Droht dem Grünen Hügel ein Abrutschen ins Mittelmaß? Der Festspielchor soll auf rund 100 Mitwirkende verringert werden, ein "Sonderchor" mit 34 Sängern soll ihn in manchen Opern verstärken. Die Kritik wächst, Chor-Lobbyist Gerrit-Michael Wedel warnt vor Qualitätseinbußen: "Das ist tragisch anzusehen."
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"Ich bekomme zu günstigeren Konditionen nicht unbedingt ein besseres Ergebnis", sagt Gerrit-Michael Wedel, der Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) dem BR. Er warnt mit Blick auf einen Abbau der Chorstellen bei den Bayreuther Festspielen vor massiven Qualitätseinbußen: "Es geht nicht, dass die Leute schlechtere Konditionen haben, weniger sind und dann für besondere Anlässe noch ein Sonderchor angeheuert wird. Wenn der Chor auf 80 Personen verringert würde, wäre das ein Niveau, was wir an jedem besseren, größeren Opernhaus ohnehin haben, etwa an der Deutschen Oper Berlin, der Bayerischen Staatsoper, der Hamburgischen Staatsoper."
Es drohe der Verlust des bisherigen Alleinstellungsmerkmals des Grünen Hügels: "Man hat den Eindruck, dass das Kernelement der Bayreuther Festspiele, nämlich der Chor, nicht mehr so wertgeschätzt wird wie früher. Die Besonderheit der Festspiele droht verspielt zu werden. Das ist möglicherweise das Ende einer Weltinstitution. Damit hebt man sich nicht mehr ab. Man wird international nicht mehr das einstige Format halten können. Da fehlt die Seele. Das ist tragisch anzusehen. Es war ja zu lesen, der Chor sei in der letzten Saison schon nicht mehr ganz so herausragend wie früher gewesen. Es waren halt weniger und die mussten lauter singen. Dann kommt nicht mehr der homogene Chorklang zustande. Trotzdem wurden sie ja gelobt.“
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Gerrit-Michael Wedel wirft der Festspielleitung im Übrigen vor, die künstlerisch durchaus unzweifelhafte Erneuerung des Chors viel zu spät, nämlich erst nach der letzten Vorstellung der vergangenen Saison, angekündigt zu haben. Das führe zu vermeidbarem Stress: "Die Wagner-Literatur hat ja einen besonderen Anspruch. Das müssen sie über Jahre hinweg einstudieren, die Leute brauchen Erfahrung. Bei allen Sparzwängen fehlt in Bayreuth, wenn auch noch ganz plötzlich der Chordirektor ausgetauscht wird, das vorausschauende Vorgehen. Warum hat man bis zum Ende der letzten Vorstellung gewartet, um dem Chor mitzuteilen, dass er komplett neu zusammengestellt werden soll? So was macht in der Regel mit einem entsprechenden Vorlauf, der hier in keiner Weise eingehalten wurde."
Es wäre aus seiner Sicht möglich gewesen, so Wedel gegenüber dem BR, den neuen Chordirektor der alten Mannschaft vorzustellen und mit den bestehenden Stimmen ein Vorsingen zu machen: "Dem hätte sich niemand verschlossen. Das Empörende daran ist, dass künstlerische Gründe vorgeschoben wurden, um tabula rasa zu machen." Zum Argument, es gebe Wagner-Werke, in denen deutlich weniger als 134 Choristen benötigt würden, entgegnet Chor-Gewerkschafter Wedel: "Mag sein, dass der große Chor nicht in jeder Oper erforderlich ist, aber das ist ja eine Mischkalkulation. Man verdient sich keine goldene Nase in Bayreuth, aber wenn man 70 Tage beschäftigt ist, dann ergibt sich da ein auskömmlicher Durchschnitt."
Eine Chorstärke von 134 Mitgliedern sei keine Muss-, sondern eine Soll-Bestimmung im geltenden Tarifvertrag, heißt es dazu von den Bayreuther Festspielen. Geschäftsführer Ulrich Jagels teilte mit, für dieses Jahr würden rund 100 Choristen angeheuert, 34 weitere für den Sonderchor. In der Saison 2022 seien auch nur 100 Choristen engagiert worden, wobei das damals mit der Corona-Pandemie zu tun gehabt habe: „Die 134 Mitwirkenden brauchte man auch in den vergangenen Jahren nur an ausgewählten Stellen, zum Beispiel im dritten Akt der ‚Meistersinger‘ oder im ‚Lohengrin‘. Selbstverständlich werden diese 134 Personen dort, wo es künstlerisch nötig ist und wo sie bisher besetzt waren, auch künftig auf der Bühne stehen. Der Sonderchor ist im Tarifvertrag auch eigens mit erwähnt.“
An der am öffentlichen Dienst orientierten Bezahlung werden sich im Übrigen nichts ändern. Allerdings war bereits zu lesen, dass Choristen innerhalb von siebzig Tagen der Gesamtbeschäftigung nur an ca. vierzig Tagen zum Einsatz kamen. Da war von einem Luxus die Rede, den sich die Festspiele einfach nicht mehr leisten könnten.
Auf die Kritik, die Veränderungen beim Chor seien viel zu spät angekündigt worden, heißt es von den Festspielen, im Hochsommer seien üblicherweise Theaterferien, so dass eine frühere Ausschreibung viele möglicherweise interessierte Choristen in aller Welt nicht erreicht hätte. Womöglich wäre das als "absichtliches Ausschließen" missverstanden worden. Im Übrigen habe man abwarten müssen, bis der neue Chordirektor Thomas Eitler-de Lint gefunden worden sei, um dessen Wünsche für das Auswahlverfahren zu berücksichtigen: "Man tauscht ja den Chordirektor nicht während der Saison aus. Es wäre atmosphärisch extrem problematisch gewesen, wenn der neue Chordirektor schon auf dem Grünen Hügel herumgelaufen wäre, während der alte (Eberhard Friedrich) noch im Amt war. Das wäre stillos gewesen." Eberhard Friedrich sei ein "sehr geschätzter" Chordirektor gewesen, dem ein schöner Abschied zugestanden habe, keine unnötige Unruhe: "Er hat sehr lang in Bayreuth gewirkt und hohe Verdienste."
"Wir hatten unglaublich viele Bewerbungen", so der Künstlerische Betriebsdirektor Guido Hackhausen zur Neubesetzung des Chors. "Selbstverständlich konnten sich auch die bisherigen Chormitglieder bewerben, von denen viele vorgesungen haben. Wir haben das sehr transparent ausgeschrieben, es gab sieben Termine an verschiedenen Orten, so dass Leute aus Westeuropa zum Beispiel nach Amsterdam oder London anreisen konnten, aber wir hatten auch Termine in Leipzig und Dortmund." Auch Katharina Wagner ist der Meinung, dass der Chor neben dem verdeckten Orchestergraben im Festspielhaus und dem "einmaligen" Festspielorchester ein Alleinstellungsmerkmal der Festspiele ist: "Das will auch niemand in Frage stellen. Wir wollen ja nichts kürzen." Es sei erfreulich, dass Teile des Chors im kommenden Sommer bei einem Sonder-Konzert mitwirkten, das kostenlos zugänglich sein werde.
Sendung: "Kulturleben" am 6. Februar ab 14:05 Uhr auf Bayern 2
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