New York/Los Angeles, 12. Februar 1942. Es geht das Gerücht um, der Komponist Dmitrij Schostakowitsch habe eine neue Symphonie geschrieben. Gehört hat die zwar keiner, die Uraufführung steht in der kriegsgebeutelten Sowjetunion erst noch bevor, aber um die Ehre der amerikanischen Uraufführungsrechte betteln (und "batteln"!) bereits berühmte Dirigenten. Als hätten sie einen Riecher für die Außergewöhnlichkeit dieser "Leningrader Symphonie".
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Sergej Kussewitzki schickt ein Telegramm nach Moskau. Eugene Ormandy will die Partitur so rasch wie möglich für das Philadelphia Orchestra. Artur Rodzinski schreibt an den sowjetischen Botschafter und behauptet, die Kompetenz läge bei ihm. Auch der Dirigent Leopold Stokowski setzt sich an die Schreibmaschine: "Ich möchte sie so schnell wie möglich in New York dirigieren, das Konzert im Rundfunk übertragen sowie eine Plattenaufnahme vornehmen und die Symphonie in einem Musikfilm in Hollywood verwenden. Ich möchte hinzufügen, dass die Aufführung für mich und für die amerikanischen Zuhörer eine große Freude sein wird!"
Dmitrij Schostakowitsch als Luftschutzwart in Leningrad | Bildquelle: Pressefoto
Dass das Stück "eine große Freude" wird, dürfte ein Irrtum sein. Allein schon die Umstände der Entstehung, die keiner der amerikanischen Dirigenten im Detail kennt, sind grausam und makaber. Schostakowitsch komponiert während der Leningrader Blockade, also zu der Zeit, als die deutsche Wehrmacht die Stadt einkesselt, um die Bevölkerung auszuhungern. Menschen nagen den Leim aus Buchdeckeln, erfrieren bei minus 40 Grad. Typhus, Ruhr und Skorbut grassieren. Trotzdem herrscht eine kämpferische Stimmung. Die Sirenen heulen, die Flugabwehrkanonen ballern dumpf, als Schostakowitsch einige Freunde in seine Wohnung bittet. Einer dieser Freunde, Walerian Bogdanow-Beresowski, erinnert sich: "Die enorm großen Partiturseiten auf dem Schreibtisch machten den Umfang der Besetzung deutlich. Schostakowitsch spielte uns die neue Symphonie nervös und angestrengt vor."
Schostakowitsch und seine Familie werden in die Stadt Kuibyschew evakuiert, kurz bevor die Siebte Symphonie vollendet ist. Dort harrt bereits das Orchester des Bolschoi-Theaters in Moskau. Und dort wird die "Leningrader Symphonie" auch uraufgeführt. Ein persönlicher Erfolg für Schostakowitsch. Und ein politischer Erfolg: das Stück wird in der Sowjetunion als Symbol des Sieges interpretiert.
In einer spektakulären Odyssee gelangt die Partitur schließlich über den Iran, Ägypten und Afrika als Mikrofilm in die USA. Den Zuschlag für die amerikanische Erstaufführung erhält Arturo Toscanini. Er leitet diese "Eroica unserer Tage", die "Symphonie der Wut und des Kampfes" von Dmitrij Schostakowitsch am 19. Juli 1942 in New York.
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Schostakowitsch: 7. Sinfonie (»Leningrader«) ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Klaus Mäkelä
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Sendung: "Allegro" am 12. Februar 2025 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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