Der Brite Daniel Harding gilt als einer der intelligentesten Dirigenten unserer Zeit. So hat ihn zumindest Sir Simon Rattle genannt. Auch in dieser Saison steht er als Gastdirigent am Pult des BRSO – mit Musik von Jean Sibelius und Ludwig van Beethoven. Ob er lieber Gastdirigent oder Künstlerischer Leiter ist und was er unmittelbar vor und nach einem Konzert macht, hat er uns im Interview verraten.
Bildquelle: Julian Hargreaves
BR-KLASSIK: Daniel Harding, Sie sind in dieser Saison wieder Gastdirigent beim BRSO. Sie sind ja fast so eine Art Stammgast, kann man sagen.
Daniel Harding: Ich kenne das Orchester seit den 90er-Jahren, und das erste Mal, als ich das BRSO dirigiert habe, ist nun schon mehr als 20 Jahre her. Es ist eine sehr lange und sehr schöne Geschichte für mich.
Was ich bei Sibelius so faszinierend finde, sind diese Stücke, die so langsam ihre Geheimnisse preisgeben.
BR-KLASSIK: Auf dem Programm stehen diesmal Jean Sibelius und Ludwig van Beethoven. Die Vierte Symphonie von Sibelius ist ein nicht ganz so oft gespieltes Werk. Als die Symphonie 1911 in Helsinki uraufgeführt wurde, beschrieb ein Kritiker sie mit dem Wort "Barkbröd". Das ist Finnisch und heißt "Baumrinde". Wie ist Ihr Blick auf diese Symphonie?
Daniel Harding: Es ist teilweise ein sehr karges Werk. Man hat den Eindruck, dass Sibelius seine Musik niemals geschrieben hat, um jemandem zu gefallen. Er schrieb immer genau das, was er schreiben musste. Was ich bei ihm so faszinierend finde, sind diese Stücke, die so langsam ihre Geheimnisse preisgeben. Interessant ist bei diesem Stück, dass man richtig nachdenken muss. Wie funktioniert es? Wie kann man es erklären? Man kommt zu immer anderen Lösungen und entdeckt Neues, da es auch keine richtige Tradition bei diesem Stück gibt.
Es ist sehr wichtig, dass man daraus keine gewöhnliche Musik macht. Man kann die Persönlichkeit der Musik "umbringen", wenn man versucht, es "rund" zu machen oder man zu deutlich zu zeigen versucht, was da ist. Es muss ein Geheimnis bleiben. Und auch zum Schluss – es gibt keinen Jubel, da ist keine Freude, aber es gibt auch keine Tragödie. Es geht einfach weiter und weiter ins Nichts. Das ist so interessant, denn wir kennen Symphonien, die am Schluss ins Licht kommen. Bei dieser weiß niemand, was nun ist. Es gibt aber auch Momente von unglaublicher Zärtlichkeit. Das Werk ist eine ganz eigenartige und ganz berührende Symphonie.
BR-KLASSIK: Nach der Pause spielen Sie Beethovens Vierte Symphonie. Ist diese leichter bekömmlich für das Publikum?
Daniel Harding: Ja! Beethovens Vierte ist eine Symphonie, bei der man sich im letzten Satz keine Fragen stellt. Allerdings hat der Anfang auch einen mysteriösen, geheimnisvollen Charakter. Egal, wie oft man das Werk spielt, man findet immer etwas Neues darin. Man liebt es, sie zu spielen. Bei jedem Orchester ist das so, das merkt man! Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man diese Musik phrasieren kann oder was man in den Vordergrund bringt. Und das heißt, man muss sie tausend Mal spielen, um alle diese Seiten genießen zu können.
Egal, wie oft man sie spielt, man findet immer etwas Neues darin.
16. und 17. Mai 2024, 20:00 Uhr, Herkulessaal der Münchner Residenz
Programm:
Ludwig van Beethoven: "Coriolan-Ouvertüre", op. 62; Jean Sibelius: Symphonie Nr. 4 a-Moll; "Die Okeaniden", op. 73; Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 4 B-Dur
Das Konzert am 16. Mai wird live ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK übertragen
BR-KLASSIK: Sie waren in der Saison 2023/24 sehr viel unterwegs. Sie sind auch vielen Wiedereinladungen gefolgt, zum Beispiel von den Berliner Philharmonikern oder dem Chicago Symphony Orchestra. Sie waren aber auch beim London Symphony Orchestra. Wie viel Anpassung ist nötig, wenn Sie bei so vielen Orchestern zu Gast sind? Und wie schwer ist es, sich selbst da treu zu bleiben?
Daniel Harding: Das ist das Interessante, dass es eben immer anders ist. Ich denke an die Fünfte Symphonie von Mahler. Diese habe ich zum ersten Mal vor 20 Jahren beim London Symphony Orchestra dirigiert und wir spielten sie fünfzehnmal auf unserer Asienreise. Ich kam zurück und dachte, Mahlers Fünfte kann ich jetzt. Dann habe ich das Stück in Stockholm mit meinem Orchester gespielt und direkt am ersten Tag hat es nicht funktioniert. Man muss jedes Stück wieder von vorne lernen. Ich dirigiere jetzt seit 30 Jahren, und man muss wissen, tief in einem drin, wie man denkt, dass ein Stück funktioniert. Das muss so stark in einem sein, dass man in dem Moment weiß: Okay, jetzt bekomme ich eine andere Persönlichkeit vom Orchester. Das werde ich annehmen. Aber an einer anderen Stelle sage ich: Hier brauche ich etwas anderes. Man braucht diese Flexibilität, dass man genießen kann, was einem das Orchester anbietet. Man muss lernen, damit zu tanzen, aber man muss sich sicher sein, was die Säulen der eigenen Interpretation oder des Verständnisses der Musik sind.
BR-KLASSIK: Sind Sie lieber Gastdirigent, oder sind Sie lieber an einem Ort zuhause, wie es jetzt aktuell bei Ihnen als Musikalischer und Künstlerischer Leiter des Swedish Radio Symphony Orchestra ist?
Als Gastdirigent hat man nur ein Ziel und das heißt: in drei Tagen ein bestmöglich vorbereitetes Konzert zu geben.
Daniel Harding: Das sind zwei wirklich verschiedene Berufe, würde ich sagen. Man muss beides lernen. Für mich ist die Arbeit als Musikdirektor irgendwie interessanter. Man taucht viel tiefer ein und kann nach fünf Jahren sagen: Das haben wir geschafft, das haben wir geändert, das haben wir gelernt. Als Gastdirigent hat man nur ein Ziel und das heißt: in drei Tagen ein bestmöglich vorbereitetes Konzert zu geben. Das heißt auch, sehr oft Lösungen finden zu müssen. Aber Lösungen interessieren mich in der Musik eigentlich nicht. Als Gastdirigent muss es funktionieren. Als Musikdirektor kann man sagen: Es gibt keine Lösung. Wir werden jahrelang dranbleiben, und es wird irgendwann mal richtig gut funktionieren.
Ich versuche immer, vor einem Konzert zu schlafen.
BR-KLASSIK: Die Musikerinnen und Musiker spielen sich vor einem Konzert warm. Was machen Sie kurz vor dem Konzert?
Daniel Harding: Ich schlafe. Ich versuche immer, vor einem Konzert zu schlafen. Wenn man den ganzen Tag lang Proben hatte, den ein oder anderen Termin und einfach viel zu tun, dann ist man am Abend nicht mehr so scharf, so wach. Dann tut das gut. Ich schlafe etwa eine Stunde und dann starte ich wieder neu. Dadurch schaffe ich es, konzentriert zu sein.
BR-KLASSIK: Und was machen Sie kurz nach dem Konzert?
Daniel Harding: Normalerweise essen. Ich kann vorher nicht essen. Das geht nicht, mit vollem Bauch auf die Bühne zu gehen. Aber es ist ziemlich ungesund, dass wir Musiker erst gegen 23 Uhr mit dem Abendessen anfangen. Ein komischer Lebensrhythmus, aber gut.
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