El Sistema ermöglicht Kindern in Venezuela eine musikalische Ausbildung. Doch die Jugendorchester seien inzwischen Propagandamittel eines Diktators, warnt die venezolanische Pianistin Gabriela Montero im Interview. Seit Jahren engagiert sie sich gegen politisches Unrecht in ihrem Heimatland.
Bildquelle: Anders Brogaard
BR-KLASSIK: Gabriela Montero, Sie positionieren sich deutlich in politischen Fragen. Zuletzt haben Sie europäische Konzertveranstalter dazu aufgerufen, die venezolanischen "El Sistema"-Jugendorchester nicht mehr einzuladen und auftreten zu lassen. Was läuft denn da schief?
Gabriela Montero: Ich kämpfe seit 15 Jahren darum, dass die Welt mitbekommt, welch schreckliche Krise sich in Venezuela entwickelt hat. Das Regime in Venezuela bezahlt "El Sistema" und nutzt die Orchester für Propaganda. Ich weiß, dass wir bei den Wahlen im Juli letzten Jahres betrogen wurden. Am 10. Januar hat Diktator Maduro sich selbst als Präsident von Venezuela deklariert, obwohl er nicht der legitime Präsident ist. Der Wille des Volkes wurde nicht respektiert. Angesichts dieser Tatsache fand ich es absolut empörend, dass am nächsten Tag, also am 11. Januar, die "El Sistema"-Orchester, die dem Regime gehören, eine Tournee in Europa begannen. Wir haben Maduro abgewählt und das wurde bewiesen. Daher kann ich nicht verstehen, wie die Musikwelt Orchester willkommen heißt, die als Propagandaapparat des Maduro-Regimes fungieren. Ich werde natürlich als Künstlerin immer Musik unterstützen, Musik für Kinder, für alle. Aber wenn diese Musik von einem autoritären Regime und einer Drogen-Mafia wie der in Venezuela bezahlt wird, muss ich natürlich sagen: Bitte gebt der Propagandamaschinerie von Maduro keinen Sauerstoff mehr!
Ich kann nicht verstehen, wie die Musikwelt Orchester willkommen heißt, die als Propagandaapparat des Maduro-Regimes fungieren.
BR-KLASSIK: Hat jemand auf Ihre Worte reagiert, insbesondere die Veranstalter?
Gabriela Montero: Nein, nicht von den Veranstaltern, aber es gab unglaubliche Unterstützung von Venezolanern. Es gab auch Kritik an meiner Position. Aber die meisten Menschen, die kritisieren, was ich tue, verstehen die Situation in Venezuela nicht wirklich oder wollen nicht sehen, was hinter "El Sistema" steckt. Als Menschenrechtsaktivistin aber sehe ich den Zweck dieser Tourneen. Es geht um viel mehr als Konzerte. Es ist auch eine Form der Einflussnahme und "Soft Power".
BR-KLASSIK: Was schlagen Sie vor, um jungen Menschen in Venezuela das Musizieren zu ermöglichen, jenseits von El Sistema?
Pianistin Gabriela Montero: "Wir sollten dort Musik machen, wo sie nicht politisiert und von einer politischen Agenda gekauft wird." | Bildquelle: © Shelley Mosman
Gabriela Montero: Ich habe viele Menschen getroffen, die ihre eigenen Musikorganisationen haben und unglaubliche Arbeit leisten. Das Problem ist natürlich, dass "El Sistema" eine Marke ist. Sobald man die Marke erwähnt, ist es sehr einfach, Mittel und Geld dafür zu sammeln. Aber wir sollten dort Musik machen, wo sie nicht politisiert und von einer politischen Agenda gekauft wird. Wir müssen unabhängige Wege finden, um Musik zu Kindern zu bringen. Wege, die keine Verbindung zum venezolanischen Regime haben, das mein Land zerstört hat.
BR-KLASSIK: Der Umgang mit Musik ist das eine, die Musik selbst ist das andere. Gibt es Musik, die Sie niemals spielen würden, wegen der Botschaft, die in dieser Musik steckt?
Gabriela Montero: Für mich ist es schwierig, den Menschen vom Künstler zu trennen. Das Regime in Venezuela hat enorm viel Leid verursacht. Es hat acht Millionen Venezolaner dazu gebracht, Venezuela zu verlassen, oft zu Fuß. Und ich habe so viele dieser Menschen getroffen, die unglaublich tragische Geschichten erlebt haben. Ich nutze meine Plattform, um die Geschichten zu erzählen, die erzählt werden müssen, aber leider oft zum Schweigen gebracht werden.
Das Regime in Venezuela hat enorm viel Leid verursacht.
BR-KLASSIK: Sie treten jetzt bei der Mozartwoche in Salzburg auf. Gehen Sie mit dem Gefühl auf die Bühne, eine politische oder humanitäre Botschaft zu überbringen?
Gabriela Montero: In Salzburg ein Klavierkonzert von Mozart zu spielen, ist etwas ganz Besonderes. Und ich glaube, dass Musik so viele emotionale Codes und persönliche Botschaften enthält, die die Komponisten uns vermitteln wollten. Der gemeinsame Nenner in unserer Existenz sind die Freuden und die Sorgen, die wir in unserer Zeit erleben. Natürlich erzählt das Klavierkonzert von einer anderen Zeit. Aber letztendlich geht es immer um die menschliche Erfahrung, am Leben zu sein. Also hoffe ich, dass ich das Publikum mit meinen eigenen Erfahrungen verbinden kann.
Donnerstag, 23. Januar 2025, 19:30 Uhr
Großer Saal Stiftung Mozarteum
Werke von Antonio Salieri, Joseph Haydn, Wolfang Amadeus Mozart und Christoph Willibald Gluck
Gabriela Montero, Klavier
Lauren Snouffer, Sopran
Mozarteumorchester Salzburg
Roberto González-Monjas, Dirigent
Rolando Villazón, Moderation
Weitere Informationen zur Salzburger Mozartwoche
BR-KLASSIK: Glauben Sie, dass Mozart, wenn er heute leben würde, Kunst und Musik auf ähnliche Weise nutzen würde, um sich klar gesellschaftlich und politisch zu positionieren?
Gabriela Montero: Oh, absolut! Mozarts Oper "Don Giovanni" ist in vielerlei Hinsicht eine Art politische Aussage. Ich denke, dass viele Künstler ein soziales Bewusstsein haben. Denken Sie nur an Schostakowitsch. Aber der Punkt ist: Man muss bereit sein, Opfer zu bringen, wenn man sich äußert und handelt.
Ich denke, dass viele Künstler ein soziales Bewusstsein haben.
BR-KLASSIK: Sie laden das Publikum bei einem Konzert gern ein, Ihnen einfach eine Melodie vorzusingen, danach improvisieren Sie darüber. Wird das in Salzburg auch der Fall sein?
Gabriela Montero: Ja, natürlich. Ich mache immer eine oder zwei Improvisationen nach meinen Konzertauftritten. Und in der Tat werden morgen auch die Kadenzen improvisiert. Also hoffe ich, dass das Salzburger Publikum ein paar Melodien hat, aus denen ich wählen kann.
BR-KLASSIK: Gabriela Montero, Sie improvisieren schon sehr, sehr lange. Ist es eigentlich so, dass es irgendwann eine Art Routine gibt oder ist es immer komplett neu?
Gabriela Montero: Es gibt keine Formeln, keine Routine. Es gibt nichts, was ich immer wieder mache. Für mich ist Improvisation genau diese Erfahrung, dass etwas aus dem Nichts geboren wird. Ich bin selbst überrascht und beobachte einfach, wie es passiert. Das liebe ich daran!
Sendung: "Leporello" am 22. Januar 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Freitag, 24.Januar, 11:19 Uhr
Theo
@ Trappe
Auf diesen Medientenor gebe ich nicht viel. Venezuela ist ein bodenschatzreiches Land, das seit Jahrzehnten die Begehrlichkeiten der USA geweckt hat und das sich gegen den Dollarimperialismus sträubt. Klar, dass dann das politische System dämonisiert wird. Dieses Spiel sollte doch wirklich bekannt sein. Auch gab es dort viele Destablisierungsversuche durch die CIA, teilweise recht plumpe.
Auffällig bei Montero ist nicht nur die für mich unverständliche Kritik, sondern auch, dass sie in den USA mit der Schirmherrschaft eines eigenen Festivals belohnt worden ist.
Man sollte nicht so naiv sein zu glauben, ein musikalisches Talent gehe unbedingt mit einer moralischen Lauterkeit einher, da gibt es viele Gegenbeispiele.
Und solange die Vorwürfe so vage sind, dass man sie gegen jedes System erheben könnte (insbesonds gegen die USA), fände ich es einfach nur schlimm, ein vorbildliches musikalisches Projekt in Verruf zu bringen.
Freitag, 24.Januar, 09:03 Uhr
Trappe
@Theo
Welche Hintergrundinformationen haben Sie, die Sie zu dem Schluss kommen lassen, Montero kritisch zu hinterfragen bzw. das Projekt zu verteidigen? Auch in anderen Zeitungen wurde bereits darüber berichtet, dass in diesem Projekt el sistema eine zunehmende Politisierung unter dem Regime Manduros erfolgt.
Ich kann mich nur auf die Zeitungen beziehen. Montero wird aber sicherlich nicht aus heiterem Himmel das Projekt mit hervorragender Grundidee verurteilen.
Aber vielleicht haben Sie nähere Erkenntnisse?
Mittwoch, 22.Januar, 17:54 Uhr
Theo
Zweifelhafter Moralismus
Ich finde "El Sistema" ein inspirierende Projekt, das wirkliche Erfolge in der Heranführung von Kindern aus bildungsfernen Schichten zur klassischen Musik vorweisen kann.
Eine priviligierte Frau kritisiert aus nicht durchschaubaren Gründen dieses Projekt. Ich habe echt versucht, Monteros Standpunkt zu verstehen, es ist mir niemals gelungen, das ist wirklich nur unkonkretes Geraune.
Auf jeden Fall sollte man hier nicht unkritisch die Propagandaaussagen Monteros übernehmen und ein gutes Projekt in den Schmutz ziehen.