Mit Standing Ovations feierte das New Yorker Publikum das Konzert der Bamberger Symphoniker unter Dirigent Jakub Hrůša mit Hélène Grimaud. Eine Tournee führte das Orchester als Kulturbotschafter Bayerns in die USA. Vorher gings nach Island.
Bildquelle: picture alliance / Evan Agostini/Invision/AP | Evan Agostini
Für die Bühnentechniker geht's schon am Abend des 17. April los. Nach dem Konzert in Fulda mit Hélène Grimaud als Pianistin des a-Moll-Klavierkonzerts von Robert Schumann heißt es: Instrumente in die Cargo-Kisten, Kisten in den LKW und noch in der Nacht ab nach Frankfurt zum Flughafen. Denn am nächsten Vormittag beginnt sie, die elftägige Tournee der Bamberger Symphoniker, mit ihrem Chefdirigenten Jakub Hrůša, dem Management, 110 Orchestermusiker:innen, zwei Medizinern und Hélène Grimaud nach Reykjavik. Ab jetzt muss alles wie ein präzises Schweizer Uhrwerk laufen. Alles muss zur rechten Zeit vollständig und heil am richtigen Ort sein. Eine logistische Meisterleistung in Planung und Durchführung – aber für ein Tournee erprobtes Orchester praktisch "Alltag". Und dennoch jedes Mal erneut: Adrenalin pur. Überall ist es zu spüren!
Das beeindruckende HARPA-Zentrum | Bildquelle: Ursula Adamski-Störmer Bei über 110 Leuten dauert der Check-in - auch das gehört zu einer Tournee. Warten, bis alle durch sind, rechtzeitig genug vor Ort sein, dann wieder warten. Für die Musiker kein Grund, sich aufzuregen. Alltag eben. Am Nachmittag ist der Bamberger Tross in Reykjavik. Erste Maßnahme für alle: Uhren umstellen. Denn in Reykjavik ist es zwei Stunden früher als in Deutschland. Und dann staunen sie alle über das direkt vor uns am Hafen liegende, gigantisch beeindruckende HARPA-Zentrum. Erster Gedanke: Unglaublich! Wenn jemand Konzertsaal kann, dann die Nordeuropäer! Ein monumentaler, architektonisch mit der geographisch besonderen Lage Islands korrespondierender Baukörper aus Glas. Er scheint, als ob zwei wuchtige Eisschollen an Land gespült worden wären und sich auf der Landzunge im Hafen von Reykjavik ineinander verkeilt hätten und liegen geblieben wären.
Ein atemberaubendes Kunstwerk des Architekten Olafur Eliasson mit insgesamt vier Veranstaltungssälen. Der größte davon ist der Konzertsaal Eldborg, zu Deutsch "Flammenburg" wegen der dunkelroten Innenausstattung. Eine Referenz an die roten Lava-Feuerkessel der auf Island allgegenwärtigen aktiven Vulkane. Grandios! Hier ist der Sitz des landeseigenen Iceland Symphony Orchestra, und nun zum ersten Mal die Bühne für die Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša und Hélène Grimaud.
Um 22 Uhr ist sie gleich am Ankunftstag vor Ort, um sich für ihr Konzert zwischen zwei Steinway Flügeln zu entscheiden. Eine sehr intensive, achtsame Session von knapp eineinhalb Stunden, in der sie Klavierbauer und Stimmer Vinzenz Schuster begleitet. Er baut Klaviaturen aus, betrachtet die Hämmer, baut sie wieder ein, beratschlagt mit ihr, was an dem Flügel ihrer Wahl noch justiert werden muss. Eine schwere Wahl für die Pianistin. Sie entscheidet sich für den neuesten, den Vinzenz Schuster am nächsten Tag rund zehn Stunden optimiert.
Die Musikerinnen und Musiker können sich akkimatisieren. Denn an diesem Tag ist noch konzertfrei. Nur nicht für alle. Zehn von ihnen geben an diesem Tag Meisterklassen für insgesamt 24 Studierende und Jungstudierende der Iceland University of Arts und des Reykjavik Junior College. Das Niveau ist hoch. Raúl Teo Arias, Sologeiger bei den 2. Violinen, Soloklarinettist Christoph Müller – zwei der Meisterklassenlehrer – sind mit der Umsetzung ihrer wichtigen gestalterischen Impulse sehr zufrieden. Und die jungen Musikerinnen und Musiker sind begeistert von der inspirierenden Atmosphäre, die sie in ihren Meisterklassen erleben. Geigen-Studentin Sara Karín und Klarinetten-Jungstudent Haukur sagen, bisher hätten sie eigentlich mehr oder weniger nur Töne gespielt. Und allein diese eine Stunde mit ihren Gastlehrern aus Bamberg habe ihnen einen ganz neuen Horizont eröffnet, Musik erlebbar zu machen. Da scheint die Saat aufzugehen.
Am Nachmittag erwartet mich zusammen mit Intendant Marcus Axt, Chefdirigent Jakub Hrůša und zwei Kolleginnen aus dem Künstlerischen Betriebsbüro der Bamberger eine spannende Fahrt zu einem Start-up, das in biologische CO2-Emmissionsbeseitigung im Meer investiert und dazu zusammen mit Wissenschaftlern in Island und USA forscht. Ein Projekt, wie geschaffen für die kombinierte Island- und USA-Tournee der Bamberger, die Reykjavik bewusst als Stopover nutzt. Wenn man die Flüge, Bustransfers, Zugreisen, den Cargotransport der Instrumente und Frackkoffer und die Truckfahrten der Instrumente von Ort zu Ort zusammenrechnet, verbraucht diese Tournee knapp über 332 Tonnen CO2. Das ist eine beachtliche Menge!
Kurz zusammengefasst wird in diesem Startup Biomasse aus dem Meer aber auch organisches Material vom Land zu kleinen Päckchen verdichtet, mit Algen geimpft und ins Meer gegeben. Innerhalb von ca. zwei bis drei Monaten bindet diese geimpfte Biomasse das an der Meeresoberfläche angereicherte CO2, sinkt auf den Meeresboden und verbleibt dort als Sediment. Der CEO führt uns durch das "Werksgelände" – eine ehemalige Fischfabrik, in der faszinierende Laboratorien, ein eher provisorisches Büro und vor allem eine große Portion Gründergeist dominieren. So ein bisschen "Garagencharakter" von Steve Jobs liegt in der Luft. In dieses Projekt investieren die Bamberger Symphoniker einen fünfstelligen Betrag, um ihren durch die für die Tournee notwendigen Flüge verursachten CO2-Fuß-Abdruck zu kompensieren. Aber wie machen sie das nun? Ich stelle die etwas provokante Frage, ob es sich in gewisser Weise nicht auch um eine moderne Form des Ablasshandels handele. Axt verneint.
Die Problematik liegt auf der Hand. Reisen gehört zur DNA eines international agierenden Orchesters. Das kann man nicht auf Null stellen. Die Reisen mit entsprechenden konkreten Projekten zu kompensieren, werden die Welt nicht retten, sagt Axt, aber solche Projekte schaffen Bewusstsein – auch beim internationalen Publikum. Die Bamberger legen Wert darauf, dass diese Projekte in den Programmheften ausführlich beschrieben und benannt werden. Sie nutzen die Rolle des Multiplikators. Das ist ihnen wichtig. Neben der Tatsache, intelligente Zukunftsforschung aktiv zu unterstützen. Wie der Zufall es wollte, hat der CEO des isländischen Unternehmens sechs Jahre lang in Bamberg gelebt, ist hier groß geworden und zur Schule gegangen.
Wir müssen die ökologische Situation und übrigens auch die politische wahrnehmen und beachten.
Die Bamberger meinen es mit der Vermeidung von CO2 auf ihrer Tournee ernst. Das wird in den USA richtig deutlich. Dort gibt es zwischen Boston – New York – Blacksburg / Virginia und Fairfax bei Washington keine Inlandsflüge. Früher wäre das selbstverständlich gewesen. Alle Distanzen werden mit dem Zug, der Subway, dem Bus oder zu Fuß absolviert. Mit einem Troß von 110 Menschen in New York mit der Subway von A nach B zu kommen – das ist ein echtes Abenteuer.
Die "Flammenburg" im HARPA in Reykjavik | Bildquelle: Ursula Adamski-Störmer Am Samstagabend ist es endlich so weit: Das erste Konzert auf der Tournee findet in dem beeindruckenden Saal Eldborg im HARPA in Reykjavik statt. Das Tourneeprogramm ist ambitioniert. Ganz im Mahlerschen Sinn gibt es nicht die heute üblichen drei Werke – Ouvertüre – Solokonzert – nach der Pause dann das sinfonische Hauptwerk. Das Programm stellt die deutsche Romantik ins Zentrum, dem Nukleus deutscher großer sinfonischer Orchesterkultur. Es wird gerahmt von Richard Wagner. Am Anfang steht die geheimnisvolle Lohengrin-Ouvertüre. Ihr folgt die 3. Sinfonie von Johannes Brahms. Erst nach der Pause erwartet das Publikum das berühmte a-Moll-Klavierkonzert von Robert Schumann. Das Konzert beschließt eine weitere Ouvertüre von Richard Wagner, die Tannhäuser-Ouvertüre. Da kann am Ende orchestral noch einmal groß und wirkmächtig "aufgefahren" werden. Die Konzeption erweist sich als ungemein stimmiger dramaturgischer Bogen, dessen Spannungsfeld Hrůša und die bestens gelaunten und motivierten Bamberger Symphoniker jeden Abend erneut mit lodernder Elektrizität aufladen. So auch gleich im HARPA-Debüt. Die Akustik wurde von demselben New Yorker Team entworfen, das auch für das berühmte KKL in Luzern veranwortlich zeichnete. Der Saal entwickelt Kraft und Modernität im Klang – hat eine ganz andere orchestrale Wirkung als das eher ein wenig analytische KKL. Und natürlich hat die Flammenburg eine ganz andere klangliche Ausrichtung als ein Saal wie die alt ehrwürdige Carnegie Hall-Legende mit ihrer umarmenden, runden Wärme, die so 100prozentig das Wesen romantischer Klangmagien auffängt und im Saal hält. Wenn sie denn auf der Bühne passieren, ist man in einer anderen Klangwelt.
Bamberger Symphoniker on Tour - USA | Bildquelle: Ursula Adamski-Störmer Hrůša ließ diese Magien auf der Bühne tanzen und sich zur vollsten Blüte entfalten. Der Abend war ein Zauber an Energie, feinst ausgehörten Melodien, heroischen Bläsern und kraftvoller und zugleich lyrisch poesievollster Intimität, die eine heausragende Hélène Grimaud aus dem Schumannschen a-Moll Klavierkonzert herauszauberte. Einen so intensiven musikalischen Dialog zwischen Dirigent und Pianistin wie in der Carnegie Hall wird man so schnell nicht wieder erleben. Es war, als ob die beiden sich als Eusebius und Florestan musikalisch umgarnten, auf den jeweiligen Impuls des anderen gespannt warteten. Die Carnegie Hall, das kann als Resumee festgehalten werden, war die Klimax der Tournee. Hier waren alle, jede einzelne Stimme der Bamberger Symphoniker, Dirigent und Pianistin noch einmal im Höchstmaß konzentriert, gespannt und lieferten das Beste. Der Lohn: Viertelstündige, nicht enden wollende Standing Ovations des New Yorker Publikums, das sich wie in einem Verzückungsrausch befand. Das war Hrůšas Ritterschlag. Sein Carnegie-Debüt war, ohne zu übertreiben, ein Triumph! Das hatten alle im Orchester und auch Hélène Grimaud ebenso empfunden. Und auch für sie ganz persönlich, die schon oft in der Hall aufgetreten ist, war dieser Abend etwas ganz Besonderes.
Zwei Tage zuvor war dasselbe Programm in der Boston Symphony Hall erklungen. Hier übernahm Pianist Lukáš Vondráček, der einen völlig anderen Ansatz bei Schumann verfolgt als Grimaud. Das Kraftvolle, das aufrauschende im Finalsatz, die Zartheit und Intimität sind bei ihm gleichermaßen da, aber er gibt der Zeichnung der Motive und melodischen Linien noch etwas Nachdrückliches, meißelt ein wenig mehr Gewicht hinein. Ein spannender Vergleich zu den Grimaud-Abenden und nicht minder fesselnd. Merkwürdigerweise war die Halle in Boston nicht so gut besucht. Immerhin waren es aber über 1.200 Menschen, die gekommen waren. Woran es lag, konnte weder der Veranstalter noch Marcus Axt erklären. Und deshalb freuten sich beide lieber über die euphorische Begeisterung derer, die gekommen waren. Auch hier – tosender Applaus und standing Ovations! Hrůša, die Bamberger und Vondráček im Glück!
Als ich mit Jakub Hrůša kurz vor der Anspielprobe des vorletzten Konzerts in Blacksburg / Virginia ein etwas längeres Interview führen konnte, frage ich ihn, wie schwer es ihm nach dem Gipfelsturm in der Carnegie Hall fiele, sich auch hier, auf diesem Campus-Gelände der Tech-University Virginia, nochmal neu zu motivieren, um auch hier das Beste geben zu können. Ein sein Glück über Carnegie sichtlich noch überhaupt nicht richtig greifen könnender Jakub Hrůša antwortete bescheiden, er habe sich vorgenommen, nichts zu erwarten. Dann könne er auch nicht enttäuscht werden. Aber natürlich wolle er auch hier dem Publikum das Beste geben. Und wenn es gelingt, dann freue er sich. Aber ja, er sei schon ein bisschen müde – und glücklich.
Auf der Bühne war von Müdigkeit allerdings im Konzert keine Spur. Auch hier kochte der etwas "technisch" klingende Saal, dessen Deckenkonstruktion an das Innenleben eines gigantischen offenen Flügels erinnert. Man muss sich das vorstellen, da gibt es in einer vergleichsweise kleinen amerikanischen Stadt einen Technik-Campus, der wie selbstverständlich einen 1.260 Menschen fassenden Konzertsaal von beeindruckender Klangqualität beherbergt. Eine Programmdirektorin verantwortet ein reiches Konzertprogramm. Sie lässt es sich auch nicht nehmen, in einer kleinen Begrüßungsansprache, in der sie ihre große Freude über dieses deutsche Orchester zum Ausdruck bringt, auf das erfolgreiche Carnegie-Hall-Konzert am Vorabend hinzuweisen. Auf das ein ganz klein wenig Ruhm auch auf sie abfalle, die sie es geschafft hat, dieses Orchester mit diesem Dirigenten und der international gefeierten Pianistin Hélène Grimaud hier ins TechVirginia ins Programm zu holen.
Das Abschlußkonzert führte den Symphonikertross in das Center of Arts der George Mason University in Fairfax in Virgina, eine halbe Stunde etwa von Washington entfernt. Der unspektakulärste Saal der Tournee, aber mit einem verblüffend runden und vollem Klang. Der renommierte Musikjournalist des New Yorker, Alex Ross, Verfasser des Buchs "Die Welt nach Wagner" war eigens zu einem Einführungsvortrag zum Programm gekommen. Vor allem aber stellte er dem Publikum die Bamberger Symphoniker vor, deren Geschichte und wo Bamberg überhaupt liegt. Und hier fällt sie dann ab, die angespannte Seligkeit der letzten anstrengenden Tage. Die Bamberger spielen, beflügelt durch ihre rauschenden Erfolge, mit sichtlicher Freude erleichtert, glücklich und voller leidenschaftlicher Ausdruckstiefe. Auch Hélène Grimaud und Jakub Hrůša werfen sich die Bälle inspiriert und konzentriert zu – und auch hier überzeugen Programm, Konzeption und perfekt aufeinander eingespielte, und in der Interpretation Seite an Seite stehende, minutiös übereinstimmende Künstler.
Sendung: Leporello, 29.04.2024 ab 16:05 Uhr
Kommentare (1)
Mittwoch, 08.Mai, 17:45 Uhr
Michaele Christian
Bericht von Frau Adamski-Störmer vom 30.4.
Grüß Gott Frau Adamski -Störmer
Ihr Bericht über die Konzertreise der Bamberger ging mir so nahe.am14.4.hörte ich im Abonnement das gleiche Konzert und es war für mich eines der schönsten, ergreifendsten Konzerte. Mein Vater war ab 1946 der erste Soloflötist Kurt Christian und so bekam ich auch seine 1.Konzertreise nach Amerika mit.es gibt ein Bild aus dem Propellerflugzeug von der Skyline.
Am 16.4.war ein Bericht im Fränkischen Tag über das Abo Konzert. Unfähig, anmaßend, dumm. Ihre Michaele Christian