Brünn, 5. Dezember 1927: Die "Glagolitische Messe" von Leoš Janáček wird uraufgeführt. Janáček hatte eigentlich ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche: "Gebeine auf dem Altar, auf den Bildern nur Folter und Sterben – damit will ich nichts zu tun haben!" Und doch komponierte er eine Messe, die zu den schönsten des 20. Jahrhunderts gehört.
Bildquelle: picture alliance / Martin Sterba/CTK/dpa | Martin Sterba
Das Kalenderblatt anhören
"Der Greis Janáček, ein fest gläubiger Mensch, hat offenbar immer drängender gespürt, dass in seinem Lebenswerk eine Komposition, die sein Verhältnis zu Gott ausdrückt, nicht fehlen dürfe", spekuliert ein salbungsvoller Kritiker der Zeitung "Lidové Noviny" – und provoziert damit sofort eine erboste Leser-Postkarte vom 73-jährigen Janáček: "Kein Greis, junger Mann! Und erst recht nicht gläubig! Erst wenn ich mich selbst davon überzeuge!"
Ich wollte den Leuten einmal zeigen, wie man mit dem lieben Gott spricht!
Auch wenn er der Sohn eines Kirchenmusikers ist und als Kind eine Klosterschule besuchte – Leoš Janáček hat ein gespanntes Verhältnis zur Religion. Warum aber um alles in der Welt schreibt der Atheist dann eine Messe? "Ich wollte den Leuten einmal zeigen, wie man mit dem lieben Gott spricht!" Und so klingt diese Messe auch: unwirsch, ruppig, grimmig. So als würde sich Janáček trotzig in einen Gewittersturm stellen und der schweigenden Gottheit all seine Fragen, seine Wut entgegenschleudern.
Dann aber gibt es auch wieder Momente, wo die Musik uns tröstlich in den Arm nimmt oder sich unbekümmert freut und lacht. Keine Messe, die von oben herab Dogmen verkündet, sondern nah dran am Leben. Ganz bewusst hat der Tscheche Janáček nicht den offiziellen lateinischen Text vertont, sondern eine Übersetzung in einer alten slawischen Sprache. "Die Kathedrale meiner Messe ist hoch, sie reicht bis ins Himmelsgewölbe. Die Kerzen sind hohe Kiefern, auf deren Spitzen erleuchtete Sterne funkeln. Und die Glocken in der Kathedrale stammen von der Schafherde."
An manchen Stellen gerät diese ungewöhnliche Messe sogar ganz romantisch ins Schwelgen. Vielleicht, weil der alte Janáček bis über beide Ohren verliebt ist – in die fast vierzig Jahre jüngere Kamila Stösslova. Wie äußert er sich? "Zwei Menschen betreten meine Kathedrale und beschreiten feierlich einen Teppich aus grünem Gras. Nachtigallen, Drosseln, Enten machen die Musik! Denn ihr Chef möchte sein Mädchen heiraten, seine liebe, seine teure – Kamila."
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Leoš Janáček - Glagolitic Mass (Česká filharmonie, Sir Charles Mackerras)
Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 12:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 05. Dezember 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)