Auch wenn in Paris die Olympischen Spiele vorbei sind - bei den Salzburger Festspielen liegt weiterhin Französisches in der Luft. Die letzte große Opernpremiere dieses Sommers ging gestern im Großen Festspielhaus über die Bühne: Jacques Offenbachs "Les Contes d‘Hoffmann". Die Regisseurin Mariame Clément debütierte damit an der Salzach, am Pult stand Mark Minkowski. Beim Publikum blieben Fragen offen.
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Als hätte jemand dem Komponisten etwas in den Tee getan, gibt sich der Kölner Jacques Offenbach in seinen Pariser Operetten. Für "Hoffmanns Erzählungen", bzw. "Les Contes d’Hoffmann" im Französischen, zieht der notorische Spaßvogel neue Register und kommt gar nicht als Rheinische Frohnatur daher. Es geht zwar spöttisch los, wird aber immer ernster und tragischer.
Dirigent Mark Minkowski signalisiert in Salzburg schon durch die Wahl der Rezitativfassung, dass er es auf die Entfaltung einer gewissen Dosis Pathos anlegt, auf musikalische Abgründe. Gerade dafür sind die teilweise überraschend scharf artikulierenden Wiener Philharmoniker das richtige Orchester. Auch wenn Minkowski seine Tempovorstellungen bis zum Premierenabend offenbar nicht allen Beteiligten kommunizieren konnte – es mangelt immer wieder an Präzision.
Szene aus "Hoffmanns Erzählungen" bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: © SF/Monika Rittershaus Die Inszenierung der Hausdebütantin Mariame Clément stuft Offenbachs "Opéra fantastique" als historische Vorstufe zum Film ein. Hoffmann ist Filmregisseur, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Sein Besitz beschränkt sich auf Jeans, Wildlederjacke und einen vom Supermarkt geklauten Einkaufswagen. Wir bekommen gezeigt, was Hoffmann jeweils mit der Kamera erzählt, was er künstlerisch ausgestaltet - aber auch, wie seine Lebenssituation als Privatperson aussieht. Die Ausstatterin Julia Hansen darf vor einer grauen Theater-Brandmauer Requisiten aus Vergangenheit und Gegenwart durcheinanderwirbeln. Mit der überdrehten Puppe Olympia lernen wir die erste Flamme Hoffmanns kennen, zugleich seine ersten studentischen Gehversuche. Durch seine Filmfigur Antonia erinnert sich der gereifte Antiheld an seine wahre Liebe Stella, die ihn inzwischen verlassen hat. Beide singen leidenschaftlich gern - Antonia vergegenwärtigt die schwierige Geburt der später umjubelten Diva Stella. Nach dreifachem Scheitern bei Frauen ist Giulietta für den in Selbstmitleid ertrinkenden Säufer nur noch ein Albtraum. Hoffmann stürzt in eine Paranoia, eine elementare seelische Krise. Am Ende bleibt nur die Kunst als Trösterin übrig – und da schließt sich in Salzburg der Kreis zum originalen Libretto.
Egal jedenfalls, wie schnell Hoffmanns Liebesträume auch platzen: Benjamin Bernheim zeichnet Leidensdruck mit einer Prise Leichtigkeit. Nie verliert er seine Eleganz, sein Lächeln in der zart bebenden und beizeiten mächtig aufblühenden Stimme. Das ergibt vokal ein völlig anderes Erscheinungsbild als beim neurotischen Schmerzensmann Neil Shicoff, dem Salzburger Rollenvorgänger vor knapp zwanzig Jahren.
Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.
Szene aus "Hoffmanns Erzählungen" bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: © SF/Monika Rittershaus Den Härtetest in puncto Wandlungsfähigkeit besteht eine dramatische Koloratursopranistin – so etwas gibt es tatsächlich. Kathryn Lewek meistert die vokalen Hochsprünge Olympias, ohne mit der Wimper zu zucken. Für Antonia mobilisiert sie elegisch gefärbte Ausdrucksfacetten. Und mit einer sonst oft gestrichenen Arie Giuliettas erzielt sie nochmals große Wirkung. Auch die liebe Muse und der böse Dapertutto geben weitgehend unbekannte Arien zum Besten, die auf Minkowskis Initiative berücksichtigt werden. Wobei die Mezzosopranistin Kate Lindsey bravouröser agiert als der Bariton Christian Van Horn. Erst als nach vier Stunden Aufführungsdauer die Regisseurin vor dem Vorhang erscheint, trübt sich die Feierlaune des Publikums. Mariame Clément hat mit mancher Regie-Entscheidung offenbar für Verwirrung gesorgt.
BR-KLASSIK überträgt die Oper von Jacques Offenbach live zeitversetzt von den Salzburger Festspielen am 16. August um 22:00 Uhr im Videostream und zeitversetzt am 7. September um 20:03 Uhr im Radio.
Kommentare (6)
Mittwoch, 21.August, 04:42 Uhr
Gerhart Wiesend
Wieso einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Ganz so schlecht wie einige meinen war diese Inszenierung auch nicht. Allerdings müsste jemand, der diese Oper zum ersten Mal sieht, an der Salzburger Verkomplizierung verzweifeln. Die Handlung ist nicht besonders verwirrend, aber durch die Verschränkung mit einer Verfilmung des Lebens des Protagonisten durch sich selbst, blickt selbst der Gutwilliligste nicht mehr durch.
@ Verena Wilhelm: Die traditionelle Spiegelarie, von fremder Hand des Andreas Bloch in diese Oper eingefügt, wurde erfreulicherweise ersetzt durch eines der beiden Originale Jacques Offenbachs. Danke dafür. Nein, Sie waren nicht eingenickt. Jacques Offenbachs Original ist melodisch und rhythmisch abwechslungsreicher.
Dass Gefühlsarmut bei einigen vorherrschte, stimmt, besonders bei Kate Lindsey, die zwar perfekt artikuliert, aber wenig Gefühl zeigt.
Der kommende Hoffmann an der Met ist die über 10 Jahre alte Inszenierung des Bartlett Sher. Bieder und gut verständlich.
Montag, 19.August, 11:53 Uhr
Joachim Dreier
Hoffmanns Erzählungen
Ich schließe mich der Kritik von Asinus an. Es war eine derart scheußliche Inzenierung, besonders die Einfalsslosigkeit Anfang vierter Akt Bacarole...Da lob ich mir die Inszenierung von Otto Schenk in der Bayerischen Staatsoper in den 80 iger Jahren. Habe bisher keine bessere gesehen...Schade.
Sonntag, 18.August, 11:32 Uhr
Armin Horst
Hoffmanns Erzählungen Salzburg 16aug24
Die tolle Musik von Offenbach wird durch die chaotische Aufführung in Salzburg chancenlos in den Hintergrund gedrängt. Auch die bekannte Barcarole mit der "Puppe" verliert völlig die Anmut. Nach der gutgemeinten Modernisierung der Auführung, die mit der Musik nicht synchron ist, bleibt als Zuseher und Hörer nur Ratlosigkeit und Enttäuschung.
Samstag, 17.August, 02:33 Uhr
Verena Wilhelm
Kommentar zur Rezension von Hoffmanns Erzählungen
Ich stimme der Kritik voll zu. Ich hatte mich so auf Benjamin Bernheim gefreut und wurde auch nicht enttäuscht. Er kann so schön leiden auf der Bühne. Aber was wollte die Regisseurin mit ihrer Inszenierung uns sagen ? Ich vermisste Gefühle die doch bei Offenbachs Musik nicht ausbleiben sollten. Doch dieses Durcheinander war zeitweise schwer erträglich.
Ich vermisste auch die berühmte "Spiegelarie". Oder war ich mal kurz eingenickt am Fernseher ? In der Hamburger Inszenierung mit Bernheim vor 2 Jahren fehlte sie auch. Schade! Grandios gesungen fand ich beide die Sängerin der 3Frauenrollen Kathryn Lewek und auch die Muse Kate Lindsey. Nun bin ich gespannt auf den "Hoffmann" an der Met im Oktober.
Samstag, 17.August, 00:47 Uhr
Klaus Merzbacher
Hoffmanns Erzählungen
Na Sowas. Hätte nie gedacht, dass diese Oper derart langweilig daher kommen kann. Die Regisseurin arbeitete mit Versatzstücken des Regietheaters der letzten zehn Jahre, das sie aber nicht beherrscht. Solides Regiehanwerk sollte man als Besucher für teures Geld in Salzburg schon erwarten dürfen. Das war aber nur Tutti Frutti. Keine Figur war durchgearbeitet. Außerdem ist das fragmentarische Werk im Lauf der letzten Jahrzehnte zu lang geworden. Man sollte wieder Mut fassen, es zu kürzen.
Musikalisch war es wenig inspiriert. Das klang alles so, als ob jeder nur eine Pflichtübung abliefert. Kthryn Lesen konnte nur als Antonia richtig glänzen. Dann die drei Frauenrollen doch lieber aufteilen. Benjamin Bernheim wurde als Hoffmann von der Regie doch sehr
an den Rand gedrängt. Stimmlich fand ich ihn vor allem im Lyrischen sehr
gut. Christian van Horn eher enttäuschend in den drei "bösen"
Männerrollen. Fazit: Gut, aber nicht festspielreif. Die Augen überreizt, aber nicht die Ohren. Schade.
Freitag, 16.August, 22:35 Uhr
Asinus
Kritik
Das Lob der Stimme von Benjamin Bernheim kann ich nicht nachvollziehen. Manchmal hatte man den Eindruck, er müsse stark forcieren. Die Inszenierung war von einer ausgeprägten Scheußlichkeit. Man gehe einmal in Nürnberg in einen der Studentenkeller, die sind reizend, schön ausgetäfelt, und keine völlig deprimierende Lagerhallenwand. Aber auch das ist ja Mode beim Regietheater, das dann bald ins Lächerliche abglitt. Und wo war das Stück?