Der perfekte Auftakt zum Johann-Strauss-Gedenkjahr 2025: Im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins dirigierte Riccardo Muti das traditionelle Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Erstmals kam auch eine Komponistin zu Neujahrskonzert-Ehren.
Bildquelle: Dieter Nagl für die Wiener Philharmoniker
Charmant ist er auf jeden Fall, melodisch, von heiterem Schwung. Mag sein, dass dieser "Ferdinandus-Walzer" op. 10 nicht auch noch außerordentlich originell klingt – aber wer dürfte das von einer noch nicht einmal 13-jährigen Tonschöpferin erwarten? Das trifft auch keineswegs lückenlos auf alle Werke von Vater und Sohn Strauß zu. Jedenfalls fand Johann der Ältere das Werk der jungen Constanze Geiger seinerzeit, im Jahr 1848, uraufführungswürdig.
177 Jahre später kam nun die Frühbegabte als erste Komponistin überhaupt zu Neujahrskonzert-Ehren. Der Walzerkette in einer symphonischen Einleitung einen roten Teppich auszurollen, war damals noch nicht allgemein üblich, aber Constanze Geiger hätte sich keine feinsinnigeren Interpreten wünschen können als Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker für die spielerisch leichte, aber ausdrucksvolle Anmut ihres Werks. Wolfgang Dörner hat dem Walzer dafür eine besonders farbige, mit Fagott- und anderen Bläsersoli angereicherte Instrumentierung angedeihen lassen. Sie tut des Guten fast zu viel – aber bereitet Vergnügen.
Vergnügen: Damit verbindet man den 1. Januar im Wiener Musikverein wohl in erster Linie. Trügt dieser Eindruck? Vielleicht ist es ja in Wirklichkeit immer so und man vergisst es nur von Jahr zu Jahr: dass nämlich gerade bei diesem Anlass, im blumengeschmückten Fest- und Frohsinnsambiente des Goldenen Saales, desto klarer zutage tritt, mit welcher Vorliebe das nicht minder goldene "Wienerherz" – das meist nur dann ironisch beschworen wird, wenn es um den Grant geht, den es dann und wann in die Glieder pumpt – auch den Edelrost der Melancholie ansetzt. Dazu reichen schon, um im Bild zu bleiben, die paar Prozentbruchteile etwa von Kupfer, die dem reinen Gold beigemischt sind, um es zu festigen.
Das Neujahrskonzert 2025, zum ehrenvollen siebenten Mal geleitet von Riccardo Muti, kehrte das auf besonders bewegende Weise hervor. Mit ihm verbinden die Philharmoniker eine ganz spezielle Beziehung, seit über einem halben Jahrhundert arbeiten sie zusammen – und das Orchester hat Muti zu so etwas wie den Hüter seiner Tradition gemacht. Schon von der Werkauswahl her, aber genauso auch durch die gemeinsame Interpretation, feierte man diesmal, im Verein mit der unverbrüchlichen Schönheit der Werke der Strauß-Dynastie, auch diesen Hauch von Schwermut, diese Ahnung der Vergänglichkeit, diesen Kuss der Morbidezza, der dieser großen Musik ihre Tiefe verleiht.
2025 ist Strauss-Jahr! Vor allem in Wien wird der 200. Geburtstag des Walzerkönigs Johann Strauß Sohn groß gefeiert – unter anderem mit einer Ausstellung im Theatermuseum in Wien.
Das traditionelle Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins | Bildquelle: Dieter Nagl für die Wiener Philharmoniker
Anlass dazu bot sich also reichlich. Schon der eröffnende "Freiheits-Marsch", das einzige Werk von Vater Strauß im Programm, passte perfekt mit seiner keineswegs überschäumenden, sondern eher vorsichtigen Feier der 1848er-Revolution, die dann ja prompt scheitern sollte. Das dadurch peinliche, ja womöglich lebensgefährliche Stück wurde schnell aus dem Verkehr gezogen. Heute taugt es als Erinnerung, dass für Freiheit womöglich ein hoher Preis zu bezahlen ist.
Vor allem und naturgemäß schwang der Wehmutskontrapunkt freilich in den großen Walzern mit. Am merkwürdigsten, aufwühlendsten ereignete sich das gewiss in den "Transactionen" des genialisch-kühnen Josef Strauß: Auf welch gefährlich verschlungenen Pfaden durch düstere Moll-Gefilde sich die Musik da immer wieder bewegt, melodisch-harmonisch mehrfach am Abgrund – und nie ist der nächste Schritt sicher!
Doch schon Josefs pastorale "Dorfschwalben aus Österreich" im ersten Teil waren keineswegs nur Tummelplatz für die gezwitscherten Liebesgrüße aus den philharmonischen Volieren und die mal frech, mal treuherzig, aber jedenfalls ausdrucksvoll dudelnden Klarinetten. Was Muti da bald mit breit ausgesungener Melodie versprach, löste er später ein, indem er sich noch mehr Zeit nahm und gleichsam eine entrückte Insel der Seligen inszenierte – oder sagen wir: eine Gartenlaube, die durch traute Zweisamkeit zur ganzen Welt wird. Doch das Timing stimmte, der Bogen wurde keineswegs überspannt.
Das galt nicht minder für die "Accellerationen" von Johann Strauss Sohn. Die titelgebenden Beschleunigungen dieses Walzers buchstabierte Muti keineswegs plakativ aus, sondern beherzigte im Gegenzug die alte Regel, dass jede Temposteigerung auch mit größerer Ruhe anderswo ausbalanciert werden muss. Mit Johanns "Lagunen-Walzer" durfte man dann gleichsam eine Nacht in Venedig verbringen: Da glitzerte nicht nur das Mondlicht auf des Meeres Wellen, sondern da ließ Muti von Anfang an auch eine Abschiedsbrise wehen, die jede kosende Wendung, jedes motivische Zusammenspiel von Melodie, Gegenstimme und Bass noch kostbarer werden ließ.
Abseits der großen Walzer fügte sich auch die Ouvertüre zum "Zigeunerbaron" in diese immer von etwas Trauer umflorten Seelen-und Stimmungsbilder. Statt Carlos Kleibers rhetorisch aufgeladenen, suggestiven Mini-Dramen von Phrase zu Phrase entwirft Muti hier eine groß angelegte Epik. Und siehe da, das trifft sich aufs Schönste mit italienischer Oper: Mehrfach fühlt man sich in Verdi'sche Düsternis versetzt – und versteht, dass in der Puszta dieselbe unerklärliche Macht des Schicksals walten kann wie in Spanien oder Italien.
"Wein, Weib und Gesang" war da offizielles Schlussstück und zugleich ein weiterer Höhepunkt. Sowohl Richard Wagner als auch Johannes Brahms, die Galionsfiguren der verfeindeten Parteien in der Musik des 19. Jahrhunderts, haben in ihrer gemeinsamen Verehrung für Johann Strauß gerade diesen Walzer ganz besonders bewundert. Wirklich glaubt man sich in den imperialen Märschen der Einleitung vorübergehend in die "Akademische Festouvertüre" sowie zumindest in die Nähe des Sängerkrieges auf Wartburg versetzt. Und dann – ja, dann kostet Muti mit den Philharmonikern die Grazie und den Elan dieser Ringstraßenpalais-Herrlichkeit voll aus. Mit der berühmten Träne im Knopfloch. Apropos Ringstraße: Mit der nur sehr dezent gewaltsam anmutenden "Demolirer-Polka" erinnerte man die 1857 ergangene Anordnung Kaiser Franz Josephs, die alten Befestigungsanlagen abzureißen: Erst dadurch wurde der Prachtboulevard rund um die Innere Stadt möglich.
Johann-Strauss-Jahr 2025: Die zündenden Einfälle des Walzerkönigs
Bei aller Wehmut: Aufs Schmäh führen, wie man hierzulande sagt, versteht sich Muti nicht minder – und zwar mehr als die meisten seiner Kollegen, die die Philharmoniker in den letzten Jahren ans Neujahrskonzert-Pult gebeten haben. Energiegeladen, luftsprungtauglich, mit ironisch-grimmiger Miene beim fast nur mit Blicken geleiteten Radetzkymarsch (ohne "Einschlagen" der kleinen Trommel), das beim Klatschen notorisch schleppende Publikum mit blitzenden Augen antreibend. "Pace, fratellanza e amore in tutto il mondo" hatte Riccardo Muti vor dem "Donauwalzer" das Urbi et orbi der Klassik formuliert: Frieden, Brüderlichkeit und Liebe auf der ganzen Welt. Sein Wort in Gottes Ohr.
2026 dirigiert erstmals Yannick Nézet-Séguin das Neujahrskonzert: Ihn haben die Philharmoniker 2010 bei der Mozartwoche in Salzburg kennengelernt und mit ihm zuletzt im vergangenen Sommer bei den Festspielen zusammengearbeitet. Bei den gemeinsamen Salzburger "Così"- und "Zauberflöten"-Erfahrungen scheint zu Joana Mallwitz keine brennende (oder zumindest mehrheitsfähige) philharmonische Liebe aufgekommen zu sein. Mirga Gražinytė-Tyla, die im Sommer Weinbergs "Idioten" geleitet hat, wurde hingegen bereits zu einem Abonnementkonzert eingeladen. Falls sich diese eben erst begonnene Beziehung ebenso günstig entwickeln sollte wie jene zu Nézet-Séguin, dann wäre sie eine aussichtsreiche Kandidatin als erste Frau am Pult des Neujahrskonzerts. Rechnet man die Wartezeiten ihrer männlichen Vorgänger wie Gustavo Dudamel und Andris Nelsons ein, könnte es schon im Jahr 2034 so weit sein. Zur Musik gehört eben ein langer Atem.
Sendung: "Allegro" am 02. Januar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 02.Januar, 12:29 Uhr
Barboncino
2025
Muti, der Magier am Pult, hat nicht zum ersten Mal mit "seinen" Philharmonikern den ersten Tag des Jahres zu einem besonderen Erlebnis gemacht.Er hätte es verdient,jedes der folgenden Neujahrskonzerte zu dirigieren,zumal er auch nicht mehr der Jüngste ist.Bei aller Hochschätzung verstehe ich nicht, weshalb er den Radetzkymarsch nicht mit der kleinen Trommel einschlagen lässt.Ist ihm das zu militärisch oder will er gar an die schlimmen Zeiten der italienischen Befreiungskriege gegen die Österreicher nicht erinnern ? Wie dem auch sei, der im 84. Lebensjahr stehende Muti hat noch Schwung und Elan, an denen sich manche jüngere Dirigenten, die zuweilen wie ein Hampelmann agieren, ein Beispiel nehmen können.