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Kritik - "Anthropozän" in Salzburg Eis-Oper ohne Gänsehaut-Potential

Ein Forschungsschiff steckt im Packeis fest, die Mannschaft entdeckt ein tiefgefrorenes Wesen und taut es auf. Die Oper "Anthropozän" des Briten Stuart MacRae erweist sich am Salzburger Landestheater als musikalisch aufwändig, aber dramaturgisch zu unentschlossen.

"Anthropozän" am Landestheater Salzburg | Bildquelle: SLT / Christian Krautzberger

Bildquelle: SLT / Christian Krautzberger

Das wäre mal eine Umfrage unter Freunden der zeitgenössischen Musik wert, welcher Komponist die "kälteste" Partitur geschrieben hat: Helmut Lachenmann dürfte dabei ganz vorn liegen, mit seinem bitteren Terrorismus-Gleichnis vom "Mädchen mit den Schwefelhölzern". Dagegen ist die Uraufführung "South Pole" an der Bayerischen Staatsoper in München vor acht Jahren nicht sonderlich eisgekühlt in Erinnerung geblieben, mit der Musik des Tschechen Miroslav Srnka. Nun, gefröstelt hat es auch im Salzburger Landestheater kaum jemanden, bei "Anthropozän", einer Oper des Briten Stuart MacRae mit einem Libretto von Louise Welsh.

"Anthropozän": Das Anliegen der Oper bleibt unklar

"Anthropozän" am Landestheater Salzburg | Bildquelle: SLT / Christian Krautzberger Szene aus der Oper "Anthropozän", Komponist: Stuart MacRae, Salzburger Landestheater 2024 | Bildquelle: SLT / Christian Krautzberger Zwar spielt das Werk im Packeis vor der grönländischen Küste, aber obwohl reichlich Effektinstrumente eingesetzt werden, die klirrende und flirrende Kälte verbreiten sollen, etwa Styropor, Beckenschläge, allerlei Percussion-Gimmicks, Querflöten, Xylophon und hohe Harfentöne, blieb der Eindruck eher schal. Auch nach der Uraufführung vor fünf Jahren im schottischen Glasgow waren die Kritiken durchwachsen, weniger aus musikalischen Gründen, sondern mehr aus dramaturgischen. Letztlich fällt es schwer, herauszufinden, was eigentlich das Anliegen von "Anthropozän" ist. Der Klimaschutz kann es nicht sein, denn in den Gewässern vor Grönland wird es hier schlagartig kälter statt wärmer, das gleichnamige Forschungsschiff friert im Eis-Orkan ein, die Besatzung ist wochenlang auf sich selbst gestellt, teilweise ohne Verbindung zur Außenwelt. Nebenbei befreien sie ein merkwürdiges Wesen aus dem Eis (Anita Giovanna Rosati), was an Horrorfilme erinnert, doch die weibliche Figur im skandinavischen Folklore-Outfit redet unverständliches Zeug mit Esoterik-Einlagen. Vielleicht soll es ja die Natur als solche sein, die die Menschen schon lange nicht mehr verstehen.

Ein Abend, an dem einige den Saal verlassen

Der sensationsgierige Journalist an Bord möchte seine Story exklusiv verkaufen und zerstört das Funkgerät, begeht sogar einen Mord. Dafür wird er selbst am Ende hingerichtet. Dazwischen wird viel gestritten, aber worum eigentlich? Lässt sich schwer sagen. Das Werk ist weder als Zivilisationskritik noch als sinfonische Dichtung überzeugend. Da ist dem britischen Komponisten Ralph Vaughan Williams schon 1948 für seine Filmmusik zu einer Antarktis-Expedition deutlich mehr eingefallen. An der Regie von Agnessa Nefjodov und am Dirigat von Leslie Suganadarajah lag es gewiss nicht, dass der Abend wenig fesselte und nach der Pause noch deutlich mehr Sitzplätze leer blieben als vorher.

Motiviertes Salzburger Ensemble kämpft mit beliebiger Handlung

"Anthropozän" am Landestheater Salzburg | Bildquelle: SLT / Christian Krautzberger Szene aus der Oper "Anthropozän", Komponist: Stuart MacRae, Salzburger Landestheater 2024 | Bildquelle: SLT / Christian Krautzberger Bühnenbildner Volker Thiele und Kostümdesignerin Nicole von Graevenitz hatten einen Schiffsbug entworfen, auf dem die Solisten in Daunenjacken zugange waren: der eitle Finanzier Harry King (William Ferguson), die Wissenschaftlerin Prof. Prentice (Meredith Hoffmann-Thomson) und Kapitän Ross (Tristan Hambleton), neben dem Journalisten Miles (Samuel Pantcheff) und weiteren Akteuren. Die müssen in höchsten Stimmlagen Hysterie verbreiten, was rein stimmlich beachtlich gelingt. Ein hoch motiviertes Ensemble bei einer ausgesprochen schwierigen Übung. Letztlich ist es die Beliebigkeit der Handlung, die das Ganze mit dem hochtrabenden Titel allzu verkopft wirken lässt: Die Personen hätten genauso gut in der Wüste oder am Amazonas "stranden" und sich gegenseitig an die Gurgel gehen können, dann hätte es was von Werner Herzogs Abenteuerfilm "Aguirre, der Zorn Gottes" gehabt, wo nach und nach alle zugrunde gehen. Eine wirkliche Eis-Oper sollte wahrlich arktisches Gänsehaut-Potential haben, was leider trotz beeindruckend realistischer Nordlichter nicht der Fall war.

"Anthropozän" am Landestheater Salzburg

Mehr Informationen zum Stück finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 27. Mai 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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