Legendenumwoben, melodienselig, traumhaft romantisch: Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" ist das musikalisch populärste Werk, das die Salzburger Festspiele in diesem Sommer als Neuproduktion herausbringen. Was erwartet das Publikum bei diesem prominent besetzten Zugstück?
Bildquelle: © SF/Monika Ritterhaus
Die junge Olympia glänzt mit brillanten Koloraturen, entpuppt sich jedoch als Automat; die seelenvoll singende, aber kranke Antonia stirbt an ihrem eigenen Gesang; die attraktive Kurtisane Giulietta missbraucht ihn für ihre Zwecke – und die berühmte Operndiva Stella will zuletzt keinen Trunkenbold: Lauter unglückliche Liebesgeschichten für den schwärmerischen, aber vom Unglück verfolgten Künstler Hoffmann, der sich von dunklen Mächten bedroht fühlt. Diese manifestieren sich von Abenteuer zu Abenteuer in seinen wechselnden Widersachern Lindorf, Coppelius, Doktor Miracle und Dapertutto. Oder sind sie vielleicht nur eine einzige Person, so wie auch die Geliebten Hoffmanns möglicherweise nur Facetten einer einzigen Frau darstellen? Erfüllung, so verspricht der Epilog, kann es da nur in der Kunst geben ...
Premiere: Dienstag, 13. August 2024 im Großen Festspielhaus Salzburg
BR-KLASSIK überträgt die Oper von Jacques Offenbach live zeitversetzt von den Salzburger Festspielen am 16. August um 22:00 Uhr im Videostream und zeitversetzt am 7. September um 20:03 Uhr im Radio.
Der Komponist Jacques Offenbach | Bildquelle: dpa/akg "Hoffmanns Erzählungen" oder im französischen Original: "Les contes d’Hoffmann" – das ist Jacques Offenbachs letztes großes, bei seinem Tod 1880 unvollendet hinterlassenes Werk für die Musiktheaterbühne. Basierend auf einem Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré, lässt diese, laut Untertitel "Phantastische Oper" in Barbiers Libretto Leben und Schaffen des romantischen Dichters und Komponisten E. T. A. Hoffmann (1776–1822) ineinander verschwimmen. Hoffmann selbst stolpert als Hauptfigur aktweise durch seine Erzählungen wie "Der Sandmann", "Rat Krespel" und "Die Abenteuer der Sylvester-Nacht". Eingefasst wird das Ganze durch eine Rahmenhandlung, die Hoffmann als begnadeten Künstler und Erzähler zeigt, aber auch als einen durch Alkohol tragisch am Leben scheiternden Menschen: "Vergangen ist der Mann – wach auf, Poet! / Ich liebe dich, Hoffmann! Werde mein!", singt seine Muse in der finalen Apotheose. "Lächle heiter über deinen Schmerz! / Die Muse lindert deinen Kummer! / Denn groß ist man durch Liebe, doch größer noch durch Leid!"
Bei kaum einer anderen so berühmten und populären Oper existieren so viele unterschiedliche Werkgestalten – bedingt durch die komplexe Entstehungsgeschichte, die unübersichtliche Weitergabe und Verwendung des unvollendeten Notentextes nach dem Tod des Komponisten, die teils selbstherrlich von Impresarios und Bearbeitern eingefügten Ergänzungen, Veränderungen und Zurichtungen sowie die echten oder nur vorübergehenden Verluste von Originalmaterial. Immerhin sind die daraus entstandenen Kontroversen und Eifersüchteleien in der musikwissenschaftlichen Forschung längst beigelegt: Die zusammengeführten Ergebnisse und Materialien von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck sind heute die Basis für jede seriöse Produktion der Oper. Die Produktionsteams müssen und können sich aus dem vorhandenen Material den jeweils eigenen "Hoffmann" zusammenbauen.
Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.
Die Regisseurin Mariame Clément | Bildquelle: © SF/Neumayr/Leo Wenn zum Kunstwerk der Romantik auch das Geheimnis gehört, und das umflort den "Hoffmann" ja trotz aller Musikwissenschaft bis heute, dann passt es natürlich auch, dass sich die französische Regisseurin Mariame Clément vorab gar nicht recht in die Karten blicken lassen will. "Die Herausforderung besteht darin, dass es einerseits viele Höhepunkte gibt, die Erzählweise andererseits aber sehr verschachtelt ist", stellt sie allgemein fest. "Neben der Rahmenhandlung gibt es sozusagen drei Stücke im Stück – man hat quasi vier Opern an einem Abend." Es sei daher wichtig, eine erzählerische Konsequenz, einen roten Faden zu finden und gleichzeitig nah am zentralen Charakter zu bleiben: "Hoffmann als Titelfigur ist omnipräsent, sowohl als erzählerische Figur als auch auf der Metaebene. Er ist Teilnehmer und Beobachter in einer Person. Wichtig für uns war dabei, Empathie und Mitgefühl für ihn als Charakter zu kreieren", erklärt Clément. Die Regisseurin verspricht eine spannende Mischung aus Realität und Fiktion auf der Bühne, aus Kunst und Leben.
Quasi vier Opern an einem Abend.
Als Hoffmann tritt in Salzburg Benjamin Bernheim in die Fußstapfen von Plácido Domingo und Neil Shicoff, die 1980-82 bzw. 2003 in dieser Partie Festspielgeschichte geschrieben haben. Der 39-jährige französische Tenor hat seine Laufbahn ungewöhnlich klug und ohne Hast aufgebaut und war in Salzburg etwa 2022 an der Seite von Lisette Oropesa der Edgardo in einer allgemein umjubelten Aufführung von Donizettis "Lucia di Lammermoor" zu sehen. Und zu Pfingsten 2018 hat Bernheim hier auch schon Offenbach gesungen, den Piquillo in "La périchole" – unter der Leitung von Marc Minkowski, der mit dem "Hoffmann" ans Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker zurückkehrt. Minkowski führt, wie er selbst scherzt, eine Art Doppelleben als "Dr. Jeckyll and Mr. Hyde": Er ist natürlich weiterhin mit seinem Originalklangensemble Les Musiciens du Louvre aktiv, gastiert aber auch bei traditionellen Orchestern. Mit den Philharmonikern gehe es darum, "einen gemeinsamen Weg aus unterschiedlichen Dynamiken und Stilrichtungen" zu finden, auszuprobieren und einen "Kompromiss" zu erzielen "zwischen einem vollen, reichen Klang und einer Art klanglicher 'Akupunktur'." Was die Werkgestalt anlangt, plädiert Minkowski für die nachkomponierten Orchesterrezitative, weil diese im Vergleich zu gesprochenen Dialogen für eine internationale Besetzung leichter zu bewältigen seien: Das verspricht also mehr Grand Opéra als Opéra comique.
Kathryn Lewek als Olympia und Benjamin Bernheim als Hoffmann in "Les contes d'Hoffmann" bei den Salzburger Festspielen 2024. | Bildquelle: © SF/Monika Rittershaus Die vokal recht unterschiedlichen Anforderungen, die die vier großen Frauenrollen stellen, hat oft zur Aufteilung der Partien auf mehrere Sängerinnen geführt. Kathryn Lewek wagt sich aber an alle vier, ganz wie es Offenbachs ursprünglichem Konzept entspricht. Die US-Koloratursopranistin Lewek ist in allen vier Frauenrollen zu erleben, sie hat bei den Festspielen zuletzt in Barrie Koskys Inszenierung von "Orphée aux enfers" als Eurydice geglänzt. "Die Entscheidung für eine einzige Darstellerin haben wir gemeinsam getroffen", sagt Mariame Clément, "und Kathryn macht das hervorragend. Generell sind die Frauenfiguren in diesem Stück eine große Herausforderung", denn es gelte zu zeigen, dass sie lediglich Projektionen aus Hoffmanns Blickwinkel seien: "Vor diesem Hintergrund einen Perspektivwechsel aus Sicht der Frauenfiguren zu schaffen, war uns ein Anliegen".
Sendung: "Leporello" am 12. August ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Kommentare (0)