Dirigent François-Xavier Roth sieht sich mit schweren #MeToo-Vorwürfen konfrontiert. Wie das französische Magazin "Le Canard enchaîné" berichtet, beschuldigen ihn Musikerinnen und Musiker der sexuellen Belästigung. Inzwischen äußerte sich Roth zu den Anschuldigungen.
Bildquelle: Holger Talinski
Im Zuge einer #Metoo-Recherche hat das französische Investigativ-Magazin "Le Canard enchaîné" Anschuldigungen gegen François-Xavier Roth publik gemacht. Demnach haben sich sieben Musikerinnen und Musiker über sexuell übergriffiges Verhalten des Dirigenten geäußert. Das Magazin zitiert in diesem Zusammenhang unter anderem aus dem Brief eines Mitglieds des Gürzenich-Orchesters an dessen Geschäftsführenden Direktor Stefan Englert. Auch das Online-Magazin VAN hat über den Fall berichtet.
Konkret geht es um unaufgeforderte Textnachrichten mit sexuellem Inhalt und verschickte Penisbilder, sogenannte Dickpics. Die Vorwürfe wurden nicht anonym erhoben. Geigerin Marie-Annick Nicolas, ehemalige Konzertmeisterin beim Orchestre Philharmonique de Radio France, sagte, dass Roth sie zu einer gemeinsamen "virtuellen Dusche" eingeladen habe.
François-Xavier Roth am Dirigentenpult | Bildquelle: © Palazzetto Bru Zane Gegenüber "Le Canard enchaîné" erklärte Roth, dass es tatsächlich vorgekommen sei, dass er per Telefon "intime Nachrichten" ausgetauscht habe. Das VAN-Magazin zitiert seine Aussage dazu: "Wenn ich zu weit gegangen bin, möchte ich mich bei denjenigen entschuldigen, die ich verletzt haben könnte". Der Franzose ist Gründer des renommierten Originalklangorchesters Les Siècles. Seit 1. September 2015 ist Roth Kapellmeister des Gürzenich-Orchesters und Generalmusikdirektor der Stadt Köln. Den Vertrag wird er jedoch nicht über 2025 hinaus verlängern. Stattdessen wechselt er zur Spielzeit 2025/26 als Chefdirigent und Künstlerischer Leiter zum SWR Symphonieorchester. Der SWR schreibt in einem Statement an BR-KLASSIK, dass die Hinweise bezüglich des Dirigenten geprüft und ernstgenommen werden. Im SWR Symphonieorchester lägen keine ähnlich gelagerten Fälle vor, hieß es zunächst. Doch die Lage scheint sich mittlerweile etwas geändert zu haben, denn nun kam ein aktualisiertes Statement des Senders. Darin ist die Rede von ersten inoffiziellen Hinweisen, die den SWR erreicht hätten. "Der SWR wird bis zum Abschluss dieser Prüfung keine weiteren Auskünfte dazu geben."
In Paris wurde Roth gestern bei einem Konzert kurzfristig durch einen anderen Dirigenten ersetzt. Beim Gürzenich-Orchester sind inzwischen auch Änderungen bekannt, wie VAN unter Berufung auf Orchesterkreise berichtet. So wird der Franzose den Klangkörper vorerst nicht mehr dirigieren, bis die Vorwürfe geprüft wurden. Direktor des Gürzenich-Orchesters, Stefan Englert, soll vor dem Orchester ein entsprechendes Statement von Roth verlesen haben. In dem heißt es, dass "die Orchester, die ich leite, die beschriebenen Verhaltensweisen umfassend untersuchen und Informationen zu den Vorwürfen sammeln." Kölner Oppositionspolitiker fordern unterdessen, dass Roth von seinen Ämtern zurücktreten oder die Stadt seinen Vertrag aufkündigen solle. Mittlerweile hat eine mutmaßliche Betroffene gegenüber dem WDR anzügliche Textnachrichten Roths bestätigt.
Am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks stand François-Xavier Roth das erste Mal 2019. Für Februar kommenden Jahres ist das nächste Konzert mit ihm geplant. Der Orchestermanager des BRSO, Nikolaus Pont, sagte BR-KLASSIK in einer Mitteilung: "Die Vorwürfe gegen François-Xavier Roth sind schwerwiegend und zwingen uns zur Neubewertung einer Partnerschaft, die bisher – künstlerisch und menschlich – von gegenseitiger Hochachtung und Respekt geprägt war." Die Neubewertung werde auf Basis aller zur Verfügung stehenden Informationen vorgenommen. Dazu gehöre auch die "Prüfung gemeinsam geplanter Projekte in der Zukunft".
Die Klassikwelt wird seit Jahren immer wieder von prominenten #Metoo-Fällen erschüttert. So entschuldigten sich bereits Stars wie Placido Domingo für ihr Verhalten gegenüber Frauen in der Vergangenheit. In Folge dieser Vorwürfe distanzieren sich Veranstalter, Klangkörper und Konzerthäuser mintunter von den Künstlern, auch wenn die Vorwürfe noch unbestätigt sind. Veranstaltungen werden vorsorglich abgesagt. Dirigent Charles Dutoit ist hierfür ein Beispiel.
Betroffen sind auch Institutionen bzw. Orchester als Gesamtsystem. Vorwürfe von sexueller Gewalt gegen Schülerinnen trüben beispielsweise das Bild des venezolanischen Vorzeige-Projekts "El Sistema". Und bei den Bayreuther Festspielen war im letzten Jahr von "frauenfeindlichem und übergriffigem Verhalten" die Rede. Auch gegen den ehemaligen Musikdirektor, den Dirigenten Christian Thielemann, gab es Beschwerden wegen misogyner Kommentare.
Sexismus und sexuelle Belästigung sind nicht nur auf bzw. hinter den großen Konzertbühnen Thema, sondern auch an den Musikhochschulen. So hat die HMT München gerade eine in Auftrag gegebene Studie zu "Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierter Gewalt" vorgestellt und daraus einen Sieben-Punkte-Plan entwickelt. An der Hochschule hatte der ehemalige Präsident Siegfried Mauser mehrere Frauen sexuell genötigt. Dafür wurde er strafrechtlich verurteilt.
Sendung: "Leporello" am 23. Mai 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Montag, 27.Mai, 19:25 Uhr
Differenzierer
Differenzierung
Für den Nutzer Trappe, der noch nach einem Straftatbestand sucht: § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Ist das strafbar genug, dass man sich darüber beschweren darf?
Freitag, 24.Mai, 20:28 Uhr
Trappe
Differenzierung
Welchen Straftatbestand soll dies denn darstellen, Erwachsenen-Nacktbilder zu versenden? Inwiefern ist dies ein Machtmissbrauch? Es ist nicht gleichbedeutend mit den "Meetoo-Vorfällen", die einst Dirigenten wie Domingo, Levine oder Dutoit begangen haben. Hier wurde der Tatbestand der sexuellen Nötigung ausgeübt.
Also bitte nicht alles über einen Kamm scheren.
Zweifellos ist dies moralisch fragwürdiges Verhalten, über das man zurecht die Nase rümpft. Aber eine differenzierte und umso sachlichere Betrachtungsweise ist bei diesem delikaten Thema mehr denn je erforderlich.
Freitag, 24.Mai, 09:49 Uhr
Ulrike Scheller
Unaufgefordert
Nein, in einer Leitungsposition unaufgefordert seinen MitarbeiterInnen Penis-Fotos zu schicken, ist kein Kavaliersdelikt. Es ist Machtmissbrauch. Und JA, das gehört in die Öffentlichkeit, denn es ist symptomatisch und muss endlich aufhören!
Donnerstag, 23.Mai, 15:49 Uhr
Arne Zimmermann
"Schwere" Vorwürfe?
Hat er Gefälligkeiten als Gegenleistung für Engagements verlangt? Ich bin verwirrt. Was ist der Maßstab für die vorgebliche Schwere dieser Vorwürfe? Das, was hier berichtet wird, gehört schwerlich an die Öffentlichkeit.