Kein Orchester ist älter. Naja, fast zumindest. Fünf Jahrhunderte hat das Bayerische Staatsorchester jetzt auf dem Buckel. Gefeiert wird mit einer Europa-Tournee – unter anderem in Hamburg und Berlin. Und wir waren dabei.
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Hamburg leuchtet an diesem Sonntagabend: Der Hafen schimmert blau, die Krahn- und Schiffssilhouetten und auch das Dach der Elbphilharmonie. Eine Referenz an die Gäste aus dem Süden? Wohl eher nicht. Auch wenn das Programmheft ein ähnliches Bild malt. Auf dem Cover: die Umrisse der Elphi, innen verziert mit der bayerischen Raute, weiß und blau wie eine Krepptischdecke im Wiesnzelt.
Unübersehbar – hier spielt das Bayerische Staatsorchester. Und wem das immer noch unklar ist, dem hilft das Programm auf die Sprünge. Gespielt wird unter anderem die Alpensinfonie. Mehr Bayern geht nicht. Findet auch Claudia Roth. Und dass diese symphonische Wanderung von Strauss "top aktuell" ist, schließlich geht es darin doch um unser Verhältnis zur Natur. Die Kulturstaatsministerin hält eine kleine, engagierte Ansprache vor dem zweiten Konzert in Berlin. Und auch sie lässt die Bayerin raushängen. Vor allem freue sie sich auf die Kuhglocken, die in der Alpensinfonie zum Einsatz kämen. "Ich komme aus dem Allgäu. Ich weiß, wovon ich rede." Na dann.
Ich komme aus dem Allgäu. Ich weiß, wovon ich rede.
Auf sensiblere Gemüter könnte das vielleicht verstörend wirken, wie die Fortsetzung von Gillamoos mit anderen Mitteln. Tut es aber nicht. Denn zur Wahrheit gehört ja auch: Folklore ist das alles nicht. Strauss ist Teil der DNA dieses Orchesters. Sogar zusammen aufgenommen hat man die Alpensinfonie. Wenn also etwas auf die musikalische Visitenkarte gehört zum großen Jubiläum, dann dieses Stück.
Und auch die bajuwarisierte Elphi auf dem Programmheft ist bei näherem Hinsehen dann doch recht dezent, nicht größer als ein Daumennagel. Bayerisch breitbeinig ist man hier also nicht unterwegs.
Breitbeinig würde auch gar nicht passen zum Chef des Staatsorchesters. Man trifft ihn in den Eingeweiden der Elphilharmonie. In seiner weißen Hose und dem mintfarbenen Polohemd erinnert Vladimir Jurowski ein bisschen an einen Golflehrer. Dazu kommt eine wirklich einnehmende, irgendwie strahlende Freundlichkeit. Der Chef ist sympathisch. Und unkompliziert ist er auch. Die Anspielprobe ist gerade vorbei. Jurowski macht noch schnell eine Konzertmoderation für Instagram, danach ruft er kurz bei der Tochter durch, die kommt schließlich extra aus Berlin, um dem Papa zuzuschauen. Und dann ist er startklar.
Ein ausführliches Dossier zum Thema "500 Jahre Bayerisches Staatsorchester" finden Sie hier.
Seit zwei Jahren ist Jurowski jetzt Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper. Die Europatournee zum 500. Jubiläum ist seine erste große Tournee mit dem Orchester. Man nähere sich langsam an, sagt er. Auch wenn noch ein Weg zu gehen sei, das Vertrauen sei gewachsen in den letzten Monaten. Und Vertrauen sei nötig, schließlich sei Musikmachen ein Geben und Nehmen, so Jurowski. "Der Klangkörper antwortet auf bestimmte Impulse. Und man muss als Impulsgeber auch lernen, wie viel man geben muss, um einen bestimmten Klang, ein bestimmtes Resultat zu erzielen. Das ist bei jedem Orchester unterschiedlich."
Es ist einfach mehr Vertrauen da.
Von den "Blitzschnellen" und den "Langsameren" spricht Jurowski, meint damit, wie rasch ein Orchester anspricht auf das, was er als Dirigent vorgibt. Das klingt so als wäre die Sache eindeutig: die einen laufen, die anderen lahmen. Klar, wo man lieber am Pult steht. Doch so klar ist das dann doch nicht. Jurowski versucht es mit einer Analogie: "Ich vergleiche sie [die Orchester] auch gerne mit Verstärkern. Wenn Sie einen modernen, digitalen Verstärker anmachen – Klick! – dann arbeitet er so wie er arbeiten soll, aber er gibt auch nichts mehr dazu. Und dann gibt es diese alten Lampenverstärker, die ungefähr eine halbe Stunde brauchen, bis sie warmwerden und erst dann kommt der richtige Klang."
Man ahnt, in welche Kategorie er die "alte Dame" Staatsorchester stecken würde: das Analoggerät, das ein bisschen Anlauf braucht, dann aber leuchtet, wie es kein Digitalgerät kann. Womit wir wieder bei der Alpensinfonie wären, dieser symphonischen Tagestour, bei der schon der Sonnenaufgang so klingt, als würde eine Supernova abgehen.
Mehr Raum bekommt diese Supernova in der Berliner Philharmonie. (Genauso wie Vilde Frangs fantastisch flexibler Geigenton im Violinkonzert von Alban Berg.) Mehr Druck hat sie aber in der Elbphilharmonie. Kein ganz unproblematischer Saal, wie Jurowski vor dem Konzert sagt. Es fehle der "akustische Schutz", man müsse sich also sehr zurücknehmen. "Der Saal gibt eine sehr direkte, sachliche Information darüber, was gerade gespielt wird, aber er verschönert nichts."
Zum Glück hat das Staatsorchester solche Kosmetik auch gar nicht nötig. Im Gegenteil: Die Alpensinfonie macht in Hamburg noch mehr Spaß in Berlin. So gar nicht unterkühlt, so angriffslustig klingt das, was Jurowski mit dem Orchester veranstaltet. Allein das Frage-Antwort-Spiel mit der Kapelle hinter der Bühne hat man so auf den Punkt, so transparent noch nie gehört. Und ähnliches gilt auch für die nachtschwarzen Akkordballungen, mit denen die Gipfelbesteigung beginnt und endet. Manchmal erscheint das echte Wunder ja erst nach der Entzauberung, wenn der mystische Schleier gelüftet ist: Wie gut konnte dieser Strauss eigentlich instrumentieren!
In Hamburg – und auch einen Tag später in Berlin – darf diese Musik übrigens störungsfrei über die Bühne gehen. Dass das nicht selbstverständlich ist, hat die jüngste Vergangenheit gezeigt. Am Freitag unterbrachen Klimaaktivisten das Konzert des Staatsorchesters in Luzern. Jurowski ließ sie reden, verteidigte sie sogar gegen die Wut des Publikums: Wenn man sie weiter niederschreie, werde er gehen, verkündete er. Das wirkte wohl. Erst sprachen also die Aktivisten, dann wurde weitergespielt.
Im Netz wird er dafür gefeiert und angefeindet. Jurowski sei "maximal stabil" schrieb ein Kollege auf Twitter. Andere werfen ihm vor, er habe sich mit den Aktivistinnen gemein gemacht. "Nötigung des Publikums", auch sowas liest man. Jurowski selbst reagiert gelassen darauf. Er habe in dem Moment einfach improvisiert. Allerdings aus einer bestimmten Haltung heraus.
"Wäre es um irgendeine politische Botschaft gegangen, hätte ich sie wahrscheinlich doch von der Bühne gejagt, weil das wirklich nicht der richtige Ort ist für solche Äußerungen – schon gar nicht mitten in der Musik", erklärt Jurwoski. "Aber bei Klimaprotesten geht es letztlich um etwas, was uns alle betrifft. Und da habe ich volles Verständnis. Nicht für die Form, aber für den Inhalt."
Es gehe bei der Klimakrise schließlich um Leben und Tod, sagt Jurowski auch noch, mehrmals sogar. Und, dass er sich vorstellen könne, die Aktivisten ins Konzert einzuladen, um sie zwischen den Stücken sprechen zu lassen. Ihnen also einen Raum geben anstatt sich stören zu lassen.
Vielleicht verkennt das, wie sehr das Stören dazugehört zum Protest. Wie sehr es einzahlt auf die Aufmerksamkeit, die die Aktivisten für ihre Sache doch erzeugen wollen. Die vielen Medienberichte der letzten Tage machen das ziemlich anschaulich. Wer weiß, ob die Aktivistinnen sich also auf den Vorschlag von Jurowski einlassen würden. Sicher ist aber: Das wäre dann wirklich ein – um Claudia Roth zu zitieren – "top aktuelles" Konzert.
Sendung: "Allegro" am 12. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 17.September, 11:41 Uhr
Trappe
Dürftiger Artikel
Es ist doch interessant, wie wenig musikalisch greifbar und Inhaltliches berichtet wird, mehr die Äußerlichkeiten geschildert werden. Und der prozentual größte Anteil beruht wieder auf dem Politikum Klimaprotest. Traurig.
Ich selbst sehe diese als Rechtsbeuger an, man möchte musikalisch einen anregenden Abend verbringen dürfen. Was diese Klimamenschen äußern, interessiert nicht. Genauso bei Artikel, mehr musikalischer Sachverstand wäre wünschenswert.