Mit seinem neuen Album "Hollywood" hat sich Pianist Sebastian Knauer seinen Filmmusik-Traum erfüllt. Im Mittelpunkt stehen Soundtracks der Filmkomponisten-Familie Newman. "Diese Herren kennenzulernen war schon ein Erlebnis", erzählt Knauer im Interview.
Bildquelle: Gregor Hohenberg
BR-KLASSIK: Herr Knauer, welcher Film hat Sie denn zuletzt im Kino so richtig gepackt?
Sebastian Knauer: Ich war kürzlich in Gladiator 2. Ich bin ein riesiger Fan vom ersten Teil und dem Regisseur Ridley Scott. Es hat mich natürlich interessiert, wie er die Geschichte weitererzählt. Der Film hat mich teilweise gepackt, aber nicht so wie der erste – der war natürlich einfach unfassbar gut – auch durch Russel Crowe als Hauptdarsteller. Aber auch der zweite Teil hat seine Qualität, vor allem, wenn man über bildgewaltige Momente staunt, wie ich das tue. Es ist teilweise sehr brutal. Nichts für zartbesaitete Menschen, aber ansonsten war das ein tolles Erlebnis. Ich gehe gerne ins Kino.
BR-KLASSIK: Dann wissen Sie sicher auch, dass viele Filmliebhaber, wenn es um Filmmusik geht, gerne über John Williams und Hans Zimmer – die Giganten der Filmmusik – sprechen. Warum haben Sie sich auf Ihrem neuen Album für Filmmusik von Alfred Newman entschieden?
Pianist Sebastian Knauer hat in Los Angeles die Filmkomponisten David und Thomas Newman kennengelernt. | Bildquelle: Kristian Sickinger Sebastian Knauer: Es gibt natürlich Hans Zimmer, es gibt John Williams, es gibt auch Ennio Morricone, der ja auch einer der ganz berühmten, großen Filmkomponisten war. Aber die sind eben auch schon auf vielen Aufnahmen vertreten. Ich hatte schon mein Leben lang den Wunsch, mal was mit Filmmusik zu machen; mir fehlte nur die zündende Idee. Und dann habe ich David Newman kennengelernt – den Sohn von Alfred Newman – der in Los Angeles lebt und auch ein großer Filmkomponist ist. Er ist zum Beispiel bekannt für "Ice Age" oder "Anastasia" – viele Animationsfilme. Dann sein Bruder Thomas Newman, der unter anderem "James Bond - Skyfall" oder "American Beauty" geschrieben hat. Diese Herren kennenzulernen, war schon ein Erlebnis.
Ich hatte schon mein Leben lang den Wunsch, mal was mit Filmmusik zu machen.
BR-KLASSIK: Wie haben Sie die Newmans kennengelernt?
Sebastian Knauer: Tatsächlich über einen Freund, der in der Filmwelt arbeitet – der kennt David Newman und hat uns einander vorgestellt. Dann bin ich hingeflogen, hab ihn kennengelernt und er war er auch gleich ganz begeistert von meinem Interesse. Das war für mich ganz verwunderlich, weil ich eine Riesen-Ehrfurcht vor ihm und seinem Bruder hatte. Er hat sich gefreut, dass sich jemand aus der Klassik so interessiert und direkt vorgeschlagen, zusammen Musik anzuhören. Dann haben wir in seinem Studio gesessen und er hat mir die Musik seines Vaters vorgespielt. Das sind Filme, die ich als Kind im Fernsehen gesehen hab – "Das Gewand" oder "Die größte Geschichte aller Zeiten" bis hin zu "Airpower", dem berühmten Katastrophenfilm. Ich dachte nur: "Das gibt's ja nicht! Das ist Alfred Newman". Da entstand schon so ein kleiner Bogen. Dann haben wir gesagt: Wir erzählen die Filmmusik Amerikas von 1900 bis heute.
BR-KLASSIK: Wenn Sie das so gemeinsam konzipiert haben, mit vielen persönlichen Handschriften großer Komponisten der Filmmusik: Welche Stationen waren Ihnen wichtig, vom Beginn der Filmmusik bis heute?
Sebastian Knauer: Mir war wichtig, dass die Familie Newman einen Mittelpunkt darstellt. Deshalb ist der Vater Alfred Newman mit einigen seiner Werke vertreten. Dann habe ich David Newman gebeten, mir ein Stück neu zu schreiben – ebenso Thomas Newman. Sogar die Tochter von David Newman ist als Sängerin bei den Aufnahmen mit im Boot gewesen. Drumherum war dann wichtig, Filmkomponisten zu nehmen, die alle im Bezug zur Familie Newman standen. Entweder wurden sie von Alfred Newman gefördert, wie Alex North oder Jerry Goldsmith. Oder sie waren mit Alfred Newman befreundet – dazu gehört zum Beispiel George Gershwin, der auch auf dieser CD zu finden sein wird. Und dann eben bis zur heutigen Zeit mit den noch lebenden Söhnen von Alfred Newman. Ich glaube, dadurch gibt es einen schönen roten Faden. Den brauche ich immer, wenn ich eine Aufnahme mache.
BR-KLASSIK: Sie als Interpret großer klassischer Werke – Beethoven, Mozart – was haben Sie entdeckt? Was macht die Filmmusik von Alfred Newman und seinem Umfeld aus?
Sebastian Knauer: Es ist ganz große Emotion, die in dieser Musik steckt. Die Musik ist bildgewaltig. Auch wenn man sie ohne den Screen vor sich hat und sie nur hört, merkt man einfach, dass da was passiert. Ich sag immer: Es gibt für mich keine Grenze zwischen Klassik und Jazz und Pop und Filmmusik. Es gibt nur gute und schlechte Musik. Das Zitat ist nicht von mir – das hat Leonard Bernstein mal gesagt – aber es ist einfach so. Diese Musik ist so einnehmend und es macht eine Riesenfreude, sie zu spielen. Und dann ist es auch noch so gut arrangiert. Ich als klassischer Pianist habe natürlich auch einen gewissen Anspruch. Aber das ist David Newman super gelungen. Es kommt ja auch noch Musik von George Gershwin vor und Aaron Copland ist auch mit dabei – das ist ja im Grunde klassische amerikanische Musik. Das geht so fließend ineinander über, dass es einfach großen Spaß bringt.
Es ist ganz große Emotion, die in dieser Musik steckt.
BR-KLASSIK: Haben Sie dann extra für das Album auch Ihre Spieltechnik oder Ihren Anschlag verändert?
Sebastian Knauer: Tatsächlich nicht, nein. Ich mache da auch keinen Unterschied. Anschlagskultur gehört sowieso immer nach ganz oben auf meine Liste. Als Kind wurde mir von meinem ersten Lehrer schon nahegelegt, das Klavier nicht als Tasten- oder Schlaginstrument zu sehen, sondern es so zu behandeln, als würde man vorsichtig einen Ton auf einer Geige streichen. Deswegen verwende ich auch bei dieser Musik meine normale Spieltechnik. Ich denke, das bekommt der Musik auch ganz gut.
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BR-KLASSIK: Um nochmal zur Emotion zurückzukommen: Haben Sie das Gefühl, dass die Emotionen in Filmmusik-Scores stärker und plastischer ausgespielt sind als im klassischen Repertoire? Gehen die mehr in die Vollen als Schumann, Schubert, Beethoven, Brahms, usw.?
Sebastian Knauer: Ich finde nicht, dass die Klassik dem auch nur im Ansatz nachsteht. Auch sie hat fast schon epochale Momente, die man hören kann. Ich habe grade vor ein paar Tagen wieder ein Werk von Rachmaninow gehört – die Paganini-Variationen für Klavier und Orchester, gespielt von meinem alten Lehrer. Da kommen zwischendurch Stellen, wo man tatsächlich automatisch denkt: Boah, das könnte jetzt auch Filmmusik sein, weil das so gewaltig und groß angelegt ist.
BR-KLASSIK: Das liegt bei Rachmaninow ja auch auf der Hand. Er hat ja komponiert, da gab es schon Filme.
Sebastian Knauer: Richtig. Aber selbst bei den Klassikern – wenn man eine große Beethoven-Symphonie hört oder die "Mondscheinsonate" – das ist ja fast schon Filmmusik, wenn man sich den langsamen Satz anhört. Es ist eine andere Art. Natürlich ist Filmmusik auch darauf angelegt, den Zuhörer sofort zu packen, weil die Emotion sofort rüberkommen muss. Bei der Klassik ist das vielleicht eher unbewusst passiert, weil die Komponisten kein Bild vor Augen hatten. Sie hatten aber auf jeden Fall eine Emotion in sich, die sie rauslassen konnten.
BR-KLASSIK: Die Filmkomponistin Rachel Portman hat im BR-Klassik-Interview erzählt, dass sie es besonders spannend findet, wenn die Musik etwas konträr zur Szene ist. Ich glaube, das war auch ein Stück weit das Rezept von Ennio Morricone, dass er sagt, die Musik muss noch andere Schichten bieten, als nur eins zu eins darzustellen, was man sieht. Würden Sie dem zustimmen?
Pianist Sebastian Knauer liebt Filmmusik. Mit seinem neuen Album "Hollywood" hat er sich einen Traum erfüllt. | Bildquelle: Gregor Hohenberg Sebastian Knauer: Total. Ich habe auch zuletzt immer wieder beim Filmschauen Momente erlebt, wo bei sehr beängstigenden Szenen auf einmal fröhliche Musik kam. Da fragt man sich fast schon: Hat er jetzt die richtige Musik gewählt? Aber hat er natürlich. Das schafft so eine Skurrilität. Trotzdem kommen die intensivsten Momente vermutlich durch ein Zusammenspiel von Musik und Szene, zum Beispiel, wenn im Film jemand stirbt und dann kommt noch eine wahnsinnig traurige Musik… Da ist der Zuschauer sofort den Tränen nahe, weil die Musik die Szene noch einmal verstärkt. Aber das andere Beispiel gibt es auch und es ist sicherlich manchmal eine gute Option, einen Gegensatz zu schaffen.
BR-KLASSIK: Wenn Ihr Album der Soundtrack zu einem Film wäre, was wäre dann die Handlung oder die Story, die man vor seinem inneren Auge sehen könnte?
Sebastian Knauer: Das sind viele Handlungen (lacht). Es ist schwierig, alle Stücke für einen Film zu nehmen. Das Stück, das David Newman für mich geschrieben hat, wirkt teilweise wie eine wilde Verfolgungsjagd in einem Animationsfilm. Dann gibt es eine wahnsinnig schöne Melodie von Thomas Newman, die er mir geschrieben hat: Das wirkt wie ein Sonnenuntergang am Pazifik, wo vielleicht grade zwei Menschen auseinandergehen. Es gibt viele Bilder, die ich bei dem Album im Kopf habe. Einige Stücke sind natürlich aus Filmen. Da verbinde ich die Musik dann sowieso gleichzeitig mit dem Film.
"Hollywood"
Musik aus dem Umfeld des Filmkomponisten Alfred Newman
Sebastian Knauer, Klavier
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Leitung: David Newman
Veröffentlichung: 29. November 2024 bei Warner Classics
Sendung: "Leporello" am 29. November 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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