Berlin, 10. April 1829. Felix Mendelssohn ist 20 Jahre alt, als er zu einer England-Reise aufbricht. Seine Schwester Fanny freut das überhaupt nicht, denn es ist das erst Mal, dass die beiden Geschwister für längere Zeit getrennt sein werden.
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Es ist vier Uhr in der Frühe an jenem Tag. Fanny Mendelssohn ist hellwach. Heute ist der Tag des Abschieds. Sie weckt ihren Bruder Felix und hilft ihm beim Anziehen. Er ist zwar schon 20 Jahre alt und könnte das selbstverständlich allein, aber Fanny will ihm noch einmal nah sein. Sie bürstet Felix die Locken. Und der… strahlt eine freudige Erwartung aus, obwohl seine Augenlider vor lauter Müdigkeit noch schlapp herunterhängen. Fanny klagt: "Dieses Jahr wird einen wichtigen Abschnitt in unserem Familienleben bilden. Felix, unsere Seele, geht fort."
Felix Mendelssohn Bartholdy darf an diesem Apriltag in die Welt hinaus, sich weiterbilden und er soll seine Karriere im Ausland anschieben, weil in Berlin das Kulturleben stagniert. Fanny hingegen bleibt zuhause. Sie ist "nur" eine Frau, die Zeit der Wunderkind-Lorbeeren sind vorbei. Außerdem ist sie verlobt. Vor gerade mal vier Wochen hatten sie ein tiefes und berührendes gemeinsames Erlebnis: sie haben die "Matthäus-Passion" von Johann Sebastian Bach aufgeführt, Fanny hat im Alt mitgesungen, Felix hat dirigiert. Zum ersten Mal nach über 100 Jahren war das Werk wieder zu hören.
Nun steht den Geschwistern die erste große Trennung bevor. Als die Droschke beladen ist und der Kutscher das Signal gibt, steht Fanny noch eine ganze Weile in der Leipziger Straße und winkt. Später äußert sie sich: "Mir ist das Herz so voll, dass ich nicht werde schreiben können und doch schreiben muss. Es ist schwer. Sehr schwer."
Fanny leidet seelisch und physisch. Immer wieder betrachtet sie das Portrait von Felix, das Bräutigam Wilhelm Hensel gemalt hat. Als Felix nach Wochen endlich eine neue Komposition nachhause schickt, ist sie überglücklich. "Hora est" heißt das Chorwerk. Fanny spielt es am Klavier und fühlt sich dem Bruder endlich wieder tief verbunden: "Stehe vom Klavier auf, trete vor dein Bild und küsse es. Und vertiefe mich so ganz in deine Gegenwart, dass ich, mir nun schreiben muss, aber mir ist unendlich wohl, und ich habe dich unendlich lieb. Unendlich lieb."
Rund drei Jahre dauert Felix' Bildungsreise durch Europa. In dieser Zeit heiratet Schwester Fanny und bekommt Sohn Sebastian Ludwig Felix. Auch wenn ihr der Bruder fehlt, setzt sie ihre eigene künstlerische Arbeit fort. Am Tag von Felix Abreise vertont Fanny eine Gedichtsammlung der sie den Titel "Liederkreis" gibt – und folgende Widmung einfügt: "An Felix, während seiner ersten Abwesenheit in England 1829".
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Felix Mendelssohn Bartholdy "Hora est" MWV B 18 | Kay Johannsen
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Sendung: "Allegro" am 10. April 2025 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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