Zwei Oscars, drei Grammys, drei Golden Globes und sogar ein Asteroid, der nach ihm benannt ist: Hans Zimmer ist der bekannteste Filmmusikkomponist der heutigen Zeit. Von “Rainman” und “König der Löwen”, über “The Dark Knight” und “Inception”, bis zu “Dune” und “Interstellar” - die Liste der Filme mit Soundtracks von Hans Zimmer ist lang und voller Blockbuster. Dabei hat er nie eine Musikhochschule besucht. Wie kann das sein? Wir versuchen, das Geheimnis von Hans Zimmer zu ergründen.
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"Damals war meine größte Ambition, einmal die Musik für den "Tatort" zu machen". Das sagt Hans Zimmer in einem Interview mit "news". Doch in Deutschland sollte er keinen Erfolg finden. Die Szene der 70er war klein, die Jobs waren rar und es gab keinen Platz für jemanden wie Hans Zimmer, der nie eine Musikhochschule von innen gesehen hatte. Anders war es im Ausland. In London findet Hans Zimmer eine Plattenfirma, die ihn wie er später erzählt "hat [...] machen lassen". Er darf die Musik zum Film "A world apart" machen und dann hat er die nötige Portion Glück. Diana Levinson sieht diesen Film und ist von der Musik begeistert. Sie kauft sich eine CD mit dem Soundtrack und schenkt sie ihrem Mann, dem Regisseur Barry Levinson. Der arbeitet gerade selbst an einem Film und will Hans Zimmer unbedingt engagieren. Sein Film trägt den Namen "Rainman" und sollte für Hans Zimmer der Beginn einer außergewöhnlichen Karriere in Hollywood werden. Seit dieser Zeit prägt er die Art, wie Filmmusik gemacht wird, wie vor ihm nur John Williams. Zimmer hat unzählige Filme mit Musik beliefert und füllt mittlerweile Stadien mit seinen Liveshows. Doch woher kommt dieser Erfolg? Was kann oder macht Hans Zimmer, das andere nicht können oder machen?
Hans Zimmer ist als Komponist von Filmmusik bekannt, seine Arbeitsweise ähnelt aber eher einem Hip-Hop Produzenten. Er verwendet einfache, repetitive Melodien (meistens gebrochene, also ausgespielte Moll-Akkorde) und verstärkt sie mit Schlagwerk und Bass. Ein Beispiel dafür ist das Intro des Hauptthemas zu "The Dark Knight".
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Hans Zimmer - The Dark Knight
Das besteht aus drei Tönen, die von den Bläsern bis endlos in die Länge gezogen werden. Dazu kommen Trommeln, Synthesizer-Bass und einige Streicher. All diese Elemente sind nicht dazu da, neue Dynamiken zu etablieren, oder die Melodie weiterzuentwickeln. Jedes andere akustische Element, das gleichzeitig mit diesen drei Tönen stattfindet, dient ausschließlich deren Inszenierung. Ähnliches lässt sich bei Hauptthema zu "Insterstellar" beobachten. Dort besteht das Leitmotiv zwar aus fünf Tönen und der Einsatz von Schlagwerk fällt weg, aber das Grundprinzip bleibt das gleiche: Ein simples Leitmotiv, das sich weniger durch Komposition, sondern eher durch Instrumentierung und Sounddesign entwickelt.
Am 5. November 2024 kommt “The World of Hans Zimmer” nach München in die Olympiahalle.
Mit seinem Durchbruch bei "Rainman" hat Hans Zimmer Beat-Musik in den Film gebracht. Davor wurden Soundtracks mit großen Orchestern eingespielt, was die Soundtracks von John Williams und Co. sehr teuer machte. Dann kam Zimmer in “Rainman” mit einem Synthesizer und einer Steeldrum um die Ecke und stemmte damit einen ganzen Film. Der minimalistische und dadurch geordnete Stil von Bands wie Kraftwerk trifft bei ihm oft auf den auf wenige Töne destillierten emotionalen Reichtum der klassischen Romantik. Das gilt natürlich nicht für alle Zimmer-Soundtracks, aber das ist das, was Leute meinen, wenn sie vom typischen "Hans Zimmer-Sound" sprechen.
In Hans Zimmers Arbeiten finden sich immer wieder Referenzen auf andere Künstler. Ideen von Richard Wagners Oper “Lohengrin” hört man in “König der Löwen” und “Gladiator”. Auch die Götterdämmerung von Wagner hat es in “Gladiator” geschafft. Ob man das als Diebstahl, Huldigung oder Inspiration bezeichnen will, sei dahingestellt, aber die Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen.
Ein weiteres Beispiel ist Hans Zimmers Soundtrack zu “The Dark Knight”. Hier hat sich Hans Zimmer wahrscheinlich von Anton Bruckner inspirieren lassen. Das Finale von Anton Bruckners 8. Symphonie ähnelt der Musik zu "The Dark Knight" so sehr, dass man kaum von einem Zufall sprechen kann. Zimmer hat Bruckners Motiv um eine Note gekürzt und dann aufpoliert. Dazu kommen einige Streicher, die im Hintergrund einen Spannungsabfall bekämpfen und der Rest ist (mal wieder) weniger Komposition als vielmehr Sounddesign. Schlagwerk und Bass scheppern und wummern derart, dass man kaum noch weiß, was Instrument ist und was Geräuschkulisse. Nicht, weil jemand beim Mischen und Mastern schlechte Arbeit gemacht hat, sondern weil sich so das Gefühl von Batmans Heimat, Gotham City, am besten vermitteln lässt. Im Chaos dieser Stadt gibt es nur eine Konstante, an der sich die Zuhörer festhalten können: Drei Töne aus Bruckners 8., die Ordnung in das Chaos bringen, so wie Batman es in Gotham versucht.
Zimmer wird immer wieder vorgeworfen, bei anderen abgeschrieben zu haben - er selbst bestreitet das auch nicht. "Ich schaue mal hierhin, dann klaue ich dort etwas", sagte er in einem Interview 2022. Vor allem von einem Künstler kopiert Hans Zimmer immer wieder: sich selbst. Die folgenden Stücke aus den Soundtracks von "12 years a slave", "Inception" und "Pearl Harbor" basieren alle auf einem Motiv aus "Thin Red Line".
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Main Theme - The Thin Red Line [Hans Zimmer]
Ein noch bekannteres Beispiel dafür sind wohl die Soundtracks zu „Gladiator“ und „Fluch der Karibik“. Die ähneln sich teils so sehr, dass die Netz-Diskussion dazu wohl immer wieder von vorne beginnen wird, weil die aufmerksamen Hörer von selbst darauf kommen.
Hans Zimmers weiß um die Macht der richtigen Instrumentation. Das gilt auch und vor allem für Filme, deren Motive aus westlicher Sicht platt gesagt „exotisch“ klingen sollen. Zimmer ist gut darin, dem westlichen Ohr fremde Klänge vertraut zu präsentieren. Deshalb legt er den Fokus bei seinen Soundtracks weniger auf Harmoniesysteme aus anderen Kulturen als vielmehr auf deren Instrumente. Ein Beispiel dafür ist der Soundtrack zu "Kung Fu Panda". In den vielen lustigen und abenteuerlichen Szenen des Films bringt uns das traditionelle chinesische Guzheng, eine Art Harfe, in fernöstliche Stimmung. Sobald es im Film emotional wird, treten zwei andere chinesische Instrumente zum Vorschein: Dizi (Holzblasinstrument) und Erhu (Streichinstrument). Beide sind im bekanntesten Stück aus dem „Kung Fu Panda“-Soundtrack, "Oogway Ascends", deutlich zu hören.
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Oogway Ascends
Hier spielen sich Dizi und Erhu das Leitmotiv gegenseitig zu und vereinen sich am Ende zum großen Höhepunkt des romantisierten Chinas. Wer dann immer noch nicht verstanden hat, dass wir uns im Reich der Mitte befinden, für den hat Hans Zimmer immer wieder einen Gong parat. Dass man mit musikalischen Klischees auch Oscars gewinnen kann, zeigt sich am Soundtrack zu "Dune".
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Hans Zimmer Performs the Dune Soundtrack LIVE
Hier führt uns eine einsame, klagende Frauenstimme durch die Wüste, tausendmal gehört in westlichen Darstellungen von Wüstengegenden. Worauf dieses Klischee konkret abzielt, ob zum Beispiel auf den Ruf des Muezzins oder den Gesang der Tuareg in der Sahara, ist schwer zu sagen. Damit Hans Zimmers Sound funktioniert, ist das aber auch nicht wichtig. Er weiß um die Macht dieser Stereotypen und ist sich nicht zu schade dafür, sie zu nutzen.
Hans Zimmer ist aber auch gut darin, Instrumenten außerhalb ihres gewohnten Terrains zu Glanz verhelfen. Bei seinem Durchbruch in “Rainman” verlässt sich Zimmer neben dem Synthesizer vor allem auf eine Steeldrum. Im Sinne des Klischees würde man dieses Instrument eher auf einer Südseeinsel mit Palmen und Kokosnüssen verorten. Doch Zimmer schafft es, der Steeldrum einen neuen Anstrich zu verpassen. Sie verleiht dem Soundtrack etwas ruhiges und nachdenkliches, eine Soundkulisse, die zum autistischen und inselbegabten Filmcharakter Raymond passt. Ein neueres Beispiel für die "Neuinterpretation" von Instrumenten ist der Soundtrack zu "Interstellar". Hier wird das Leitmotiv von einer Orgel gespielt. Orientiert man sich an Klischees gehört die Orgel in Filme über die Kirche und den Glauben, oder vielleicht noch in ein europäisches Mittelalter-Epos. Hans Zimmer befreit die Orgel von ihrem sakralen Gewand und schickt sie ins Weltall. Hier vermittelt das imposante Instrument perfekt das Gefühl des Unendlichen, vor allem aber des Unbegreiflichen, das dem Weltraum anhaftet. Bei Orgeln kommt hinzu, das jeden einzelne im Klang viel deutlicher von der andere unterscheidet, als das bei anderen Instrumenten der Fall ist. Mit einer anderen Orgel hätte der Soundtrack vielleicht nicht funktioniert. Umso beeindruckender also, dass er es tut.
Zimmer tauscht Komplexität ein für Effektivität. Das ist gerade für klassikaffine Filmmusikliebhaber ein großer Kritikpunkt. Wenn Hans Zimmer Musik für eine Action-Sequenz schreibt, dann kriegt man die Action auch direkt unter die Nase gerieben. Wenn es um Liebe gehen soll, dann klingt sie herzzerreißend wie möglich. Keine häufig wechselnden Motive, die den Zuhörer immer wieder überraschen. Keine Zwischentöne, die uns ab und zu die Wahl lassen, was wir fühlen sollen. Und wenn Hans Zimmer mal die Tonart während eines Themas wechselt, dann macht er das oft im Stile einer Popband: Die letzte Wiederholung des Refrains wird einfach einen Halbton höher wiederholt, um noch das letzte bisschen Wirkung aus der bereits bekannten Melodie herauszuquetschen. Dieser Prinzip lässt sich gut am Liebesthema aus "Fluch der Karibik 3" veranschaulichen.
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Will & Elizabeth Love Theme | Pirates of the Caribbean
In dieser Zusammenstellung des Themas beginnt die Reise wieder mit einer simplen Melodie, der nach und nach Schlagwerk, Bass und Streicher unter die Arme greifen. Und damit wir nicht vergessen, dass das immer noch ein Piratenfilm ist, fiedelt immer wieder etwas dazwischen, das man als “Drunken Violin” bezeichnen könnte. Hans Zimmers hat es perfektioniert, die Musik dem Film auf den Leib zu schneidern. Was wir hier hören und vor allem fühlen sollen ist folgendes: “Das ist ein Piratenfilm, es geht auch um Liebe, diese Liebe ist dramatisch und wunderschön, aber vor allem ist es ein Piratenfilm”. Und für die Fans der “Fluch der Karibik” Reihe funktioniert das.
Die bisherigen Punkte versuchen zu erklären, warum Zimmer erfolgreich ist. Tatsächlich ist er aber mehr als nur erfolgreich. Er ist der bekannteste Filmmusikkomponist unserer Zeit. Er hat die moderne Filmmusik definiert. Seit mehr als dreißig Jahren sieht man seinem Namen jährlich im Abspann eines Blockbusters. Er hat so absurd viele Filme in seinem Portfolio, dass man sich fragen muss, wie der Mann das alles schafft. Die Antwort ist einfach: er arbeitet nicht allein. Hans Zimmers Unternehmen Remote Control Productions beschäftigt eine Vielzahl von Komponisten, die mit und vor allem für ihn arbeiten. Bekanntere Beispiele dafür sind der “Game of Thrones” - Komponist Ramin Djawadi oder Steve Jablonski, bekannt aus einigen Michael Bay Filmen. Es lässt sich also schwer sagen, wie viel von Hans Zimmers Erfolgen aus seiner eigenen Feder stammen. Dennoch zahlt alles, was Remote Control Productions macht, auf Hans Zimmers Namen ein. Er ist zu einer Marke geworden, fast schon zu einem Gütesiegel. Sein Name allein reicht aus, um große Hallen zu füllen. Aktuell tourt seine Show “The World of Hans Zimmer” durch Europa. Hans Zimmer selbst ist bei dieser Show nicht einmal anwesend. Seine Soundtracks haben so viele große Filme begleitet, dass die viele Filmfans seinen Namen kennen. Auf solchen Events ist für die meisten etwas dabei und deswegen kommen so viele Menschen zu seinen Shows.
Alle Gründe von Hans Zimmers Erfolg sind gleichzeitig Kritikpunkte, die ihm und seinem Werk immer wieder vorgehalten werden. Einige dieser Punkte könnte man aber auch unter Kritik an Filmmusik im Allgemeinen verorten. Sei es Inspiration oder Diebstahl, Hans Zimmer ist nicht der erste, der sich bei den Klassikern bedient. In John Williams Soundtrack zu "Star Wars" finden sich Ideen aus Gustav Holsts "Die Planeten", Erich Wolfgang Korngolds Soundtrack zu "Kings Row" und Tchaikovskys Violinkonzert.
Auch eigene Themen zu recyclen ist keine exklusive Idee von Hans Zimmer. John Barrys Soundtrack zu "Raise The Titanic" greift Themen aus seinem vorherigen Werk zu "Das schwarze Loch" auf. Ein moderneres Beispiel dafür ist Alan Silvestris "Ready Player One"-Thema, in dem sich Teile von "Predator" wiederfinden.
Bildquelle: picture alliance / Pacific Press Auch das Hans Zimmer für sich arbeiten lässt, ist nicht seine Erfindung. In Filmen, Büchern und in der Musik sind Ghostwriter zwar etwas, über das niemand gerne spricht, sie sind trotzdem allgegenwärtig. Auch bedeutet das nicht, das Hans Zimmer faul geworden ist. Ihm wird nachgesagt, ein Workaholic zu sein. Dennoch hat er das System um sich herum wohl so gut optimiert wie wenig andere vor ihm. Außerdem gibt es genug Künstler, die auch ohne Ghostwriter langfristig Erfolg finden. John Williams zum Beispiel soll alle seine Soundtracks selbst schreiben. Der wohl größte Kritikpunkt für viele sind seine simplen Kompositionen. Er ist weniger Musiker als Sounddesigner und versucht, ein Massenpublikum zu bedienen. Musik ist im Film eben ein Werkzeug, sie soll Emotionen verstärken, Situation intensivieren. Da sollte es nur logisch sein, dass das so simpel und brachial wie möglich passiert, um wirklich alle im Kino abzuholen. Damit täte man vielen Kolleginnen und Kollegen von Zimmer aber unrecht. Auch John Williams Soundtrack zu Star Wars hat die Massen abgeholt, trotz anspruchsvollerer Komposition.
Kritik hin oder her, sein Erfolg ist nicht zu bestreiten. Er hat wahrscheinlich Millionen Menschen dazu gebracht, sich mit Filmmusik auseinanderzusetzen und mit seinen simplen, aber teils wunderschönen Melodien die Herzen vieler Menschen bewegt. Ich persönlich weiß spätestens seit diesem Artikel um die oft fast poppige Machart seiner Soundtracks und dennoch: Wenn Batman am Ende von “The Dark Knight” in die Nacht verschwindet und dazu drei Töne aus Bruckners Achter in meinen Ohren dröhnen, gewinnt der Fan in mir gegen den Kritiker.