London, 18. Januar 1893. Die Messe in D von Ethel Smyth wird uraufgeführt. Die Komponistin Ethel Smyth ist eine Frau, die ihren Kollegen gegenüber kein Blatt vor den Mund nimmt, eines der ersten Damenfahrräder besitzt und auf traditionelle Familienmodelle pfeift. Doch ein Aufenthalt in München hat sie in die Welt der Religion eingeführt. Und so ist eines ihrer bekanntesten Werke entstanden.
Bildquelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Das Kalenderblatt zum Anhören
Nach ihrem Studium in Leipzig ist Ethel Smyth mit Deutschland schon bestens vertraut, bezeichnet es als ihre künstlerische Heimat – und nach München ist sie gekommen, um mit Hermann Levi zusammenzuarbeiten, der zu der Zeit Generalmusikdirektor am Hof- und Nationaltheater ist. Von München ist Ethel Smyth direkt begeistert. Von der Architektur der alpinen Häuser, wie sie es in ihren Memoiren festhält. Von der Mischung aus Stadt- und Landbevölkerung. Und die frisch gurgelnde Isar hat es der jungen naturliebenden Komponistin auch angetan. Doch am nachhaltigsten beeindruckt ist Ethel Smyth von dieser "selbstverständlich gelebten Religiosität" der Menschen, wie sie schreibt. Bald lernt sie in der Opernloge ihre Freundin Pauline kennen, deren religiöse Büchertipps Ethel wissbegierig verschlingt. Und später wird sie feststellen: "In keinem Abschnitt meines Lebens fühlte ich mich vernünftiger, weiser und der Wahrheit näher".
Der neu gewonnene Glaube begleitet sie nach ihrer Zeit in München auch in ihre alte Heimat. Er leistet ihr Gesellschaft, als sowohl ihre Mutter als auch ihre alte Freundin Lisl sterben. All die Trauer und ihr Glaube fließen in ihre Musik, an der sie gerade schreibt: ihre Messe in D.
Und ihre Komposition findet Unterstützerinnen. Unter anderem keine Geringere als Kaiserin Eugénie, Freundin, Förderin und Nachbarin von Ethel Smyth in England. Den Direktor der Königlichen Chorgesellschaft will sie überzeugen, die Messe der noch recht unbekannten Ethel Smyth aufs Programm der Royal Albert Hall zu setzen. Dafür kündigt sie ihre Anwesenheit beim Konzert an – eine Besonderheit, immerhin ist Königin Eugénie seit ihrer Flucht aus Frankreich als letzte Monarchin nicht mehr öffentlich aufgetreten. Der Direktor willigt ein – und Ethel Smyth kann dank der Prominenz im Publikum die Royal Albert Hall bespielen und dafür tolle Sängerinnen und Sänger engagieren.
Die Messe stößt auf Begeisterung – zumindest beim neugierigen Publikum, und auch beim großen Schriftsteller George Bernard Shaw. Viele Musikkritiker zerreißen ihr Werk hingegen in der Luft: "manche verächtlich, manche mit totaler Ablehnung und alle in einem gönnerhaften Ton, der am schwersten zu ertragen war", wie sie in ihren Memoiren "Paukenschläge aus dem Paradies" schreibt. Eine Reaktion, die ihr schon bekannt ist. Immer wieder muss sie sich als komponierende Frau in der Männerwelt behaupten. Doch, sich unterkriegen lassen, ist nicht ihr Stil. Sie bezeichnet ihre Messe als ihr bestes musikalisches Werk. Aber seltsam: Sobald sie die Messe beendet hat, verlässt sie ihr tiefer Glaube und kehrt in der Form auch nicht mehr zurück.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Smyth: Mass in D | SO & GC | CM Berlin
Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 12:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 18. Januar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)