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Kritik – Münchner Philharmoniker Lahav Shani und Renaud Capuçon begeistern

Mit einem Doppelprogramm eröffnet in diesen Tagen Lahav Shani, der zukünftige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, die neue Saison. Nach Bruckner und Bach folgt in dieser Woche nun ein Programm mit Werken von Henri Dutilleux, Unsuk Chin, Paul Ben Haim und Michael Seltenreich: also ein französischer, eine koreanische und zwei israelische Komponisten.

Lahav Shani bei der Münchner Philharmonikern. | Bildquelle: Tobias Hase

Bildquelle: Tobias Hase

Lahav Shani wollte mit diesem engagierten Programm mit vier Werken des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts ganz offensichtlich seine Verantwortung gegenüber der Moderne und der zeitgenössischen Musik dem Münchner Publikum und dem Orchester deutlich machen – nachdem er in der vergangenen Woche mit Bruckners Neunter der Tradition des Orchesters und der Bruckner-Stadt München seine Referenz erwiesen hat. Interessant auch, dass es drei Nationalitäten waren, die hier vertreten waren, und zwei Komponisten aus Israel stammen, wobei Paul Ben-Haim ein gebürtiger Münchner war, der 1933 nach Israel emigrierte. Also auch das eine interessante Referenz an die Musiktradition der Stadt, die 1933-45 gewaltsam unterbrochen und zum Teil zerstört wurde.

Musik aus Israel: Paul Ben-Haim und Michael Seltenreich

Lahav Shani und Michael Seltenreich in München | Bildquelle: Co Merz Freunde seit Schulzeiten: Lahav Shani und Michael Seltenreich | Bildquelle: Co Merz Paul Ben-Haim, der in München Komposition und Dirigieren studiert hatte und Anfang der 1930er-Jahre dabei war, hier eine hoffnungsvolle Karriere zu starten, schrieb seine erste Symphonie 1939-1940 in Israel. 1941 wurde sie in Tel Aviv vom neu gegründeten Palestine Orchestra, dem heutigen Israel Philharmonic Orchestra uraufgeführt als eines der ersten israelischen symphonischen Werke überhaupt. Ben-Haim hat das Werk seinem 1938 in München gestorbenen Vater gewidmet, es enthält schmerzliche Klänge der Trauer und der Gewalt angesichts des beginnenden 2. Weltkriegs – mitunter erinnert das ein wenig an Schostakowitsch – aber auch Tröstliches und am Ende sogar sehr Positives.

Konzert zum Nachhören

BR-KLASSIK hat das Konzert von Lahav Shani mit den Münchner Philharmonikern am Mittwoch, 11. September, 2024, live im Radio übertragen. Hier können Sie das ganze Konzert (30 Tage nach Ausstrahlung) nachhören.

Solist: Renaud Capuçon, Violine
Unsuk Chin: "Subito con forza"; Henri Dutilleux: Violinkonzert - "L’arbre des songes"; Michael Seltenreich: "The Prisoner‘s Dilemma" (Erstaufführung des Auftragswerkes); Paul Ben-Haim: Sinfonie Nr. 1

Seltenreichs "The prisoner's dilemma"

Sehr spannend war es, dazu das erst im Juli uraufgeführte Orchesterstück "The prisoner's dilemma" des 35-jährigen israelischen Komponisten Michael Seltenreich zu hören, das sich mit unserer Gegenwart und auch mit dem Krieg in Gaza und dem vorausgegangenen Hamas-Massaker in Israel beschäftigt. Nicht explizit, aber der Krieg bildet eine Hintergrundfolie für das ebenfalls sehr eindrucksvolle und zum Teil auch beklemmende Stück. Seltenreich arbeitet mit Klangprismen, schneidenden Akkorden und einer überaus erfindungsreichen Klangsprache – eine interessante Stimme der Neuen Musik. Wie bei Ben-Haim steht auch in diesem Werk am Ende eine fast idyllische Klangutopie.

Phänomenal: Renaud Capuçon mit Violinkonzert von Dutilleux

Am Beginn des Konzerts stand mit "subito con forza" der Siemens-Musikpreisträgerin Unsuk Chin eine etwa fünfminütige orchestrale Miniatur, die eine Art klangliche Beethoven-Übermalung darstellt – komponiert zum 250. Geburtstag Beethovens im Jahr 2020. Angesichts der inhaltlichen Relevanz der beiden Stücke von Ben-Haim und Seltenreich hätte man auf diese Petitesse am Beginn auch eher verzichten können. Sehr viel interessanter war dagegen das 1985 uraufgeführte Violinkonzert von Henri Dutilleux vor der Pause mit dem phänomenalen Geiger Renaud Capuçon als Solisten. Ein Werk, das in seiner Bedeutungstiefe und Ausdrucksstärke ein wenig an Alban Bergs Violinkonzert erinnert und von diesem wohl auch inspiriert wurde. Dutilleux' Musiksprache jedoch ist auch klar vom französischen Idiom geprägt und so hört man gelegentlich beispielsweise Olivier Messiaen durchscheinen. Shani und Capuçon machten das mit ebenso viel Klarheit wie Innigkeit deutlich. Eine großartige Leistung – auch der Münchner Philharmoniker, die sich bei diesem sehr schwierigen Programm kurz nach Bruckners Neunter sehr flexibel und klangschön präsentierten.

Große Ernsthaftigkeit und Anteilnahme: Lahav Shani

Und Shani demonstrierte wie schon bei Bruckner vor einer Woche seine große Ernsthaftigkeit, mit der er sich den Werken widmet, seine innere Anteilnahme und Hingabe. Die Symphonie Ben-Haims dirigierte er sogar auswendig. Und das Orchester folgte ihm dabei sehr motiviert und engagiert – der "Honeymoon" zwischen den "Münchnern" und ihrem zukünftigen Chef dauert also an und scheint sich zu einer wirklich engen und fruchtbaren künstlerischen Beziehung zu entwickeln.

Sendung: "Allegro" am 12. September 2024 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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