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"Die Fledermaus" an der Bayerischen Staatsoper Vladimir Jurowski im Interview

Für Vladimir Jurowski ist die Musik von Johann Strauss wie eine Droge. Am 23. Dezember gibt's die volle Dosis: "Die Fledermaus" feiert an der Bayerischen Staatsoper in München unter seinem Dirigat Premiere. Inszeniert wird das Stück von Regisseur Barrie Kosky. Im Interview erzählt Jurowski, wieso Strauss' Operette für ihn zu den besten Kompositionen der Musikgeschichte zählt.

BR-KLASSIK: Denkt man an die Verfilmung der "Fledermaus" aus dem Jahr 1961 mit Peter AlexanderWilly Millowitsch und Hans Moser, dann fällt auf, dass sie sich nicht so richtig zwischen Singen und Sprechen entscheiden kann. Wie sehen Sie die "Fledermaus" stilistisch?

Vladimir Jurowksi: Stilistisch ist das definitiv eine klassische Operette. Wobei Strauss selbst das Wort Operette nicht mochte. Er nannte sie immer "die lustige Oper". Also alles, was er schrieb, nannte er lustige Opern. Es ist irgendwo zwischen dem deutschen Singspiel, der italienischen Opera Buffa in der Tradition eines Mozarts oder Rossinis und natürlich der französischen Operette, wie sie von Offenbach gestartet wurde.

Ich bin eigentlich kein großer Operettenfan. Ich habe mich bis jetzt nur diesem einen Stück verschrieben, weil es für mich einfach zum Besten gehört, was je in der westlichen Hemisphäre komponiert wurde – sowohl im Bereich des Musiktheaters als auch im Bereich der rein orchestralen Musik. Ich bin einfach ein absoluter Johann Strauss-Fan. Ich finde, seine Musik ist wie eine Droge. Wenn man der Droge verfällt, dann ist es für immer. Und da bin in sehr guter Gesellschaft. Denn wenn sie sich die Aussagen der Zeitgenossen anschauen, ob das Richard Wagner ist oder Giuseppe Verdi oder Johannes Brahms: die waren alle in Strauss verknallt.

KLICKTIPP

Seit der Saison 2020/21 ist Vladimir Jurowski Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper und leitet damit ein sehr traditionsreiches Ensemble. Stöbern Sie durch unser ausführliches Dossier zum Thema "500 Jahre Bayerisches Staatsorchester" und lernen Sie eines der ältesten Orchester der Welt besser kennen.

BR-KLASSIK: Wo liegen denn die Hürden bei der "Fledermaus"?

Vladimir Jurowksi: Abgesehen davon, das richtige Gespür für den Walzer zu finden, besteht die größte Hürde in der musikalischen Ironie, die Strauss praktiziert, weil er alles auf der Basis der klassischen wienerischen Musik schreibt. Also es ist nicht nur der Walzer und die Unterhaltungsmusik, es ist auch die Wiener Klassik, wie man sie von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert kennt. Und die Elemente, die er dort vermischt, sind eben die Elemente der Klassik mit den Elementen der damaligen Moderne, nämlich mit Jacques Offenbachs französischer Operette. Und diese stilistische Gratwanderung ist eben sehr, sehr schwer zu erfassen. Und es ist auch sehr schwer nachzuvollziehen, dass die Musik zwar ironisch gemeint ist, aber vollen Ernstes gespielt werden soll – und trotzdem mit einer gewissen Distanz.

Es gehört für mich zum Besten, was je in der westlichen Hemisphäre komponiert wurde.
Vladimir Jurowski über 'Die Fledermaus'

Die Tradition der "Fledermaus" erlebte im 20. Jahrhundert noch einen sehr entscheidenden Impuls durch die Inszenierung von Otto Schenk und das Dirigat von Carlos Kleiber. Das war für mich der Punkt, wo die "Fledermaus" tatsächlich zu sich selbst fand. Und alles, was davor mit dieser Operette passierte, wurde zu so einer Art Vorspiel und Vorbereitung zu dem großen Ereignis, eben durch die Inszenierung von Otto Schenk hier in München und auch in Wien, wo das Werk ja parallel auf die Bühne kam. Und das ist etwas, was uns heute die Beschäftigung mit der "Fledermaus" sehr schwer macht, weil wir uns so sehr auf diese mythische "Fledermaus" von Schenck und Kleiber beziehen müssen.

Bürgerliche Ehe unter Beschuss

BR-KLASSIK: Das, was Schenk und Kleiber auf der Opernbühne gemacht haben, das ist ja quasi das, was für die Menschen im Fernsehen eben Willy Millowitsch und Peter Alexander waren. Also so eine Art heilige Kuh.

Die Fledermaus | Premiere am 23. Dezember 2023 | Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski | Inszenierung: Barrie Kosky | Bildquelle: © Wilfried Hösl Es darf gelacht werden: Johann Strauß' Operette "Die Fledermaus" an der Bayerischen Staatsoper in der Inszenierung von Barrie Kosky. | Bildquelle: © Wilfried Hösl Vladimir Jurowksi: Ich kenne "Die Fledermaus" von Peter Alexander, die ist aber anders. Die hat auch sehr, sehr viel Humor. Aber das ist eher so ein Blödel-Humor. Bei Schenk und bei Kleiber kommen für mich die Bissigkeit, das Satirische, die Überzeichnung und das Chargenhafte sowie gleichzeitig auch das Dionysisch-Verrückte und das Unkontrollierbare der "Fledermaus" erst so richtig zur Geltung. Das Werk hört auf, eine Operette zu sein. Es wird zu einer Feier des Dionysos und darauf beziehen wir uns in unserer neuen Inszenierung sehr. Nicht auf spezifische Elemente der Schenk-Kleiber-Inszenierung, sondern auf diese Huldigung des Dionysischen einerseits und auf die Gesellschaftssatire andererseits. Und die bleibt bei aller Bissigkeit auch immer noch liebenswürdig.

Zum Vorbericht

Lesen Sie hier den Vorbericht zur Premiere an der Bayerischen Staatsoper.

BR-KLASSIK: Also diese bürgerliche, ordentliche Welt. Oder wie würden Sie das beschreiben?

Vladimir Jurowksi: Der Hauptkonflikt im Stück ist die Rache. Und das ist ernst, das ist eigentlich überhaupt nicht lustig, und gleichzeitig wird die bürgerliche Ehe in Beschlag und unter Beschuss genommen. Denn die bürgerliche Ehe in den 1870ern war noch etwas Unerschütterliches. Man konnte Witze darüber machen, ohne ernsthaft zu glauben, diese Institution würde je einstürzen. In den 1970ern war das schon anders – und heute muss man eigentlich schauen, dass man der bürgerlichen Ehe am Ende überhaupt eine Chance lässt. Denn fast niemand glaubt mehr an die bürgerliche Ehe, wie sie in der Vergangenheit gelebt wurde. Deswegen stellt sich die Frage, wie weit man mit der satirischen Überzeichnung der Personen gehen soll. Deswegen sollte man versuchen, bei aller Sozialkritik und Gesellschaftssatire, diesen Menschen irgendwie noch eine Chance zu lassen, denn dann lassen wir uns selber auch eine Chance. Es stellt sich eh die Frage, wie man heutzutage mit all diesen fürchterlichen Katastrophen in der Welt so eine Operette produzieren soll.

Vladimir Jurowski: tägliches Leben für ein paar Stunden vergessen

BR-KLASSIK: Können Sie es mir sagen?

Barrie Kosky | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Regisseur mit dem Händchen für Operette: Barrie Kosky | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vladimir Jurowksi: Es ist das, was Regisseur Barrie Kosky nicht nur als unser Recht, sondern auch als unsere Pflicht der Gesellschaft gegenüber beschreibt. In jede Tragödie gehörte eine komische, lustige Szene. Das kommt aus der Zeit der griechischen Tragödie. Die Tragödien wurden ja immer als Trilogien gespielt und am Ende gab es ein Satyr-Spiel. Das war eine Art Comic Relief der alten Griechen, da wurden die blödesten Witze über Sex oder über Verdauung gemacht. Damit wurden ein sehr wichtiger Zweck und eine sehr wichtige Aufgabe erfüllt. Sie machen das Leben wieder liebenswert für die Menschen. Denn nachdem sie diese Läuterung durch die oft blutige Tragödie erlebten oder durchlebten, mussten sie wieder irgendwie ins Leben geholt werden – sonst wäre es womöglich gefährlich geworden und die Menschen, die so eine tragische Kunst konsumiert haben, würden sich womöglich von der Klippe stürzen. Deshalb glaube ich, ist es schon sehr wichtig, dass man den Menschen in einer dunklen Zeit etwas Hoffnung macht und sie ihr tägliches Leben für ein paar Stunden vergessen lässt. Das heißt nicht, dass man dieses Leben komplett ausklammert.

Es ist wichtig, dass man den Menschen in einer dunklen Zeit etwas Hoffnung macht.
Vladimir Jurowski

"Die Fledermaus"-Premiere an der Bayerischen Staatsoper

Premiere: 23. Dezember 2023
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Inszenierung: Barrie Kosky

Mehr Informationen zur Premiere von "Die Fledermaus" finden Sie auf der Website der Bayerischen Staatsoper.

Sendung: "Leporello" am 21. Dezember ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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