24. Februar 1923. Die Hyperinflation galoppiert mit teuflischer Geschwindigkeit durch Deutschland und lässt keine Branche aus. Mit nicht unberechtigtem Pessimismus startet die Rheinische Musik-und Theaterzeitung an diesem Februartag eine Serie über die Auswirkung der Geldentwertung auf das Konzertleben: "Die Konzertunkosten wachsen ins Riesenhafte. Ausgaben für Konzertraum, Licht, Heizung, Flügeltransport, Reklame verschlingen die ganzen Einnahmen. Für den Konzertgeber bleibt oftmals nichts mehr übrig!"
Bildquelle: picture alliance / CHROMORANGE | Udo Herrmann
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Und für die Künstler? Sowieso nichts. Der Maler, Zeichner und Karikaturist George Grosz hat gerade seine Mappe mit dem Titel "Ecce homo" veröffentlicht, die wird sofort zensiert, keinen Groschen bekommt Grosz und meint im Nachhinein: "Oft erschien mir alles wie ein phantastischer Traum."
So wie die Kriegsversehrten, die Betrunkenen, Musiker, Bettler und Prostituierten auf den Bildern von Grosz übers Papier taumeln, so taumelt das Musikleben. Die Kurve der Kartenpreise geht steil nach oben, so steil, dass bald schon der Vorverkauf abgeschafft werden muss: "Der Vorverkauf beginnt drei Wochen vor dem Konzertabend, wenn plötzlich eine Teuerungswelle kommt, können die Eintrittspreise nicht mehr angepasst werden.
Nach der Sommerpause im Jahr 1923 können sich die Eintrittspreise, bei Bedarf, sogar stündlich erhöhen. Eine "günstige" Karte bei den Berliner Philharmonikern lag im Februar 1923 noch bei 100 Mark, stieg dann innerhalb eines Vierteljahres auf 1.000. Bleibt aber im Vergleich zu einem Laib Brot ein Schnäppchen. Im Herbst muss man eine Million im Handwagen herbeischaffen, um die "Freischütz"-Ouvertüre zu hören.
Mit dieser Entwertung der Mark wird der Tauschhandel wieder attraktiv: Zwei Eier für eine günstige Eintrittskarte ins Konzert, ein Pfund Butter für die Teuerste, eine Schweineschwarte für Instrumente – diese "erfinderische Währung" hält vor allem im Bereich der Laienmusik Einzug, wo trotz der Krisenzeit intensiv musiziert und in Chören gesungen wird. Organisationen, wie beispielsweise der Hilfsbund für deutsche Musikpflege vom Geiger Carl Flesch, versuchen zu helfen, wo es geht. Sie unterstützen hilfsbedürftige Musiker mit Spendengeldern.
Der Gipfel der Teuerung ist dann Ende November erreicht, als der junge Karl Böhm im Münchner Nationaltheater passenderweise Friedrich Smetanas Oper "Die verkaufte Braut" dirigiert. Ein Sitzplatz kostet vier Billionen Papiermark, ein Stehplatz "nur" 180 Milliarden. Das dürfte die höchste Summe gewesen sein, die jemals für Smetanas Braut auf den Ladentisch geblättert werden musste.
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Sendung: "Allegro" am 24. Februar 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK