Das "Lied von der Erde" komponierte Mahler am Ende seines Lebens. Mezzosopranistin Fleur Barron und Tenor Andrew Staples führen das Werk mit dem BRSO auf. Im Interview mit BR-KLASSIK sprechen die Solisten über den Zauber von Mahlers Klangsprache, Trunkenheit und die Geheimnisse des Lebens.
Bildquelle: Victoria Cadisch
BR-KLASSIK: Andrew Staples, das Lied von der Erde wird vom Tenor eröffnet, und zwar ziemlich weinselig. Der fünfte Satz heißt dann "Der Trunkene im Frühling". Nehmen Sie Wein statt Wasser mit in die Garderobe?
Andrew Staples: Ganz sicher trinke ich ein Bier hinterher, aber bei Wein davor bin ich skeptisch. Der Gedanke der Trunkenheit in diesem Werk ist faszinierend, weil Menschen aus verschiedenen Gründen trinken. In der Poesie dieses Werkes und der Lieder spürt man, dass die Trunkenheit nicht bloße Weltflucht oder Ausweg aus der Traurigkeit ist. Da geht es um etwas eher Spirituelles im Alkoholgenuss, so ähnlich wie in der griechischen Mythologie beim Gott Pan. Es gibt diesen Status der Bewusstseinserweiterung, der einem ermöglicht, besinnlicher zu sein und möglicherweise so Einblick in die Geheimnisse des Lebens zu bekommen. Das ist vielleicht die gute Seite des Trinkens. Es geht nicht bloß um den Rausch.
Tenor Andrew Staples | Bildquelle: tezarts.com
BR-KLASSIK: Ist diese trunkene Stimmung hörbar im Orchester?
Andrew Staples: Dieses Werk ist außergewöhnlich im Hinblick auf die Klangfarben und Klangräume, die Mahler erschafft. Ich kann manchmal immer noch nicht genau ausmachen, welches Instrument gerade spielt, obwohl ich das Stück gut kenne. Die Klänge sind überirdisch, besonders im dritten Satz. Da gibt es dieses Bild der verdrehten Welt in einer Spiegelung. Die ersten Violinen spielen den Bass und die Kontrabässe die Melodie. Mahler nutzt viele Möglichkeiten, alles Erwartbare zu verdrehen.
BR-KLASSIK: Anders als die um Leichtigkeit ringende Männerstimme liegt bei der Frauenstimme die ganze Schwere der Existenz im zweiten und letzten Satz. Der vierte Satz "Von der Schönheit" ist wie der Lichtblick in Ihrem Part, Frau Barron. Wie finden Sie Zugang zu diesen Extremen?
Mezzosopranistin Fleur Barron | Bildquelle: Victoria Cadisch
Fleur Barron: Ich finde es zutiefst menschlich, all diese Farben und Erfahrungen im Alltag in sich zu tragen. Für mich wäre es seltsam, in einer Stunde Musik ausschließlich Trauer oder Existenzkrise zum Ausdruck zu bringen. Der Moment von Jugend und Schönheit ist doch wie eine schöne Erinnerung. Und im Abschied am Schluss haben wir vielleicht die Rückschau auf das zu Ende gehende Leben. Ich empfinde das Werk als absolut organisch und lebensnah.
BR-KLASSIK: Fernöstliche Lyrik, Abschiedsthematik, ein sich distanzierender Blick auf das irdische Leben, was macht das Werk gerade hier und heute mit Ihnen?
Fleur Barron: Für mich ist es ein absolut zeitloses Stück. Es ist eine sehr freie Übersetzung altchinesischer Gedichte. Da ich halb chinesisch bin, habe ich mir die Originale angeschaut. Ich wollte die Möglichkeiten der Übersetzung kennen, denn im Altchinesischen steckt immer etwas Nebulöses. Jedes Schriftzeichen hat so viele mögliche Bedeutungen, es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten. Ich glaube, deshalb hat Mahler darin Trost gefunden als jüdischer Mann im Faschismus. Aber jeder Mensch in völlig unterschiedlichen Lebensphasen kann spüren, dass diese Musik unglaublich schön ist. So viel Seele, so viel Tiefe. Wir enden mit "ewig" – das ist das Letzte, was ich singe. Was könnte zuversichtlicher für uns sein, die wir gerade von den Ereignissen in der Welt verunsichert werden, als der Gedanke, dass es etwas Größeres gibt?
Andrew Staples: Mahler kann uns etwas über uns selbst lehren. Das Lied von der Erde ist ja auch so etwas wie sein Vermächtnis, obwohl es nicht als solches komponiert wurde. Wie Fleur gesagt hat: Am Schluss hat man nicht das Gefühl, dass es zu Ende ist, sondern es bietet uns einen Neubeginn, daran würde ich mich halten.
BR-KLASSIK: Das Lied von der Erde ist alles andere als ein Lied, es ist ein symphonisches Werk mit Gesang und erinnert in vielen Passagen an große dramatische Oper, verlangt dann aber doch den ganz feinen vokalen Pinselstrich. Was ist Ihnen da wichtig?
Steht mit Mahlers "Das Lied von der Erde" am Pult des BRSO: Dirigent Daniel Harding | Bildquelle: Andrew Staples
Fleur Barron: Ich singe viel Kammermusik und Lieder, und das Lied von der Erde ist zwar symphonisch, aber es ist doch auch ein Liederzyklus. Auch die Gesangspartien in Mahlers Symphonien basieren auf Klavierliedern. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die wuchtigen Orchesterwerke Mahlers sehr einfache, zarte Wurzeln haben. Man darf das beim Erzählen der Inhalte nicht aus den Augen verlieren. Deshalb bin ich froh darüber, wie Daniel Harding das dirigiert. Er ermutigt das Orchester und uns Sänger, nach dem Äußersten an dynamischer und klanglicher Gestaltung zu suchen, weil es so in der Partitur steht.
Andrew Staples: Wir leben gerade in einer interessanten Zeit als Opernsänger, denn noch nie waren Orchester so laut wie jetzt – und so gut. Der Standard ist unglaublich, und dann ist da noch das Publikum, das an Verstärkung gewöhnt ist, selbst die Klassik-Hörerschaft. An den Radios werden uns die Leute anders hören als die Menschen im Saal, denn wir haben die Mikrofone nur ein paar Zentimeter vor dem Mund. Im Radio kommen bestimmt mehr Details an, als hinten im Saal. Ich bin ein Riesenfan von Mikrofonen, weil sie unsere Ausdrucksmöglichkeit enorm erweitern und wir leiser singen können. Wir haben heute solch eine große dynamische Ausdruckspalette zur Verfügung, dass wir dieses Stück nicht in die rote Pegelzone stecken sollten, sondern es, wie Daniel Harding es auch macht, in die leisen Bereiche ausdehnen sollen mit mehr Ausdruck und weicheren Klängen.
BR-KLASSIK: Wie haben Sie Zugang zu Mahler gefunden?
Andrew Staples: Bei mir war es genau mit diesem Stück in einem Konzert, in dem ich auch Bach gesungen habe. Ich hatte Glück, denn ich war sehr jung und naiv und habe es einfach wie einen Mozart gesungen – nicht mit einhundert vollbewaffneten Musikern im Rücken, sondern in einer Miniaturversion.
Fleur Barron: Bei mir war es auf Anhieb die totale Faszination durch die Kindertotenlieder. Mahler hat immer großartige Gedichte gewählt, und wie er die Musik dazu komponiert, klingt immer in mir wider. Ich hatte nie das Gefühl, hart an einer Interpretation oder einem Verständnis für den Inhalt arbeiten zu müssen. Für mich war das immer absolut klar. Man kann in Mahlers Klangwelt einfach eintauchen, und der Schlüssel auch für das Publikum ist, sich ihm hinzugeben. Lassen Sie diese wunderbaren Klangwellen in sich hinein und schauen Sie, was Sie erleben. Für mich ist es wie ein Ozean und von großer Kraft.
Live auf BR-KLASSIK am 7. März ab 20:03 Uhr aus dem Herkulessaal der Residenz in München
Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie Nr. 5 D-Dur - "Reformations-Sinfonie"
Gustav Mahler: "Das Lied von der Erde"
Solisten:
Fleur Barron, Mezzosopran; Andrew Staples, Tenor
Dirigent: Daniel Harding
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