"Et exspecto" - unter diesem Motto steht die Ouverture spirituelle bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und die Camerata Salzburg sorgen für Intensität in der Kollegienkirche.
Bildquelle: Marco Borrelli
Was für eine Symbolik! Draußen vor der Kollegienkirche geht gerade die Sonne unter, versinkt die Welt in der Dunkelheit. Aber drinnen, während sich die Schatten auch über das Streichorchester der Camerata Salzburg senken, hält Patricia Kopatchinskaja im flammendroten Kleid dagegen: mit einem Violinkonzert von Karl Amadeus Hartmann, der die Flamme der Humanität durch die Dunkelheit der NS-Barbarei getragen hat.
Patricia Kopatchinskaja spielt dieses Konzert nicht, sie lebt es. Die Geige singt und summt, sie zittert und zagt, sie fürchtet und sie empört sich. Hartmann hat sein Concerto funebre als Protest gegen den Einmarsch Hitlers in der Tschechoslowakei geschrieben, und die intensive Interpretation lässt keine Zweifel: Solche Musik brauchen wir heute mehr denn je.
Intensität ist das Schlüsselwort, wenn man die Ouverture spirituelle beschreiben will. Von den sechs Stunden Musik an diesem Wochenende ist kaum eine Minute belanglos. Da gibt es ein großes Händel-Oratorium über die Rettung der Israeliten aus der Sklaverei, in hinreißender Perfektion und Farbigkeit zelebriert vom Monteverdi Choir unter Peter Whelan, und da gibt es ein kleines Akkordeonstück von Sofia Gubaidulina – und beides ist gleichermaßen wichtig. Das leise Bajan-Stück war sogar Namensgeber für die ganze Konzertreihe: Et exspecto heißt es, und Krassimir Sterev spielt es mit solch konzentrierter Präsenz, dass sich die zerbrechlichen Klänge gegen den Geräuschpegel draußen vor der Kirche behaupten.
Das Thema "Et exspecto" ist ein Mutmacher in unserer krisengeschüttelten Gegenwart. Der Hoffnung Raum geben – das Vokalensemble Vox Luminis tut das sogar im wörtlichen Sinne. Denn die berühmte 40-stimmige Motette "Spem in alium" von Renaissance-Komponist Thomas Tallis wird in diesem Konzert gleich zweimal angestimmt. Ganz am Anfang stehen die Sängerinnen und Sänger dicht gedrängt im Chorraum, im Kreis, so dass wir von den meisten nur den Rücken sehen: so als wären wir ausgeschlossen von dieser Hoffnung auf Gott, von der da gesungen wird.
Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.
Anderthalb Stunden später, nach ausgedehnten Gesängen über Tod und Vergänglichkeit, dasselbe Stück noch einmal. Nun stehen die Musiker in einem riesigen Kreis um das Publikum herum. Hin und her wogen die Akkorde, von links nach rechts, von vorn nach hinten. Und wir sind mittendrin. Ein überwältigendes Erlebnis. Die Hoffnung ist sinnlich erfahrbare Wirklichkeit geworden – wieder so ein magischer Moment, für den sich die Reise nach Salzburg lohnt.
Sendung: "Allegro" am 22. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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