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Bayreuther Festspiele Chor fürchtet massive Qualitätseinbußen

Hauskrach auf dem Grünen Hügel: Die Interessenvertreter des Chors klagen über mangelnde Transparenz, Einsparungen und eine Verschlechterung des Betriebsklimas. Die Festspiele weisen das entschieden zurück. Es gebe beim Chor keine künstlerischen Abstriche, nur struktuelle Veränderungen.

Festspielhaus,A ussenaufnahme, Gebäude mit Goldenen Wagner Figuren auf der gruenen Wiese, Eröffnung der Bayreuther Richard Wagner Festspiele 2024  | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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"Das ist nicht mehr unser Klang, an dem wir jahrzehntelang gearbeitet haben. Diese wunderbaren, mächtigen Pianissimo-Stellen im ‚Parsifal‘ sind total verloren gegangen", so Matthew Bridle, einer der Vorstände des Bayreuther Festspielchors gegenüber dem BR. Er behauptet, der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado habe während der Probenphase in der vergangenen Saison verlangt, die Choristen sollten "so laut wie möglich" singen. Die Festspiele dementierten diese Äußerung nach Rücksprache mit der musikalischen Leitung. Heras-Casado messe der "Dynamik größte Bedeutung" zu und habe stellenweise darauf verwiesen, "sogar leiser" zu singen, hieß es.

Stammbelegschaft soll reduziert werden

Ungeachtet dessen wächst bei den Choristen die Sorge, dass sich das bisherige musikalische Niveau nicht mehr halten lässt: Selbst zu Beginn der fünfziger Jahre seien auf dem Grünen Hügel 115 Chormitglieder beschäftigt gewesen. Jetzt wolle Katharina Wagner die Chor-Stammbelegschaft von 134 Planstellen auf nur noch 100 reduzieren und für besondere Anlässe einen 34-köpfigen "Sonderchor" anheuern. Dass es sich dabei überwiegend um osteuropäische Sänger handelt, wie verschiedentlich behauptet wurde, weisen die Festspiele allerdings zurück. Vielmehr kämen viele Mitglieder des Sonderchors aus den Benelux-Ländern. Im Übrigen habe auch "Neu-Bayreuth" nach dem Krieg mit 100 Choristen begonnen, so die Festspiele.

Irreversible Eingriffe in die Strukturen des Chores

"Was einmal verloren ist, wird nie wiederkommen", klagt Matthew Bridle vom Chorvorstand. Es habe doch seinen Grund gehabt, warum Wieland und Wolfgang Wagner an der Zahl von 134 Chormitgliedern festgehalten hätten: "Das Publikum will ja schließlich die großen Chorwerke hören." Dieser Aussage stimmt Katharina Wagner auf Nachfrage des BR ausdrücklich zu, auch sie halte an den 134 Sängerinnen und Sängern grundsätzlich fest, und zwar überall dort, wo diese große Besetzung benötigt werde, etwa im "Lohengrin".

Nach Matthew Bridles Erinnerung seien bei Katharina Wagners Inszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" im Juli 2007 neben den 134 damals üblichen Choristen weitere 70 Sänger angeheuert worden, so dass in der Festwiesen-Szene zum Finale rund 200 Mitwirkende im Einsatz gewesen seien. Von Seiten der Festspiele hieß es dazu, dass ein Blick in das Programmheft von 2007 genüge, um festzustellen, dass diese Aussage nicht stimme.

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Verschiedene Standpunkte zur Zahl der Choristen

Die Zahl der Mitwirkenden in früheren Zeiten sei für Katharina Wagner so oder so nicht mehr das Maß aller Dinge, kritisiert Chor-Vertreterin Nathalie Flessa: "Sie war in Berlin und hat sich den ‚Lohengrin‘ angeschaut und sagte dann, dort geht es mit 80 Choristen, das muss dann auch für Bayreuth reichen. Da sitzt man dann schon etwas konsterniert da und denkt sich, wenn das wirklich ihre Meinung sein sollte, wäre das traurig. In München an der Bayerischen Staatsoper zum Beispiel wird der Chor auch verstärkt, so dass es über 100 Mitwirkende sind."

Das Zitat wird von den Festspielen in dieser Form bestritten. Katharina Wagner habe lediglich darauf hingewiesen, dass an den großen deutschen Opernhäusern jeweils rund 80 Choristen im Stammensemble beschäftigt seien. Mit 100 Choristen liege die Stärke des festen Ensembles in Bayreuth somit bei zwanzig Prozent und damit immer noch deutlich darüber.

Einsparziele: Es muss an mehreren Stellen gekürzt werden

Katharina Wagner | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Vogl Festspielleiterin katharina Wagner | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Vogl Um von "zwingenden Voraussetzungen für höchste Qualität des Festspielchores abzulenken", so Flessa, habe Katharina Wagner auch auf die begrenzte Kapazität der Masken- und Kostümbildner verwiesen. Dieser Zusammenhang zwischen der Qualität des Chors und "leider notwendigen Einsparungen beim Make-up und den Perücken" erschließe sich aber nicht, widersprechen die Festspiele. Zwar müssten Produktionen künftig so konzipiert werden, dass weniger Personal in der Maske vonnöten sei, die Kapazität der Kostümbildner werde aber "keineswegs begrenzt". Der Chorvorstand kritisiert außerdem, dass aus Sicht der Festspiele der Chor offenbar kein "Alleinstellungsmerkmal" mehr sei, sondern nur noch der verdeckte Orchestergraben: "Und der kostet nichts." Im Übrigen habe offenkundig neben der Gage für die Regisseure das Budget für Ausstattung und Bühne oberste Priorität, damit die Inszenierungsteams ihre künstlerischen Konzepte möglichst ohne Abstriche umsetzen könnten. Die Festspiele verweisen demgegenüber darauf, dass auch die Ausstattungsbudgets massiv gekürzt werden mussten, um die Einsparziele zu erreichen.

Dauerhafte Einsparungen wurden vom Chor abgelehnt

Auf Druck der Festspielleitung habe der Chor bereits Einbußen hingenommen, so dessen Vertreter. Statt wie bisher für 70 Tage sei er in der vergangenen Saison nur noch für 65 Tage bezahlt gewesen, was bei einem Tagessatz von 200 Euro Honorar für jeden Betroffenen einen Verlust von 1.000 Euro ausgemacht habe. Die in der Presse zu lesende Kritik, Choristen gingen im Festspielsommer tagelang unbeschäftigt spazieren, sei definitiv falsch. Das sehen die Festspiele dezidiert anders: "Es ist nicht mehr vermittelbar, den Chor mit Steuergeldern 70 Tage zu bezahlen, wenn er nur 40 gebraucht wird."

Dauerhafte Einsparungen habe der Chor leider abgelehnt: Bei einer Senkung der Tageshonorare von bisher 200 Euro auf rund 170 Euro wäre demnach eine Beibehaltung der bisherigen Chorgröße möglich gewesen. Immerhin sei ein Saisonverdienst von etwa 12.000 Euro immer noch sehr auskömmlich. Das Festspiel-Orchester habe sich angesichts der wirtschaftlichen Zwänge in vielerlei Hinsicht deutlich kooperativer gezeigt als der Chor. Immerhin gehe es um "hohe sechsstellige Beträge", die eingespart werden müssten.

Kritisiert werden fehlende Transparenz und Fairness

Herbe kritisiert wird von den Chorvertretern die Kommunikation der Festspielleitung, auch, was die derzeit laufende Neubesetzung des Festspielchors betrifft. Zur Transparenz und Fairness dieses Verfahrens gibt es von beiden Seiten eine höchst unterschiedliche Einschätzung. Chorvorstand Stefan Fiehn spricht von einer "Black Box", die Festspiele bedauern, dass kein "direkter Austausch" gesucht worden sei. In mehreren Städten, etwa in Dortmund, Leipzig und Amsterdam, fanden Vorsing-Termine statt, an denen sich "siebzig Prozent der bisherigen Mitglieder nicht beteiligt" hätten, weil sich die Arbeitsatmosphäre auf dem Grünen Hügel verschlechtert habe, heißt es vom Chor. Dem widersprechen die Festspiele: Es hätten knapp 50 Prozent der ehemaligen Mitglieder des Festspielchores teilgenommen. Für erkrankte Bewerber habe es Ersatztermine gegeben.

Schwierige Probenphase könnte bevorstehen

Der neue Leiter des Chors der Bayreuther Festspiele, Thomas Eitler-de Lint. Er soll den Chor künftig leiten, wie die Festspiele "nach intensiver Suche und zahlreichen Gesprächen mit potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten" mitteilten. | Bildquelle: dpa-Bildfunk Der Leiter des Chors der Bayreuther Festspiele, Thomas Eitler-de Lint. | Bildquelle: dpa-Bildfunk Chorvertreter Matthew Bridle warnt dennoch: "Der Kartenvorverkauf läuft, und bis jetzt gibt es noch keinen engagierten Festspielchor. Die Festspielleitung hat versucht, neue Choristen in ganz Europa zu finden. Bisher hat sie ungefähr 45 in Aussicht, die müssen allesamt die schwierigen Partien erst noch einstudieren, das kostet unglaublich viel Zeit. Es ist ein Wahnsinn, wie genau und korrekt zum Beispiel der ‚Tannhäuser‘ sein muss. Das bekommt man nicht mit vier musikalischen Probentagen auf die Reihe." Die Festspiele argumentieren, es sei noch kein Festspielchor engagiert, weil die vom neuen Chordirektor Thomas Eitler-de Lint übermittelte Vorschlagsliste der möglichen Mitwirkenden für die Saison 2025 seit geraumer Zeit beim Chorvorstand zur Begutachtung liege. Selbstverständlich habe man nicht nur 45 Bewerber in Aussicht, sondern ausreichend Personen für alle Stellen gecastet, einschließlich möglicher Nachrücker. Sowohl der Chordirektor als auch die von ihm vorgeschlagenen Sänger seien sich des musikalischen Anspruchs der in Bayreuth aufgeführten Chor-Opern bewusst und empfänden diese „glücklicherweise nicht als Wahnsinn“: Im Übrigen habe der Chor nicht vier, sondern sechs musikalische Probentage. Katharina Wagner bekräftigte, dass überall dort, wo bisher 134 Sänger besetzt gewesen seien, deren Zahl auch künftig nicht angetastet werde: "Es ändert sich nur die Struktur des Chors."

Sendung: "Leporello" am 18. Februar ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (5)

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Dienstag, 18.Februar, 22:36 Uhr

rumelrat

Bayreuther Festspiele - Chor

Früher empfanden es Sänger (auch Solisten) und Musiker als Ehre, - bei weit geringeren Gagen als international üblich - bei den Bayreuther Festspielen mitzuwirken, es ging um des "Meisters Werk" und familiär zu. Dieser Festspielgedanke ist mit Wolfgang Wagner, gestorben. Unter der Leitung von Katharina wurden die Festspiele beliebig und vergleichbar. Spart man nun auch noch am Chor und verpflichtet z. B. billigere osteuropäische Chorsänger, wird die musikalische Qualität der Aufführungen und vor allem die Textverständlichkeit leiden. Aber Textverständlichkeit legt man scheinbar ohnehin nicht mehr allzu viel Wert, man höre sich nur nur den letzten Wotan/Wanderer an (am Rande der Zumutbarkeit).

Dienstag, 18.Februar, 17:54 Uhr

Siegfried

Ein Chor dieser Exzellenz..

Es ist wirklich bedauerlich zu sehen, dass auf dem Grünen Hügel derart rigoros in die gewachsenen Strukturen des Festspielchores eingegriffen wird. Jahrzehntelang war der Chor ein wesentlicher Bestandteil des einzigartigen Bayreuther Klangs. Wer einmal Parsifal in dieser Perfektion gehört hat, weiß, dass hier etwas Unersetzliches aufs Spiel gesetzt wird. Natürlich müssen auch die Festspiele wirtschaftlich denken, aber Qualität und Tradition dürfen nicht leichtfertig geopfert werden. Ein Chor dieser Exzellenz lässt sich nicht einfach neu zusammenstellen – das braucht Jahre. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen dies erkennen, bevor der Schaden irreversibel ist.

Dienstag, 18.Februar, 15:45 Uhr

Johanna D.

Chorstärke 134?

Warum behauptet die Festspielleitung, dass auch KÜNFTIG die Zahl von bisher 134 besetzten nicht angetastet werde? 2024 waren keine 134 Chorsänger mehr zu erleben. 113 Stammchor und eine handvoll Aufstocker im Tannhäuser (auch nicht in allen Akten)

Dienstag, 18.Februar, 15:15 Uhr

Katrin

Zahlen und Qualität

Die Anzahl der Chorist:innen mag reduzierbar sein, aber nicht gerade in diesem Ausmaß. Der Herrenchor im "Parsifal" 2024 klang zumindest in der GP zum Niederknien berührend-schön, also definitiv nicht so, als ob zu überlautem Singen angehalten worden wäre. Dieses beglückende Hörerlebnis ist aber vor allem der Tatsache geschuldet, dass es sich beim Festspielchor um ein jahr(zehnt)elang gewachsenes Ensemble handelt. Dieses ist jetzt wohl unheilbar zerschlagen. Der neuzusammengestellte Chor 2025, egal woher die Chorist:innen kommen, wird die bisherige Präzision gar nicht erreichen können. Traurig!!!
Um noch einer Neiddebatte vorzubeugen - der Tagessatz ist brutto. Und davon muss drei Monate lang eine Wohnung in Bayreuth gemietet werden. Am Ende des Tages sieht der Verdienst dann doch etwas anders aus.

Dienstag, 18.Februar, 13:56 Uhr

Magdalena Neuner

Ob das so stimmt?

Ich habe bis 2024 bei den Festspielen im Chor gesungen und habe noch nie mehr als 170€ pro Tag erhalten. 70 Arbeitstage sind für die Proben unerlässlich. Wie sollen denn sonst neue Inszenierungen entstehen und musikalische Proben abgehalten werden? In einer Planung von 40 Probentagen wären ja nur die Generalproben und die Aufführungen drin.

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