddhismus und fernöstlichen Philosophien zu, die ebenfalls ein asketisches diesseitiges Leben als leidvollen Weg zur Transzendenz verstehen.
Arthur Schopenhauer | Bildquelle: picture alliance / Heritage Art/Heritage Images
Wagners Bekanntschaft mit derartigem Gedankengut fiel in seine Zeit im Schweizer Exil, mitten in seine Konzeption der Ring-Dichtung. Über Schopenhauer schrieb Wagner: "Alles, was in mir bereits voll und fertig war, hat dieser klare, tiefe und gewaltige Geist mir vollends zum sicheren Bewusstsein gebracht: die einzig mögliche Erlösung durch die ernsteste Entsagung." Erlösung wird nun nicht mehr als eine Erlösung durch Liebe verstanden, sondern als eine Erlösung von Liebe. Schopenhauer, dessen Philosophie sich stark auf buddhistisches Gedankengut stützt, sieht in der Liebe die reinste Bejahung des Willens zum Leben. Transzendente Erlösung ist dadurch also nicht möglich. Die buddhistische Lehre nennt dies Durst und Gier. Erst wenn man es schafft, sich von jeglichem Streben und Sehnen zu befreien, kann man den Weg der Erleuchtung gehen.
In keinem anderen Werk Wagners kommt solches Gedankengut stärker zum Tragen als in "Parsifal". Eros und alles, was damit zusammenhängt, wird negiert. Man geht sogar so weit, sich selbst zu entmannen, wenn man anders nicht zur Askese fähig ist. Und Parsifal muss erst noch diversen erotischen Versuchungen widerstehen, ehe er zur Erlöserfigur wird.
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Judith Gautier | Bildquelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library Kunst und Privatleben waren bei Wagner immer auf engste verknüpft. Weniger jedoch die Askese, als vielmehr der Eros bestimmte sein Verhältnis zu Frauen. Drei Frauen sind in seiner Biographie sozusagen autorisiert: Minna, seine erste Ehefrau; Cosima, mit der er in zweiter Ehe seine letzten Jahre verbrachte; und Mathilde Wesendonck, mit der er während der Ehe mit Minna ein zärtlich-schwärmerisches, wohl aber platonisches Verhältnis hatte. Daneben hatte er noch mehrere Affären. Etwa mit der jungen, verführerischen Jessie Laussot, mit der er sogar nach Griechenland oder Kleinasien fliehen wollte, oder – schon in reiferen Jahren – mit der sinnlichen Judith Gautier, der Tochter des französischen Romanciers Théophile Gautier. Sie inspirierte den alternden Komponisten zur Blumenmädchenszene in "Parsifal", und mit ihr hatte er einen leidenschaftlich glühenden Briefwechsel; so schrieb er ihr: "An das Erlebnis Ihrer Umarmungen denke ich als an den berückendsten Rausch, an den höchsten Stolz meines Daseins."
Auch Minna, für dreißig Jahre Wagners erste Ehefrau, die ihm mehr und mehr zum biederen, lästigen Anhängsel wurde, war anfangs für ihn vor allem ein erotischer Zeitvertreib. "Sie hat mich ein paarmal recht sinnlich verklärt – es war mir prächtig dabei zumute", schrieb er einem Freund. Gerade bei Mathilde Wesendonck fand Wagner später eine Seelenverwandtschaft, die er bei Minna so schmerzlich vermisste. Mathilde wurde ihm zur Muse, dann zur Geliebten, wohl aber nur zur geistigen Geliebten. Und in "Tristan und Isolde" brachte er gerade jenen ekstatischen Rausch, jene erotische Sehnsucht zum Klingen, die er in der Realität mit Mathilde wohl nie ausleben konnte.
Cosima und Richard Wagner | Bildquelle: picture alliance/Heritage Images
Eros und Askese, Lust und Enthaltsamkeit, Rausch und Mäßigung, sinnliche und geistige Liebe. All das durchzieht Wagner Werk und Wagners Leben. Seine Kunst entwickelt sich vom erotischen Spiel des Venusbergs über die Transzendenz des Liebesrausches von "Tristan und Isolde" bis hin zu kompletter Entsagung und zu Zölibat als christlicher Lebensweg in "Parsifal".
Die Zerrissenheit zwischen Eros und Askese wurde Wagner jedoch auch zum Schicksal, ähnlich wie Tannhäuser und anderen Bühnenfiguren. Noch am Tag seines Todes gab es einen Streit mit Cosima. Man ereiferte sich wegen einer vermeintlichen Affäre mit einer jungen Sängerin. Später sprach der Hausarzt von "psychischer Aufregung" in den Stunden vor Wagners Tod.
Dies waren die letzten Worte, die Wagner zu Papier gebracht hat. Wie ein Motto könnten die beiden, durch einen langen Gedankenstrich voneinander getrennten Worte, die er wenige Stunden vor seinem Tod aufschrieb, über Wagners Schaffen stehen. Und es mutet als Ironie des Schicksals an, dass die Liebe dem Komponisten schließlich wohl zum Verhängnis wurde.
Sendung: "Festspielzeit": "Tannhäuser" aus Bayreuth am 28. Juli 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 12.Juli, 07:12 Uhr
Peter Schäfer
Tragik ?
Tragik ist zu viel gesagt. Es spricht eigentlich alles dafür, dass Wagner dieses Spiel genossen (resp. selber inszeniert) hat.
Dienstag, 11.Juli, 11:59 Uhr
Karin Gaedeke
von Tannhäuser bis Parsival
Ich bin sehr beindruckt, wie Florian Heurich das Thema im Werk und Leben Richard Wagners zusammenfassend beschreibt. Gut lesbar, unterhaltend und eigentlich ausführlich, aber trotzdem sachlich und informativ.