BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik – "Hamlet" bei den Münchner Opernfestspielen Hochnervöser Schlossneurotiker

Zum Auftakt der sommerlichen Münchner Opernfestspiele gab es diesmal lediglich eine sechs Jahre alte Übernahme aus Glyndebourne: Dort war der "Hamlet" von Brett Dean 2017 viel gelobt worden. In der bayerischen Landeshauptstadt allerdings wirkte die Inszenierung sehr britisch im guten wie im weniger guten Sinne.

Szene aus der Oper "Hamlet" von Brett Dean an der Bayerischen Staatsoper 2023 | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Doppelt mutig von der Bayerischen Staatsoper, ihre Opernfestspiele mit einer sechs Jahre alten Inszenierung zu eröffnen, und dann auch noch mit einem zeitgenössischen Werk: Dieser "Hamlet" kam 2017 im englischen Glyndebourne heraus. So richtig riskant war die Entscheidung dann aber doch nicht, denn damals wurde die Oper von Textdichter Matthew Jocelyn und Komponist Brett Dean sehr wohlwollend besprochen. Der britische "Guardian" etwa vergab vier von fünf Sternen und auch deutsche Kritiker zeigten sich angetan. In München gab es am Ende sehr freundlichen, wenn auch nicht besonders langen Beifall, und nach der Pause war nicht mehr jeder Sessel besetzt. Die Begeisterung war also keineswegs ungeteilt, zumal es offenbar nicht leicht war, für diesen düsteren "Hamlet" die rund 2.000 Plätze im Nationaltheater zu besetzen, Karten gab es im Vorfeld noch reichlich.

Traditionell und altbacken

Szene aus der Oper "Hamlet" von Brett Dean an der Bayerischen Staatsoper 2023 | Bildquelle: Wilfried Hösl Bildquelle: Wilfried Hösl Gegen die Inszenierung von Neil Armfield lässt sich nun wirklich wenig einwenden: So traditionell und etwas altbacken wird Shakespeare in England halt auf die Bühne gebracht, auch im Sprechtheater. Da lieben sie historische Kostüme, da dürfen Wahnsinns-, Fecht- und Sterbeszenen ruhig so bizarr überspielt sein, dass es hierzulande unfreiwillige Lacher gibt. Das war auch in der Bayerischen Staatsoper der Fall, vor allem beim Schlussgemetzel. Der Original-Shakespeare musste im Londoner Globe-Theater bekanntlich stehende Zuschauer bei Laune halten, da war die grelle Show absolute Pflicht, in dieser Tradition steht das englische Theater bis heute. In Deutschland wird Shakespeare deutlich moderner interpretiert, was allerdings auch nicht nur Freude bereitet.

Die Oper anhören

BR-KLASSIK hat die Premiere "Hamlet" live aus der Bayerischen Staatsoper übertragen. Hier können Sie den kompletten Mitschnitt der Oper anhören.

Mag sein, dass dieser "Hamlet" mit seinen dreieinhalb Stunden etwas zu lang geraten ist, denn Matthew Jocelyn hangelt sich nicht nur am Stück entlang, sondern garnierte es auch noch wild durcheinander mit den besten Zitaten, Sie wissen schon: "Sein oder Nichtsein", "der Rest ist Schweigen", "Es ist etwas faul im Staate Dänemark" und so weiter. Das sollte wohl irgendwie beschleunigen und zeitgeistig rüberkommen, weil Collagen ja so schön postmodern wirken, trug aber wenig zum Erkenntnisgewinn bei.

Der Dirigent als Maschinist

Vladimir Jurowski | Bildquelle: Wilfried Hösl Dirigent Vladimir Jurowski leitete auch schon die Uraufführung des "Hamlet" in Glyndebourne. | Bildquelle: Wilfried Hösl Was die Musik betrifft, war Dirigent Vladimir Jurowski, der auch schon die Uraufführung geleitet hatte, mehr als Maschinist gefragt, denn Komponist Brett Dean kann mit Rhythmus und Instrumentation deutlich mehr anfangen als mit Melodie. Seine Partitur wirkte hochnervös, die Noten zitterten so unstet wie ein Mückenschwarm auf der Waldlichtung, was auf die Dauer arg einförmig anmutete. Dieser Hamlet ist kein Melancholiker, sondern eher ein Schlossneurotiker mit Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, so übererregt, wie er sich durch den dänischen Hofstaat kämpfte. Sein Tatendrang ist völlig ungebremst, wo er doch im Schauspiel fast immer als entscheidungsschwach dargestellt wird. Der musikalische und szenische Aufwand war jedenfalls beträchtlich, das Ergebnis zwiespältig. Dieses Werk mit einer Shakespeare-Oper wie "Macbeth" von Verdi oder "Lear" von Aribert Reimann zu vergleichen, wie es Kritiker nach der Uraufführung für angemessen hielten, erscheint höchst fragwürdig. Mit der dramatischen Spannung dieser Vorbilder kann Brett Dean leider bei weitem nicht mithalten, erst recht nicht mit dem psychologischen Feingespür.

Oberflächliche Auseinandersetzung mit Shakespeare

Szene aus der Oper "Hamlet" von Brett Dean an der Bayerischen Staatsoper 2023 | Bildquelle: Wilfried Hösl Bildquelle: Wilfried Hösl Dieser "Hamlet" blieb doch eher eine oberflächliche Auseinandersetzung mit Shakespeare, szenisch wie musikalisch. Das schmälert die Leistung der Mitwirkenden keineswegs, allen voran der viel beschäftigte Chor und Semi-Chor, der mehr flüsterte und zischte als sang und der unverwüstliche und immer wieder herausragende John Tomlinson in einer Mehrfachrolle als Geist von Hamlets Vater, Schauspieler und Totengräber. Auch Sophie Koch als Königin und Rod Gilfry als brudermordender Gatte waren stimmlich wie schauspielerisch wunderbare Volkstheater-Helden. Allan Clayton in der Titelrolle stemmte seine Partie hier und da etwas zu kraftmeierisch, meisterte sie aber dennoch beeindruckend authentisch, bis hin zum finalen Fechtkampf. Auch allen anderen Solisten war das Vergnügen am Overacting anzumerken, am völlig überdrehten Knattern, was streckenweise schon an Stummfilmakteure oder Pantomimen erinnerte. So gesehen war es dann doch weniger museal, als zu befürchten war. Aber als Satire war es eindeutig zu bemüht.

Sendung: "Allegro" am 27. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Freitag, 30.Juni, 23:13 Uhr

Dr.Kathrin Walder-Hartmann

Kritik zu Hamlet

Sehr geehrte Damen und Herren. Ich habe die Kritik zu Hamlet gelesen und frage mich, ob wir in derselben Oper gesessen haben. Ich kann kaum einen der Kritikpunkte nachvollziehen, mehr noch, ich bin völlig gegenteiliger Meinung. Meines Erachtens war die Oper weder oberflächlich gehalten noch habe ich etwas von Overacting gemerkt. So könnte ich die Liste fortführen. Ich fand das ganze Paket auf den Punkt, dass alle Ebenen wunderbar ineinandergriffen und auch der Spannungsbogen stimmte.
Und in einer Zeit, in der Corona und Kriege deutliche (finanzielle) Spuren hinterlassen haben, dem Opernhaus vorzuwerfen, dass sie zur Eröffnung der Festspiele "nur" eine Wiederaufnahme zeigen, hinterlässt bei mir Ratlosigkeit.
Aber Kunst ist bekanntlich sehr subjektiv und ich wünsche uns, dass wir nächstes Mal wieder in derselben Oper sitzen.

Dienstag, 27.Juni, 17:22 Uhr

Fred Keller

die neue unnötige HAMLET Oper

war via Radio nicht auszuhalten, weil musikalisch stinklangweilig.

Dienstag, 27.Juni, 15:20 Uhr

Alois Hülsensack

Shakesbier?

Ich trink Bock.

Dienstag, 27.Juni, 15:02 Uhr

Gufo

Hamlet

Musikalisch war dieser Hamlet eine eintönige Aneinanderreihung von Noten fernab von Harmonie und Wohlklang. Zu bewundern sind die Sänger, die diese langen Texte beherrschen.Eine Oper passend zu der heutigen Zeit voller Brüche und Dissonanzen.

Mehr zum Thema

Neu auf BR-KLASSIK

    AV-Player