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Bud Powell wird geboren Leuchtender Stern am Jazzklavier-Himmel

New York, 27. September 1924: Der Pianist Bud Powell wird geboren. Er spielte atemberaubend rasant und klar. Sein Leben war kurz und voller Tragik – doch er ist noch immer eine Ikone des modernen Stils "Bebop" – wie Saxophonist Charlie Parker und Trompeter Dizzy Gillespie.

CD-Cover Bud Powell | Bildquelle: BlueNote

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Verblüffend schnell, verwirrend sprunghaft – und doch so klar in der klanglichen Beherrschung des Instruments: Dieser Pianist spielte, wie es vor ihm keiner tat. Ein enormes Tempo hatten seine Tonfolgen der rechten Hand, von blitzender Prägnanz waren seine Improvisationen. Damit setzte er Maßstäbe für das moderne Klavierspiel im Jazz – und wird noch heute von Nachfahren uneingeschränkt bewundert.

Kurzes Leben, lange Leuchtspur

Bud nannten ihn alle, obwohl er eigentlich Earl hieß. Bud: Drei Buchstaben, eine unverkennbare Marke. Der Spitzname soll auf Powells jüngeren Bruder Richie zurückgehen, der als Kind das Wort "Brother" nicht aussprechen konnte und etwas sagte, das wie "Bud" klang. Earl Rudolph "Bud" Powell zog in einem kurzen Leben eine immens lange Leuchtspur am Horizont des Jazz. Seine Karriere dauerte ein Vierteljahrhundert. Powell starb mit 41 Jahren. Die kurze Spanne genügte, um weit über das eigene Jahrhundert hinaus zu strahlen – als überragender Pianist. Und auch als Autor zeitlos schöner Jazzkompositionen wie etwa dem Instrumentalstück "Parisian Thoroughfare", das er 1951 erstmals aufnahm und das von dem 30er-Jahre-Song "Between the Devil and the Deep Blue Sea" inspiriert war.

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Parisian Thoroughfare | Bildquelle: Bud Powell - Topic (via YouTube)

Parisian Thoroughfare

Mit 15 Jahren Profimusiker

1924 wird Earl Rudolph Powell im New Yorker Stadtteil Harlem geboren. Sein Großvater ist Flamenco-Gitarrist, sein Vater Jazzpianist, der Sohn erhält mit fünf Jahren Klavierunterricht, bald kommt auch Kirchenorgel dazu. Mit zehn hört Bud begeistert Swing-Musik und spielt Broadway-Songs auf dem Klavier nach. Mit 15 wird er Profimusiker. Mit 18 ist er schon in der Big Band des berühmten Trompeters Cootie Williams. Dann lernt er den Kollegen Thelonious Monk kennen. Der nimmt ihn mit in einen New Yorker Club namens "Minton's Playhouse", wo junge Gipfelstürmer des Jazz gerade den neuen, verrückt-ruppig-wilden Stil "Bebop" entwickeln. Und Bud Powell, das junge Tasten-Mega-Talent, wird – wie Saxophonist Charlie Parker und Trompeter Dizzy Gillespie – zu einer Ikone dieses Stils. Earl "Bud" Powell: ein Fixstern des Jazz.

Elektroschocks nach psychischen Zusammenbrüchen

Bud Powell war ein Musiker, in dessen Leben sich Glanz und Tragik so hektisch abwechselten wie in dem damals neuen Jazz der 1940er Jahre die Töne. Einen "Stillen" nannten ihn viele. Der in sich gekehrte Charakter hatte schon früh mit einer schweren psychischen Krankheit zu kämpfen. Von Mitte zwanzig an immer wieder Klinik-Aufenthalte, Elektroschock-Behandlungen, die ihm schwer zusetzen. Er wird wegen Drogen- und Alkoholmissbrauchs festgenommen, hat Karriere-Einbrüche, es gelingen ihm aber immer wieder Comebacks. Die Schönheit seiner Musik zeigt sich nicht zuletzt in Aufnahmen, die 1950 und 1951 in Los Angeles kurz vor einem schweren psychischen Zusammenbruch entstanden und auf dem Label "Verve" unter dem Titel "The Genius of Bud Powell" veröffentlicht wurden; es sind Trio-Aufnahmen mit Powell und Bassist Ray Brown sowie Schlagzeuger Buddy Rich und Solo-Aufnahmen, die kurz und schnörkellos sind und in jeweils wenigen Minuten Dauer ungemein viel Substanz offenbaren.

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Bud P̲o̲w̲e̲l̲l – T̲h̲e̲ G̲e̲n̲i̲u̲s̲ Of B̲u̲d̲ P̲o̲w̲e̲l̲l ̲(1̲9̲5̲0̲-̲5̲1̲)̲ | Bildquelle: diegodobini2 (via YouTube)

Bud P̲o̲w̲e̲l̲l – T̲h̲e̲ G̲e̲n̲i̲u̲s̲ Of B̲u̲d̲ P̲o̲w̲e̲l̲l ̲(1̲9̲5̲0̲-̲5̲1̲)̲

Der jüngere Bruder verunglückt, Bud geht nach Paris

Mit 30 ist Bud Powell ein Wrack, Drogen tun das Übrige. Es folgen Schicksalsschläge wie der Tod seines jüngeren Bruders Richie 1956 bei einem Autounfall, bei dem auch Richies Frau Nancy und der große junge Trompeter Clifford Brown ums Leben kommen – Richie Powell wurde nur 24 Jahre alt, Clifford Brown 25. Bud Powell schöpft neue Hoffnung, als er Ende der Fünfziger nach Paris geht, in Europa große Erfolge feiert und dort mit deutlich weniger Rassismus konfrontiert wird. Doch als er 1964 wieder in die USA reist, fällt er in die Hände von Dealern und verwahrlost einsam in Brooklyn. 1966 wird er wegen Lungenentzündung und Gelbsucht ins Krankenhaus eingeliefert – und stirbt wenige Tage später.

Ein großer Spielfilm als Denkmal

Bertrand Taverniers großer Jazzfilm "Round Midnight" ("Um Mitternacht"), benannt nach einem Stück des Kollegen Thelonious Monk, setzte Bud Powell zwanzig Jahre später ein Denkmal – in einer Kunstfigur, die nicht Pianist, sondern Saxophonist ist, deren Geschichte aber stark am Lebenslauf Bud Powells orientiert ist. "Round Midnight" ist nicht zuletzt aufgrund der authentischen Schilderungen des Autors Francis Paudras einer der zeitlos besten Spielfilme über Jazz: Paudras hatte sich in Paris mit Bud Powell angefreundet, sich um ihn gekümmert – seine Erinnerungen flossen in den Film ein.

Bill Evans hörte bei ihm schiere Vollkommenheit

Der große Einfluss Bud Powells auf andere große Musiker ist in vielen bewegenden Aussprüchen berühmter Jazzer dokumentiert. Der bedeutende Pianist Bill Evans, der von den späten 1950er Jahren an den modernen Jazz wesentlich prägte, sagte über Powell: "Von allen Musikern, die ich je geliebt habe, hat mich Bud am meisten beeinflusst. Er war so ausdrucksstark, solche Emotionen strömten aus ihm heraus! Es gibt die leichte, oberflächliche Art, und es gibt eine andere Art, die einen weder zum Lachen noch zum Weinen bringt, bei der man nichts anderes empfindet als ein Gefühl von schierer Vollkommenheit. Das habe ich bei Bud empfunden."

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rare! Bud Powell / All God's Children Got Rhythm | Bildquelle: Kay (via YouTube)

rare! Bud Powell / All God's Children Got Rhythm

Emotion und Intellekt In einzigartiger Kombination

Mit seiner vollkommenen Beherrschung des Klaviers in Improvisationen, deren Kennzeichen vor allem ein wirbelnd-rasanter und gestochen scharfer Einsatz der rechten Hand in dichten und bestechend komplexen Improvisationen sind, beeinflusste Bud Powell große spätere Jazzpianisten von Bill Evans bis Herbie Hancock und Keith Jarrett. BR-Autor Marcus A. Woelfle hat Stimmen vieler Jazzmusiker zusammengetragen, die sich über Powell äußern. Dazu zählt auch der exzellente Münchner Pianist Claus Raible. Raible hebt in einer zupackenden Analyse der Live-Aufnahme des Stücks "All God’s Chillun Got Rhythm" aus dem Jahr 1949 folgende wesentliche Stilzüge bei Bud Powell hervor: "Er vereint hier in einzigartiger Weise zwei zunächst gegenseitige Pole, nämlich Emotion und Intellekt: Auf der einen Seite weist sein Spiel diese wilde, eruptive, fast dämonische Komponente auf. Andererseits aber hat Bud zu jeder Zeit die absolute Kontrolle und ein unfehlbares Timing. Dabei sind seine improvisierten Linien von höchster harmonischer Finesse und von übersprudelndem Einfallsreichtum. Nichts passiert zufällig, jede Note sitzt. Hier erfahren wir eine Tonsprache in Vollendung."

Glanz in der Kunst, Scheitern am Leben

Bud Powell: ein Musiker, der Töne in fesselnder Konzentration und irrwitzigem Tempo bündeln konnte und zu einem musikalischen Ausdruck von immenser Intensität fand – und ein Mensch, der allzu früh an den Herausforderungen des Lebens scheiterte. Ein kurzes, tragisches Leben voller Einbrüche und großem Leiden – und eine Musik, die auch hundert Jahre nach der Geburt ihres Urhebers noch leuchtet und strahlt.

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 12:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 27. September 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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